# taz.de -- Doku über Kleinparteien in der ARD: Immer auf die Kleinen
       
       > In einer zweiteiligen TV-Doku will die ARD Kleinparteien vorstellen. Aber
       > stattdessen werden sie durch den Kakao gezogen.
       
 (IMG) Bild: Chef einer „Bettvorleger“-Partei? Der Piraten-Bundesvorsitzende Patrick Schiffer
       
       Bei Menschen, die schon länger im Fernsehen zu tun haben, ist es häufig
       schwer auszumachen, ob die gezeigten Emotionen echt sind – oder nur der
       Szenendramaturgie dienen. Wenn Julia Lehmann, Reporterin des Saarländischen
       Rundfunks, also im Schneidersitz auf einem Teppich sitzt und ungläubig auf
       den orange gekleideten Yogalehrer mit Rauschebart neben ihr schaut, ist
       kaum auszumachen: Ist sie wirklich von dessen Auftreten irritiert? Oder
       möchte sie den Zuschauern nur vorgeben, wie dieser Mensch zu beurteilen sei
       in seiner Andersartigkeit? Der Yogalehrer heißt Michael Moritz und ist
       Vorsitzender der spirituellen Kleinpartei „Menschliche Welt“. SR-Reporterin
       Lehmann besucht ihn für die zweiteilige ARD-Reportage „Wahl 2017: Die
       kleinen Parteien“, deren zweiter Teil jetzt im Ersten lief.
       
       Im Team mit Andreas Neumann von Radio Bremen hat Lehmann die Bundesrepublik
       bereist – auf der Suche nach Kleinparteien. Das sind jene Vereinigungen,
       die zwar bei Wahlen antreten, aber stets nur wenige Tausend Stimmen
       erhalten. In den Wahlergebnissen tauchen sie nur unter „Sonstige“ auf.
       Häufig gruppieren sie sich um ein bestimmtes Thema wie Tierschutz oder ein
       bedingungsloses Grundeinkommen. Und oft entsprechen das Auftreten und die
       Haltungen ihrer Mitglieder nicht denen der etablierten Parteien.
       
       Man muss kein Anhänger dieser Parteien sein, um ihre Anliegen respektvoll
       zu würdigen. Den ARD-Reportern scheint es aber vor allem darum zu gehen,
       die Aktivisten kleiner Parteien kamerawirksam durch den Kakao zu ziehen und
       deren Anliegen der Lächerlichkeit preiszugegeben.
       
       Und so sitzt die Reporterin im schwäbischen Wolfegg zwischen sonderbar
       gekleideten Hippies, die mit exotischen Instrumenten exotische Lieder
       spielen. Aus dem Off sagt die Reporterin: „Dass manche ihre friedliche
       Yoga-Philosophie seltsam finden, ist den Mitgliedern klar.“ Wobei unklar
       bleibt, wer genau eine Partei mit knapp 500 Mitgliedern seltsam finden
       soll, von der die meisten Wähler wohl noch nie etwas gehört haben.
       Versteckt die Reporterin hier bloß ihre eigene Meinung?
       
       ## Warum überhaupt die Mühe?
       
       Den Parteivorsitzenden Michael Moritz fragt Lehmann, ob er sich vorstellen
       könne, dass die Abgeordneten im Bundestag vor Sitzungen meditierten? Moritz
       antwortet, das halte er für unwahrscheinlich. Auf einem ähnlichen Niveau
       bewegen sich viele Fragen im Beitrag. Überraschend ist die stoische
       Gelassenheit, mit der die Yoga-Aktivisten die Spötteleien der Reporterin
       ertragen. Vielleicht führt Meditieren ja doch zu innerer Ruhe.
       
       Lehmanns Kollege Andreas Neumann gibt sich stellenweise demonstrativ
       desinteressiert an seinen Gesprächspartnern. Als Nicole Angerstein von der
       Magdeburger Gartenpartei schildert, wie ihre Parzelle für ein
       Infrastrukturprojekt eingeebnet wurde, zoomt die Kamera weg von der
       Interviewten auf den Reporter und dessen gleichgültigen Gesichtsausdruck.
       Die Gartenpartei wendet sich gegen Bebauungspläne für Kleingartenanlagen.
       Das muss außerhalb von Magdeburg niemand für politisch relevant halten,
       aber warum sucht Neumann die Kleingärtner dann auf?
       
       ## Flucht ins spöttische Boulevard
       
       Schon mit der Inszenierung der Interview-Termine machen die beiden Reporter
       klar, dass sie an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit ihren
       Gesprächspartnern nicht interessiert sind. Vertreter der Bayernpartei
       müssen ihr Wahlprogramm im Wirtshaus bei Weißbier vorstellen, obwohl sie
       mehrfach vehement dagegen protestieren, auf derlei Klischees reduziert zu
       werden. Von der Tierschutzpartei wird eine besonders hysterisch wirkende
       Aktivistin im Wahlkampf gezeigt, die schreiend auf Tierleid aufmerksam
       macht.
       
       Piratenpartei-Chef Patrick Schiffer wird zu einem Interview auf
       Campingstühlen auf dem Vorplatz des Berliner Abgeordnetenhaus geladen. Der
       Reporter sagt dazu süffisant: „Wir hätten ja gerne dort drinnen mit ihnen
       diskutiert“, um sich danach darüber lustig zu machen, dass den Piraten der
       Wiedereinzug ins Landesparlament 2016 nicht gelang. Zu einem „Bettvorleger“
       habe sich die Partei gewandelt.
       
       Den Aktivisten der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), Christoph
       Vandreier, fragt Lehmann, ob es nicht auch fair sei, dass, wer viel
       arbeite, „auch viel verdient“. Vandreier antwortet: „Acht Individuen auf
       der Welt haben so viel Vermögen, wie die andere Hälfte der Menschheit. Und
       es ist doch nicht so, dass die so viel leisten würden, wie die andere
       Hälfte der Menschheit.“ Es wäre spannend gewesen, Lehmanns Antwort auf
       diese [1][Oxfam-Statistik] zu hören. Doch statt sich auf eine inhaltliche
       Auseinandersetzung einzulassen fragt sie: „Das macht sie wütend, oder?“ –
       und wechselt in Sekundenschnelle vom Konfrontationsjournalismus in den
       spöttischen Boulevard.
       
       ## Man sollte ihnen Respekt entgegenbringen
       
       Beim Umgang mit rechtsradikalen Parteien schlagen sich die Reporter besser.
       Weil sie jede Partei besuchen möchten, die mit mindestens einer Landesliste
       zur Bundestagswahl antritt, erhalten auch die Die Rechte und die NPD ein
       Programmfenster. Rechte-Vorsitzender Sascha Krolzig kommt schnell ins
       Stammeln, als die Reporterin ihn mit seinen Vorstrafen konfrontiert. Man
       merkt beiden Moderatoren an, dass es ihnen ein persönliches Anliegen ist,
       den Rechtsextremisten Paroli zu bieten.
       
       Bei der Partei der Humanisten verfällt die ARD-Doku dann doch wieder in
       substanzlose Blödeleien. Das Interview findet vor dem Kölner Dom statt.
       „Radikale Säkularisten vor einem sakralen Monumentalbau, das wird sicher
       ein Spaß“ haben sich die Redakteure wohl gedacht. Falsch gedacht. Der
       Parteivorsitzende Felix Bölter hat kein Problem mit gotischen
       Gotteshäusern, wohl aber mit dem massiven politischen Einfluss der
       katholischen Kirche in Deutschland – den er detailreich schildert. Reporter
       Lehmann spielt die soziale Karte. Wenn die Kirchensteuer wegfiele, könnten
       die Kirchen dann nicht weniger Gutes tun? Man könne solche Gelder auch
       nicht-religiösen Trägern zugänglich machen, lautet die Entgegnung. Bevor
       Details geklärt sind, geht es schon wieder weiter.
       
       In der raschen Abfolge kurzer Segmente fehlt auch leider Zeit zur
       Reflektion über Sinn und Unsinn kleiner Parteien. Man kann sich darüber
       streiten, ob die Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo), die chinesische
       Regimekritiker für Agenten des US-Außenministeriums hält, die Demokratie
       bereichert. Doch häufig treffen monothematische Parteien auch den Zeitgeist
       und verbreitern den Diskurs. Das bedingungslose Grundeinkommen, für das
       sich das gleichnamige Bündnis einsetzt, genießt laut Umfragen eine hohe
       Popularität in Deutschland. Außerdem sind kleine Parteien ein Ausdruck
       zivilgesellschaftlichen Engagements. Hier versuchen Menschen, am
       politischen Willensbildungsprozess mitzuwirken. Dafür sollte man ihnen
       zumindest ein wenig Respekt entgegenbringen.
       
       12 Sep 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.oxfam.org/en/pressroom/pressreleases/2017-01-16/just-8-men-own-same-wealth-half-world
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jörg Wimalasena
       
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