# taz.de -- taz-Serie „Die wachsende Stadt“: Das Wachsen lernen
       
       > Berlin platzt aus allen Nähten. Immer mehr Menschen brauchen immer mehr
       > Wohnungen, Kitas und Schulen. Die taz-Serie will eine Debatte über die
       > Zukunft befördern.
       
 (IMG) Bild: Beliebt wie eh und je: in Berlin entstehen immer mehr Wohnungen
       
       Wenn ein Unternehmen wächst, dann stellt es neue Mitarbeiterinnen und
       Mitarbeiter ein und expandiert. Es baut zusätzliche Produktionsstätten,
       baut Forschung und Entwicklung aus, gründet Dependencen im Ausland. Platz
       da, wir kommen!
       
       Was aber ist, wenn eine Stadt wächst und der Platz begrenzt ist? Wenn immer
       mehr neue Einwohnerinnen und Einwohner kommen, Touristen, die bleiben? Weil
       es kaum mehr leere, geschweige denn bezahlbare Baugrundstücke in der
       Innenstadt gibt? Wächst die Stadt dann in die Höhe, wie es Jugendliche tun,
       die in die Pubertät kommen? Geht sie in die Breite, vielleicht sogar bis in
       den „Speckgürtel“? Oder verweigert sie gar, wie Oskar Matzerath in Günter
       Grass’ Blechtrommel, das Wachsen?
       
       Berlin, so behaupten viele, habe sich da noch nicht entschieden. Anders als
       Hamburg wächst Berlin tatsächlich erst seit ein paar Jahren. Zuvor war es
       eine stagnierende Stadt, in der es vor allem eins gab: viel Platz. Zum
       Ausprobieren, Sich-Verlieren, Experimentieren. Nun schmilzt dieser Platz
       wie der Restschnee in der Frühjahrssonne. Berlin spürt erstmals in der
       Nachkriegsgeschichte, wie es sich anfühlt, aus allen Nähten zu platzen.
       
       Ein paar Zahlen: Bereits 2015 hatte Berlin die 3,5-Millionen-Marke
       gerissen, im vergangenen Jahr lebten nach Angaben des Amtes für Statistik
       Berlin-Brandenburg 3,671 Millionen Menschen in der Stadt. Alleine 2016
       wuchs Berlin um 60.000 Bewohner, darunter zahlreiche Flüchtlinge. In den
       Jahren davor war Berlin um 40.000 neue Berlinerinnen und Berliner
       gewachsen.
       
       ## Kritik an Bausenatorin
       
       Das hat natürlich zuallererst Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt. Bis 2030,
       so die neuesten Zahlen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und
       Wohnen, braucht Berlin 194.000 neue Wohnungen. Bislang sind im
       Stadtentwicklungsplan Wohnen aber erst Flächen für 179.000 Wohnungen
       nachgewiesen.
       
       Da die Bebauung Tegels nach dem Volksentscheid zunächst auf Eis liegt, wird
       die Diskussion über die Bebauung des Tempelhofer Feldes oder der
       Elisabeth-Aue in Pankow so sicher wiederkehren wie die Kritik an der
       Bausenatorin, sie setze zu wenig auf Neubau. 2016 wurden in Berlin 13.659
       Wohnungen fertiggestellt, darunter lediglich 165 preiswerte Wohnungen für
       6,50 Euro den Quadratmeter. 2017 können 3.000 preiswerte Wohnungen gebaut
       werden, 2021 5.000 – vorausgesetzt, die landeseigenen
       Wohnungsbaugesellschaften kommen mit dem Bau nach und auch private
       Investoren nutzen die bereitgestellte öffentliche Förderung.
       
       Das ist die statistische Herausforderung, der die politische folgt. Wie
       aber organisiert man das Wachstum in Berlin sozial, ökologisch – und
       stadtgerecht, also ohne die Eigenarten Berlins dabei aufs Spiel zu setzen?
       
       Darüber hat die Debatte gerade erst begonnen, und sie könnte kontroverser
       kaum sein. Die CDU zum Beispiel will mehr Hochhäuser bauen, verkennt aber,
       dass diese ab einer Höhe von 60 Metern für den Wohnungsbau unwirtschaftlich
       sind. Linke und Grüne wollen die Bevölkerung bei den Bauvorhaben mitnehmen
       und setzen verstärkt auf Partizipation. Die SPD dagegen drängt auf Bauen um
       jeden Preis und hat dabei vor allem die landeseigenen
       Wohnungsbaugesellschaften im Blick. Bauen ist also der Konsens, aber schon
       beim „Wie“ hören die Gemeinsamkeiten auf.
       
       Fangen wir also an
       
       Solange aber die Politik das Wachstum nicht lenkt und steuert, wächst
       Berlin ungebremst und anarchisch weiter. Dabei zeigt ein Blick in die
       Statistik, dass die Stadt nicht überall gleich wächst. Ganz vorne liegt
       Pankow, der mit 400.000 Einwohner ohnehin bevölkerungsreichste Bezirk, der
       bis 2030 noch einmal um 16 Prozent zulegen wird. Es folgen Reinickendorf
       (9,4), und Treptow-Köpenick und Lichtenberg (je 9,3). Am Ende der Skala
       liegen Mitte, Neukölln, Charlottenburg-Wilmersdorf, Steglitz-Zehlendorf und
       Tempelhof-Schöneberg mit Wachstumszahlen von 7,0 bis 2,6 Prozent.
       
       Zusammengefasst kann man sagen, dass die Stadt an den Rändern stärker
       wächst als innerhalb des S-Bahn-Rings. Das aber bedeutet für die
       Stadtplaner im Senat und den Bezirken, die Voraussetzung dafür zu schaffen,
       dass der Stadtrand attraktiver wird. „Urbanisierung der Außenstadt“ hieße
       ein solches Konzept, das Verdichtung an bestehenden Knoten vorantreibt und
       auch die Infrastruktur mitwachsen lässt, ohne die urbanen Bilder der
       Innenstadtkieze an den Rand exportieren zu wollen. Darüber aber wird
       bislang in Berlin viel zu wenig debattiert. Fangen wir also an.
       
       Dieser Text ist Teil eines Schwerpunktes in der Print-Wochenendausgabe der
       taz.Berlin vom 28./29.10.2017
       
       28 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uwe Rada
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Wachstum
 (DIR) Wirtschaftswachstum
 (DIR) Bauen
 (DIR) Katrin Lompscher
 (DIR) R2G Berlin
 (DIR) Wohnen
 (DIR) Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
 (DIR) Stadtentwicklung
 (DIR) Katrin Lompscher
 (DIR) Ferienwohnungen
 (DIR) Katrin Lompscher
 (DIR) Deutsche Bahn
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Gastbeitrag: die Entwicklung Berlins: Die Schattenseiten des Wachstums
       
       2017 sind erneut mehr als 40.000 Menschen nach Berlin gezogen. Das bringt
       viele Probleme mit sich. Der Architekt Robert Kaltenbrunner fordert ein
       radikales Umdenken.
       
 (DIR) Pro und Contra Wohnungsneubau: Lässt Lompscher zu wenig bauen?
       
       Der Stadtentwicklungssenatorin wird vorgeworfen, zu viel Mieterschutz und
       zu wenig Neubau zu betreiben. Wäre das ein Fehler?
       
 (DIR) Gesetz gegen Ferienwohnungen: Für 60 Tage Vermieter sein
       
       Das bisherige Verbot von Ferienwohnungen blieb weitestgehend wirkungslos.
       Der Senat will das ändern – und die Vermietung auf Zeit erlauben.
       
 (DIR) Berliner Wohnungsnot: Schon hintendran
       
       Der Senat will bis 2021 jährlich 20.000 Wohnungen bauen lassen. Doch dieses
       Jahr gibt es erst 15.000 Baugenehmigungen.
       
 (DIR) An den Meistbietenden: Der Bund verkauft Berlin
       
       Für neuen Wohnraum, braucht die Stadt Grundstücke, die im Besitz des Bundes
       oder der Bahn sind. Statt zu kooperieren, schießen die quer.