# taz.de -- Debatte Mobilität: Vorfahrt für Radler!
       
       > Die meisten Fahrradschnellwege befinden sich auf dem Land. Und
       > Innenstädte gehören weiterhin dem Autoverkehr. Das muss sich ändern.
       
 (IMG) Bild: Die Umstellung der urbanen Mobilität auf Radverkehr wird nicht über Nacht zu bewerkstelligen sein
       
       Feierabendverkehr auf Osnabrücks Hauptstraßen: Die Autos stauen sich mal
       wieder, die Nerven der Fahrer liegen blank. Man sehnt sich auf die
       heimische Couch und tippt (verbotswidrig) auf dem Smartphone herum. Als
       mutiger Radfahrer hat man hier hingegen weitestgehend den Vorteil, dass –
       wenn auch nur ungenügende – Radfahrstreifen am Fahrbahnrand angelegt sind.
       Auf denen kommt man nämlich neben dem Autostau noch voran und verliert kaum
       Zeit.
       
       Das ist praktisch für Radfahrer, zumindest staumindernd für Autofahrer und
       gut für Städte, die sich dem wachsenden Verkehr zunehmend hilflos
       ausgeliefert sehen. Noch sieht es in vielen Städten aber allzu oft anders
       aus. Wenn Radwege vorhanden sind, dann sind sie in schlechtem Zustand und
       werden regelmäßig von Querstraßen unterbrochen.
       
       Dass der Radverkehr enorme Potenziale für stau- und abgasgeplagte Städte
       birgt, hat man Land auf, Land ab inzwischen erkannt. Hier und da
       realisieren die Kommunen inzwischen auch, dass das vorhandene Radwegenetz
       wenig einladend und kaum in der Lage ist, Menschen, die noch nicht Fahrrad
       fahren, eben davon zu überzeugen. Das soll sich in vielen deutschen Städten
       künftig ändern.
       
       Das Zauberwort heißt Radschnellweg. Überall wird, wenn nicht geplant,
       zumindest mal laut nachgedacht, wo diese breiten, kreuzungsarmen,
       asphaltierten und exklusiv dem Radverkehr vorbehaltenen Wege den
       (städtischen) Verkehr entlasten könnten. Die Bundesregierung spendiert
       dafür seit Kurzem sogar 25 Millionen Euro jährlich – was allerdings noch
       viel zu wenig für einen effektiven Ausbau ist. Bei Kosten von
       durchschnittlich einer Million Euro pro Kilometer reicht die Summe eben
       auch nur für 25 Kilometer – in ganz Deutschland. Umgerechnet auf den
       Gesamthaushalt des Bundesverkehrsministeriums für das Jahr 2017 sind das
       übrigens knapp 0,1 Prozent.
       
       ## Ein erhebliches Umsetzungsdefizit
       
       Noch ein kleiner Vergleich gefällig? Für den sechs Kilometer langen
       Radschnellweg, den die Stadt Osnabrück nach Belm bauen wird, fallen Kosten
       in Höhe von rund 7,5 Millionen Euro an, was durchaus Widerspruch
       hervorruft. Für die Kritiker des Radwegeausbaus sind die geschätzten 150
       Millionen Euro für den zehn Kilometer langen A33-Lückenschluss in
       unmittelbarer Nähe hingegen offenbar nicht zu viel. Während für Autobahnen
       also gar nicht genug Geld ausgegeben werden kann, bleibt die
       Radschnellwegförderung des Bundes ein Tropfen auf den heißen Asphalt und
       wird als Alternative weiterhin stiefmütterlich behandelt.
       
       Ein gutes Stück weiter ist das Ruhrgebiet. Zwischen Essen und Mülheim
       verläuft seit 2015 ein elf Kilometer langes Vorzeigestück Radschnellweg,
       das auf insgesamt 101 Kilometer ausgebaut werden und Pendlern zwischen
       Duisburg und Hamm eine Alternative zur chronisch verstopften A40 bieten
       soll. In Ländern wie Dänemark und den Niederlanden sind Radschnellwege
       schon lange Bestandteil des Radverkehrsnetzes. Auch Berlin und Hamburg
       haben mögliche Routen vorgestellt. Während die Hauptstadt zwölf
       Trassenkorridore auf dem Stadtgebiet untersucht, liegen die Schwerpunkte in
       Hamburg auf dem Umland und reichen bis nach Lüneburg und Stade.
       
       In der Region Hamburg enden die geplanten Radschnellwege aber an der
       Stadtgrenze und werden ins bestehende Netz überführt. Insofern verdeutlicht
       Hamburg ein Problem, vor dem viele Radfahrer in Deutschland stehen: Es gibt
       immer dann ein erhebliches Umsetzungsdefizit, wenn es in den urbanen Raum,
       also in die Städte geht. Entweder bedeutet dieser Übergang schlicht das
       Ende des Radschnellwegs. Oder er wird hier und da als Fahrrad- und
       Umweltverbundstraße weitergeführt. Radfahrer müssen sich die Fahrbahn dort
       also doch wieder mit anderen Verkehrsteilnehmern teilen. Das muss nicht
       automatisch ein Problem sein, schreckt unerfahrene Radfahrer aber doch
       wieder ab.
       
       ## 20 Kilometer auf dem Land kann jeder bauen
       
       Für Städte sind solche Einschränkungen mit gemeinsamer Nutzung eine
       willkommene Ausrede für das eigentliche Problem: Sie wollen (und müssen)
       zwar möglichst viel Autoverkehr durch Radverkehr ersetzen. Die
       Infrastruktur tasten sie in der Regel aber nicht oder nur minimal an. In
       Innenstädten, wo der Verkehr am dichtesten ist, wo die Ziele der meisten
       Verkehrsteilnehmer und eben auch die größten Flächenkonflikte liegen,
       scheint die Fahrbahn für Autos heilig zu sein. Wo eine starke (Auto-)Lobby
       gewachsen ist, sich Strukturen jahrzehntelang verfestigt haben und nur der
       als zahlungskräftiger Kunde gesehen wird, der hochmotorisiert in die
       Innenstadt kommt, bleiben für Radfahrer bisher nur schmale Streifen am Rand
       oder gar auf Gehwegniveau, wo man sich den knappen Raum noch mit Fußgängern
       teilen muss.
       
       So wird es aber nichts mit echter Radverkehrsförderung. Radschnellwege
       dürfen nicht dort enden, wo es anfängt, wehzutun. 20 Kilometer auf dem Land
       kann jeder bauen. An der Stadtgrenze darf dann aber nicht Schluss sein.
       Gerade hier verdichtet sich der Verkehr, wird der Platzbedarf größer. Man
       muss sich also fragen, ob zwei-, drei- oder gar vierspurige Straßen in der
       Stadt noch zeitgemäß sind und den Ansprüchen moderner Mobilität und
       Stadtplanung genügen. Oder ob man davon nicht eine Spur in einen breiten,
       komfortablen und geschützten Rad(schnell)weg umbauen kann. Wer den
       Radverkehr wirklich fördern will, muss den Raum hier neu verteilen. „Wer
       Straßen sät, wird Verkehr ernten“, wusste der ehemalige Oberbürgermeister
       von München, Hans-Jochen Vogel, schon 1972. Diese Formel funktioniert auch
       bei Radfahrern: „Wer Rad(schnell)wege baut, wird Radverkehr ernten.“ Das
       Angebot bestimmt die Nachfrage.
       
       Dafür braucht es Mut, keine Frage. Die Umstellung der urbanen Mobilität auf
       Radverkehr wird nicht über Nacht zu bewerkstelligen sein. Aber wer als
       Autofahrer wieder mal im Stau auf Osnabrücks Hauptstraßen steht und neben
       sich immer mehr Radfahrer auf einem komfortablen innerstädtischen
       Radschnellweg vorbeiziehen sieht, der wird sich vielleicht noch mal
       überlegen, wie er morgen zur Arbeit fährt.
       
       29 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Doerk
       
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