# taz.de -- Kurdischer Politiker über seine Flucht: „Nur hier fühle ich mich sicher“
       
       > Burhan Kocaman ließ seine Familie in Hamburg zurück, um Bürgermeister in
       > seiner Heimatstadt Karakoçan zu werden. Die türkische Regierung ließ ihn
       > verhaften.
       
 (IMG) Bild: Burhan Kocaman war bis 2016 Bürgermeister der türkischen Stadt Karakoçan
       
       taz: Herr Kocaman, wie viele andere pro-kurdische Politiker wurden Sie vor
       einem Jahr festgenommen. Wie lange wurden Sie festgehalten? 
       
       Burhan Kocaman: Anfang 2016 wurde ich das erste Mal festgenommen. Dabei
       bekam ich einen Herzinfarkt. Dennoch wurde ich fünf Tage lang verhört.
       Anschließend lag ich vier Monate lang im Krankenhaus, dann kam ich in die
       Reha. In dieser Zeit haben die türkischen Behörden meinen Personalausweis
       und meinen Pass eingezogen und mich mit einem Reiseverbot für das Ausland
       belegt.
       
       Was genau wurde Ihnen vorgeworfen? 
       
       Dass wir uns nicht an die Verfassung gehalten hätten. Wir haben in
       Karakoçan mit Zustimmung des Stadtrates ein Ko-Vorsitzendenmodell
       eingeführt. Das heißt, dass neben mir als Mann auch eine Frau
       Bürgermeisterin ist. Das haben sie zum Anlass genommen, uns beide
       festzunehmen. Am 27. September 2016 sind wir verhaftet worden. Immer noch
       krank saß ich vier Monate im Gefängnis.
       
       Wie sind Sie da wieder rausgekommen? 
       
       Nach vier Monaten wurde mir der Prozess gemacht. Ich wurde zu einer
       Haftstrafe von drei Jahren und einem Monat verurteilt. Ich habe gegen
       dieses Urteil Beschwerde eingelegt. Weil sich nun ein höheres Gericht mit
       dem Verfahren befassen sollte, mussten sie mich erst mal frei lassen.
       Parallel leiteten sie aber ein weiteres Verfahren gegen mich ein – wegen
       Propaganda und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Als der
       Prozess eröffnet werden sollte, sagte mir mein Anwalt, ich solle besser
       nicht erscheinen. Er teilte mir mit, dass ich wegen einer angeblichen
       Mitgliedschaft in der PKK angeklagt wurde.
       
       Stehen Sie der PKK nahe? 
       
       Ich bin nicht wegen irgendwelcher Aktivitäten angeklagt, sondern weil ich
       mich als Bürgermeister in drei Reden für Frieden, gegen den Krieg und für
       Gleichberechtigung eingesetzt habe. Deren Inhalte wurden mir im Prozess zur
       Last gelegt. Doch die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung
       bedeutet ein sehr viel höheres Strafmaß. In der Türkei muss man dafür mit
       mindestens sechs bis sieben Jahren rechnen. Das wollte ich wegen meines
       Gesundheitszustandes nicht in Kauf nehmen und so habe ich mich
       entschlossen, die Türkei zu verlassen.
       
       Wie haben Sie das geschafft? 
       
       Ich bin bis zu einem gewissen Ort mit dem Auto gefahren. Von dort aus hat
       mich jemand begleitet. Wir haben Maultiere genommen und sind mit ihnen über
       die irakische Grenze geritten. Auf dem Weg mussten wir mehrere
       Militärposten passieren. Ich habe gehört, dass vor mir drei Leute auf dem
       selben Weg getötet wurden. Es war ein riskantes Unterfangen. In Erbil, der
       Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan, bin ich zum deutschen Konsulat
       gegangen und habe gesagt, dass ich viele Jahre in Deutschland gearbeitet
       und einen Aufenthaltstitel habe und mir die türkische Regierung meinen Pass
       abgenommen hat.
       
       Sie gaben mir eine kleine Karte als Ausweisersatz. Kurz nachdem ich da war,
       riefen sie mich wieder an und sagten, ich müsse Dokumente aus der Türkei
       besorgen. Meine Schwester und mein Anwalt haben mir dann alle Papiere
       geschickt, die sie hatten. Dann sagten sie mir, dass ich ein paar Wochen
       warten solle. Nach zwei Wochen habe ich angerufen und mich erkundigt, wie
       es läuft. Sie sagten, ich müsse noch etwas Geduld haben. Ich habe über drei
       Monate gewartet, bis mir das Konsulat einen Reisepass gegeben hat.
       
       Wie haben Sie diese Zeit verbracht? 
       
       Das war keine gute Zeit. Es war zu heiß und im Irak ist der türkische
       Geheimdienst sehr gefährlich. Er ist überall auf der Suche nach Kurden.
       
       Nach Leuten wie Ihnen. 
       
       Ich war nicht viel draußen. Einen Monat bin ich bei einer Familie
       untergekommen. Aber dann wurde ich krank und habe mir ein günstiges Hotel
       gesucht. Ich konnte den Betreibern vertrauen.
       
       Woher wussten Sie das? 
       
       Sie waren Kurden. Ein Bekannter hat mir gesagt, denen kannst du vertrauen.
       Ich bin dort zwei Monate geblieben, habe mich sicher gefühlt, aber ich habe
       das Haus so gut wie nie verlassen. Ich habe ihnen sogar erzählt, dass ich
       Bürgermeister der HDP bin. Allen anderen habe ich mich als Student aus
       Ankara ausgegeben. Weil ich da eingeschrieben bin, habe ich einen
       Studentenausweis. Nicht einmal den kurdischen Sicherheitskräften konnte ich
       vertrauen.
       
       Deutschland hat Ihnen geholfen, zurück nach Hamburg zu kommen. Gleichzeitig
       geht auch die Bundesregierung gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK vor.
       Wie sehen Sie das PKK-Verbot? 
       
       Natürlich gucken alle Kurden auf die PKK. Die HDP und die PKK sind aber
       ganz verschiedene Organisationen. Ich habe mich als Mitglied und
       Bürgermeister der HDP für die demokratischen Rechte der Kurdinnen und
       Kurden eingesetzt. Dass das deutsche Konsulat mir geholfen hat, gründet
       auch darauf. Es ist aber wichtig zu sehen, dass es die Kurden sind, die in
       Rojava und im Irak für Menschenrechte, Frauenrechte und Demokratie kämpfen.
       Alle kurdischen Parteien – PKK, HDP, PUK und PYD eingeschlossen – sind
       Kräfte, die für die Demokratisierung streiten. Deswegen verstehe ich die
       Haltung Deutschlands nicht.
       
       Was erwarten Sie von Deutschland? 
       
       Ganz einfach mehr Sympathie für emanzipatorische Kräfte wie die Kurden und
       mehr Kooperationsbereitschaft. Von Staaten wie Deutschland und England, in
       denen die Demokratie gewachsen ist, erwarte ich, dass sie sich für
       entsprechende Standards einsetzen. Stattdessen halten sich diese Länder an
       den türkischen Staat, der sich überhaupt nicht an demokratische Maßstäbe
       hält, Frauen- wie Minderheitenrechte missachtet und die Terrormiliz
       „Islamischer Staat“ unterstützt.
       
       Was könnte die Bundesregierung ausrichten, würde sie härtere Saiten
       aufziehen? 
       
       Deutschland hat ein starkes Gewicht für die Kurden und die Türkei. Eine
       unserer Hauptforderungen war, dass das Abkommen der EU zur
       Kommunalverwaltung auch von der Türkei anerkannt wird. Deutschland hätte da
       mehr Druck ausüben sollen. Doch man hat sich nicht darum geschert und jetzt
       sind wir an einem Punkt, an dem alles auseinanderbricht. Außerdem müsste
       Deutschland viel stärker kontrollieren, wohin das Geld geht.
       
       In diesem Monat fließen fast 80 Millionen Euro aus Deutschland in die
       Türkei. Nun geht das ganze Geld an die AKP und ihre Organisationen. Das
       Ungleichgewicht zeigt sich aber auch in Deutschland selbst. Moscheen, die
       nicht selten vom türkischen Staat organisiert werden, bekommen staatliche
       Zuschüsse. Während auf der anderen Seite Hunderte kurdische Einrichtungen
       leer ausgehen.
       
       Wie erleben Sie den Konflikt zwischen Kurden und Türken in Hamburg? 
       
       Wir sind verschieden: In der türkischen Ideologie steht an oberster Stelle
       der Staat, dann kommt die Nation, dann der Islam, dann der Koran. Für das
       Individuum bleibt da kein Platz. Bei den Kurden hingegen kommt zuerst der
       Mensch und dann eine Nichtstaatlichkeit, denn es gibt keine vergleichbare
       zentrale Macht. Dass es hier keinen offenen Konflikt gibt, liegt vor allem
       daran, dass die kurdische Bewegung Menschen gleich behandelt. Der türkische
       Staat sagt seinen Anhängern, wo sie einkaufen sollen und welche Firmen und
       Läden gemieden werden sollen.
       
       Der türkische Geheimdienst MIT ist auch in Deutschland aktiv. Haben auch
       Sie Angst? 
       
       Es geht ja nicht nur um mich. Erdoğans Agentennetz zerstört das friedliche
       Zusammenleben.
       
       Es heißt, es soll 6.000 türkische Spione in Deutschland geben. Haben
       deutsche Behörden dieses Problem genügend auf dem Schirm? 
       
       Wenn der türkische Geheimdienst hier tätig sein kann, zeigt das, dass die
       Regierung das Problem nicht ernst genug nimmt. Nach wie vor werden Moscheen
       nur als Orte gesehen, in denen gebetet wird. Das ist aber oft nicht der
       Fall. Es gibt hier viele Islamisten, die dem Erdoğan-Regime unterstehen.
       
       Sind deutsche Behörden zu naiv? 
       
       Wenn religiöse Orte für radikale Zwecke ausgenutzt werden, dürfen sie in
       meinen Augen nicht wie religiöse Institutionen behandelt werden. Darin sehe
       ich die Naivität und eine gefährliche Untätigkeit.
       
       Was bedeutet es für Sie, in Hamburg zu sein? 
       
       Ich habe nur hier das Gefühl, frei und sicher zu sein. Von der Türkei, wo
       ich die letzten Jahre war, kann man das nicht behaupten. Dort kommt es
       immer wieder zu Bombardierungen und überall gibt es Waffen. Ich habe
       Hamburg vermisst. Hier ist meine zweite Heimat.
       
       * Das Gespräch wurde verdolmetscht von Yavuz Fersoglu
       
       13 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lena Kaiser
       
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