# taz.de -- Landesweite Proteste in Russland: „Wir haben hier die Macht!“
       
       > Zu Putins 65. Geburtstag gab es in Dutzenden von Städten Demonstrationen
       > – zur Unterstützung des inhaftierten Oppositionsführers Alexei Nawalny.
       
 (IMG) Bild: An die Kette: Die Demonstranten sendeten Putin klare Signale
       
       Tausende Demonstranten sind in Russland am Samstag einem Aufruf des
       [1][Oppositionsführers Alexei Nawalny] [2][zu Protesten gegen die
       Staatsmacht] gefolgt. Der Oppositionelle und Herausforderer von Präsident
       Wladimir Putin hatte zu Demonstrationen aufgerufen, nachdem er am Montag
       zuvor von einem Moskauer Gericht [3][zu 20 Tagen Arrest] verurteilt worden
       war. Ihm wurde zur Last gelegt, gegen Versammlungsverbote verstoßen zu
       haben. Auch Nawalnys Stabschef Leonid Wolkow wurde mit einem 20-tägigen
       Arrest aus dem Verkehr gezogen.
       
       Der Protest hatte überdies einen symbolträchtigen Hintergrund: Präsident
       Putin feierte gestern Samstag seinen 65.Geburtstag. Die Kundgebung war
       somit auch ein besonderer Gruß des Herausforderers Nawalny an den
       Kremlchef. Der 41-Jährige will an den Präsidentenwahlen im März 2018
       teilnehmen. Da er wegen angeblichen Betrugs zu einer Bewährungsstrafe
       verurteilt wurde, [4][darf er jedoch nicht kandidieren].
       
       In Moskau folgten zwischen 1.000 und 2.000 Demonstranten dem Aufruf. Sie
       gingen mit der Losung „Für Nawalny“ auf die Straße. Das ungemütliche Wetter
       hatte sich unterdessen auf die Seite des Jubilars geschlagen. Viele hielten
       aufblasbare Enten in der Hand, die als Symbol für Korruption gelten. Andere
       hielten die russische Verfassung in die Höhe.
       
       Insgesamt waren in 80 Städten zwischen Kaliningrad und Wladiwostok
       Protestaktionen geplant. An einigen Orten gingen aber nur vereinzelt
       Demonstranten auf die Straße. Im Vergleich zu den Massenprotesten im März
       und im Juni, als zehntausende dem Ruf des charismatischen Politikers
       gefolgt waren, fiel der Aufmarsch diesmal bescheiden aus. Waren damals vor
       allem Jugendliche auf die Straße gegangen, waren am Wochenende auch sehr
       viele ältere Menschen unter den Demonstranten.
       
       Aus Jekaterinburg im Ural wurden besonders viele Festnahmen gemeldet. Auch
       in Sankt Petersburg kam es nach gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der
       Polizei zu Dutzenden Festnahmen. Zwei Mitarbeiter aus dem Wahlstab Nawalnys
       waren bereits vor Beginn der Veranstaltung festgesetzt worden. Dem
       Antikorruptionskämpfer gelang es am Samstag noch, aus der Haft die
       erheiternde Nachricht abzusetzen:“ Wenn wir nichts tun, werden sie uns für
       den Rest unseres Lebens diesen Fraß vorsetzen. Und unseren Kindern auch“.
       
       ## Mit Samstagsarbeit und Therapiegruppe ausgebremst
       
       Nach Angaben des Bürgerrechtler-Portals OvD waren im Vorfeld 120 Aktivisten
       aus dem Umfeld Nawalnys überprüft sowie deren Wohnungen und Büros
       durchsucht worden. Viele wurden danach festgesetzt. Von Kaliningrad über
       Sotschi bis zur Insel Sachalin im äußersten Osten schlugen die
       Sicherheitskräfte vor den Kundgebungen zu.
       
       Es wurden auch Versuche lokaler Behörden gemeldet, mögliche Demonstranten
       von der Teilnahme durch Auflagen abzuhalten. In der Lada-Stadt Togliatti
       etwa wurden Lehrer verpflichtet, mit Schülern einen Arbeitssamstag
       abzuhalten. In Pskow an der Grenze zu Estland war der Versammlungsort
       plötzlich vergeben: Am Fuß des Denkmals für Königin Olga hatte sich
       plötzlich auch die Therapiegruppe „Nüchternes Russland“ angemeldet.
       
       In Moskau skandierten die Demonstranten despektierlich: „Herzlichen
       Glückwunsch und auf Wiedersehen!“ Manche riefen übermütig: „Wir haben hier
       die Macht!“ Dieser Eindruck konnte entstehen, da sich die Sicherheitskräfte
       im Vergleich zu früheren Großdemonstrationen diesmal auffallend
       zurückhielten. Gleichwohl war in den Nebenstraßen ein Streitheer
       aufgefahren, das keine Zweifel an der Machtfrage aufkommen ließ.
       
       ## „Weise“ Zurückhaltung
       
       Der Historiker und Oppositionelle Valerie Solowei kommentierte die
       Zurückhaltung des Kremls als „sehr weise“. Diese Runde sei an den Kreml
       gegangen. Demnach hätten die Machthaber verstanden, dass von dem Protest
       für sie keine ernsthafte Gefahr ausginge. Die Aktion konnte auch wegen der
       kurzfristigen Ankündigung nicht richtig vorbereitet werden.
       
       Gut vorbereitet hatte sich lediglich das „Protestierende Moskau“. Für das
       Geburtstagskind hielt es mehrere weiße Pakete mit roter Schleife parat.
       Eine Gabe bestand aus einem „Rücktrittsgeschenk“, ein andere versprach
       einen „fairen Prozess“. Die Geschenkübergabe organisierte die Polizei, sie
       sammelte die Überraschungen umgehend ein.
       
       8 Oct 2017
       
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