# taz.de -- Erfundene Identität: Das Gesicht eines anderen
       
       > Fotografen und das Netz feiern den Kriegsfotografen Eduardo Martins. Dann
       > verschwindet er. Es stellt sich heraus: Martins hat nie existiert.
       
 (IMG) Bild: Auch das UNHCR fiel auf den angeblichen Fotografen Eduardo Martins rein
       
       Rio de Janeiro taz | Fernando Costa Netto macht aus seinem Frust keinen
       Hehl. Der renommierte brasilianische Fotograf war vielleicht der Letzte,
       der von Eduardo Martins per WhatsApp hörte: Der angebliche Freund,
       Landsmann, Kollege, Kriegsfotograf und Shootingstar in sozialen Netzwerken
       hatte sich nach Australien abgesetzt. Er werde alles abbrechen, auch seine
       Präsenz im Internet löschen, und ein Jahr lang herumreisen, verabschiedete
       sich Martins.
       
       Wenig später titelte Costa Netto in seiner Kolumne auf einem Surferportal
       „Edu Martins ist tot“. Er selbst, eine Geliebte in Rio de Janeiro und viele
       Journalisten sowie große Medien weltweit seien auf den ebenso schamlosen
       wie genialen Betrüger hereingefallen. Keine Fake News, sondern eine
       komplette Fake-Geschichte, mit gefälschten Kriegsfotos aus Syrien,
       erfundenen Surfkursen für Kids im Gazastreifen und über 120.000 realen Fans
       auf Instagram. Inzwischen sucht die Polizei „Edu“ wegen
       Internetkriminalität.
       
       Als Erstes schöpfte die BBC Verdacht. Der britische Sender hatte im Juli
       Fotos und Videos von Martins samt einem Interview mit dem Kriegsfotografen
       auf seiner Webseite veröffentlicht. Dass er nur per WhatsApp, aus
       Sicherheitsgründen aber nicht per Telefon kommunizieren wollte, wurde
       akzeptiert. Doch eine freie Mitarbeiterin des Senders fand seine
       Vor-Ort-Berichte aus dem Kriegsgebiet widersprüchlich. Im Irak stellten
       Kolleginnen und Kollegen bald fest, dass niemand Martins je persönlich
       getroffen hatte. Verwunderlich, zumal Martins in brasilianischen Magazinen
       und auch im Wall Street Journal, bei Al-Dschasira und in der Deutschen
       Welle Reportagen mit hautnahen Beschreibungen der Kriegsgräuel
       veröffentlichte.
       
       Recherchen brachten immer mehr Widersprüche ans Tageslicht, berichtete die
       BBC später. Einen von Martins vorgegebenen Auftrag von Netflix hat es nach
       Angaben des Streaming-Anbieters nie gegeben. Auch die Existenz des
       Fotografen @shadikadar, dessen Tod bei einem Bombenangriff im Gazastreifen
       von Martins wortreich bedauert wurde, konnte später niemand bestätigen. Die
       BBC nahm schließlich Kontakt mit Costa Netto auf, der gerade eine
       Fotoausstellung von brasilianischen Reportern in Kriegsgebieten
       organisieren wollte. Der machte sich Sorgen, ob Martins vom „Islamischen
       Staat“ entführt worden sei, da er sich seit Tagen nicht mehr meldete.
       
       ## Ein ganzes Leben
       
       Sogar die UNO fiel auf den Fake-Fotografen herein. Angeblich arbeitete
       Martins auch für das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge und machte in
       dessen Auftrag Fotos. Doch nirgends gab es darüber offizielle Dokumente,
       räumte ein UN-Sprecher ein und versprach Nachforschungen. Die Indizien für
       die Nichtexistenz von Eduardo Martins wurden immer deutlicher. Die BBC
       machte sogar fünf Geliebte des attraktiven Mannes Ende 20 aus, die sich
       aber alle mit einer rein digitalen Beziehung zufrieden gegeben und ihn nie
       persönlich zu Gesicht bekommen hatten.
       
       Martins erfundener Lebenslauf war Teil seiner Erfolgsgeschichte: Mit 25
       Jahren bezwang er nach sieben langen Jahren eine schwere Krebserkrankung.
       Seitdem war er auf der Suche nach einem neuen Sinn für sein Leben. Er bot
       sich an, als Freiwilliger mit Flüchtlingen zu arbeiten, zumeist in Nahost,
       aber einige Bilder zeigten ihn auch mit aidskranken Kindern in Afrika. Er
       wollte die Welt wachrütteln und mit drastischen Fotos auf Unterdrückung und
       Kriegsverbrechen hinweisen. Seine Geburtsstadt São Paulo hatte er gegen
       eine Kleinstadt im Gazastreifen eingetauscht, wo er sich von den Strapazen
       erholte. Dort brachte er jugendlichen Palästinensern sein liebstes Hobby,
       das Surfen, bei.
       
       Zehntausende Fans kennen diese mitreißende Geschichte, die seit Anfang 2016
       in den Netzen kursiert und in seriösen Medien weltweit publiziert wurde.
       
       Der englische Surfer Max Hepworth-Povey gehörte nicht zu diesen Fans. Umso
       mehr staunte er, als er feststellte, dass es sein Gesicht war, das den
       Instagram-Account von Martins schmückte. „Zuerst dachte ich, es sei ein
       schlechter Scherz. Es ist ein eigenartiges Gefühl, wenn jemand ganz anderes
       Bilder von dir als seine eigenen im Internet ausgibt“, sagte
       Hepworth-Povey.
       
       Zweifellos war Martins in digitaler Bildbearbeitung versiert. Der
       brasilianische Fotograf Ignácio Aronovich stellte fest, dass viele von
       Martins’ Bildern einfach nur gespiegelt waren. Bei einer Netzrecherche nach
       den zurückgespiegelten Bildern sei er auf diverse Originale gestoßen, unter
       anderem des US-Fotografen Daniel C. Britt, erklärte Aronovich im
       brasilianischen Newsportal Sputniknews. Vermutlich klaute Martins all seine
       Kriegs- und Flüchtlingsbilder von anderen Fotografen. Mittels kleiner
       digitaler Veränderungen gelang es ihm sogar, sie bei Agenturen wie Getty
       Images und Zuma Press zu verkaufen. Einige dieser Fotos schafften es bis
       ins Wall Street Journal und in die russische Iswestija.
       
       Inzwischen hat Martins all seine Netzidentitäten gelöscht. Technisch kein
       einfaches Unterfangen – doch zumindest bei seiner Website handelte er sehr
       vorausschauend: Er hatte die Domain über einen Anbieter in Florida gekauft,
       der absolute Geheimhaltung garantiert. Die Suche nach Eduardo Martins hat
       wohl gerade erst begonnen.
       
       19 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Behn
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Krieg
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 (DIR) Schwerpunkt Syrien
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 (DIR) Schwerpunkt Syrien
       
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