# taz.de -- AfD-Wahlkampf in Berlin: Die nette Jeannette von der AfD
       
       > In keinem Berliner Bezirk war die AfD im vergangenen Jahr so erfolgreich
       > wie in Marzahn-Hellersdorf. Jeannette Auricht will hier das Direktmandat
       > für ihre Partei holen.
       
 (IMG) Bild: Jeanette Auricht im Abgeordnetenhaus – jetzt will sie in den Bundestag
       
       Jeannette Auricht lächelt, schüttelt Hände, streicht sich den schwarzen
       Rock glatt und zupft an ihrer goldenen Kette herum. Seit mehr als einer
       Stunde macht sie das, der Raum um sie herum hat sich in dieser Zeit
       gefüllt: An die 200 Menschen sind in ein Restaurant gekommen, das noch
       hinter Hellersdorf liegt, 50 Meter jenseits der Stadtgrenze, und
       „Mittelpunkt der Erde“ heißt. Draußen auf dem Dach wehen drei verschiedene
       Fahnen, denn es ist ein deutsch-griechisch-bulgarisches Restaurant.
       Drinnen, im Saal mit Laminatboden und Rosentapeten, ist nur noch eine Fahne
       übrig geblieben, denn an diesem Samstag ist hier die AfD zu Gast.
       
       Der thüringische Fraktionschef Björn Höcke soll kommen, er verspätet sich,
       und deswegen muss Auricht weiter Hände schütteln und ihren Rock
       glattstreichen. Sie ist die Gastgeberin, es ist ihre
       Wahlkampfveranstaltung: Auricht sitzt nicht nur für die AfD im
       Abgeordnetenhaus, sie ist auch Direktkandidatin der AfD in
       Marzahn-Hellersdorf. Und auch wenn sie kaum Chancen hat – zu fest sitzt die
       Linkenpolitikerin Petra Pau hier im Sattel –, ist dieser Wahlkreis für die
       Partei doch besonders wichtig: Bei der Abgeordnetenhauswahl im letzten Jahr
       wurde die AfD hier mit einem hauchdünnen Vorsprung stärkste Kraft, und von
       allen AfD-Direktkandidaten könnte Auricht aktuellen Prognosen zufolge das
       mit Abstand beste Ergebnis erzielen.
       
       Auricht ist freundlich, auch gegenüber der taz. Wo sie und ihr Kreisverband
       politisch stehen, dürfte spätestens mit der Wahl ihres heutigen Gastes
       deutlich werden, auch der Pro-Deutschland-Vorsitzende und
       Bärgida-Organisator Manfred Rouhs sowie ein NPDler im Publikum scheinen
       hier niemanden zu stören.
       
       „Höcke, Höcke“-Sprechchöre brechen aus, als der Star des heutigen Tages
       endlich den Saal betritt. Doch auch Auricht erntet mit ihrer Rede
       begeisterten Applaus von den älteren Herren mit abgewetzten Jacketts, den
       Damen mit Föhnfrisur und den jungen Männern mit ihrem dritten Bier in der
       Hand, die hier die Reihen füllen. Nicht zu Beginn, als sie über die
       Wirtschaftspolitik der EU und die Euro-Rettungspakete spricht: Dieses
       Thema, mit dem die AfD einst als Einpunktpartei angetreten war, scheint
       hier nicht besonders zu interessieren, gelangweilt holt der ein oder andere
       Zuhörer sein Handy hervor.
       
       Viel besser läuft es für Auricht, als sie über ihre Arbeit im
       Abgeordnetenhaus plaudert. Weniger von eigener Arbeit spricht sie, sondern
       gibt vielmehr eine Sammlung vermeintlich besonders schräger Possen aus dem
       Gleichstellungsausschuss zum Besten, dem sie angehört: Berlin gibt Tausende
       Euro für Unisex-Toiletten aus, weil die Genderisten der Meinung sind, dass
       Frauen nun auch im Stehen pinkeln müssen! Da rollen die Lachsalven durch
       den Saal.
       
       Die nette Jeannette aus der Nachbarschaft, die aus der verrückten Welt der
       rot-rot-grünen Politik berichtet, das funktioniert hier hervorragend. Ein
       Hinweis auch darauf, dass sich die häufig gehörte Prophezeiung, die AfD
       werde sich, einmal mit Amt und Mandat ausgestattet, schon selbst
       entzaubern, ganz und gar nicht erfüllt: Ob Auricht und ihre
       Fraktionskollegen im Laufe des letzten Jahres selbst irgendetwas umsetzen
       konnten, interessiert hier niemanden, nicht einmal eine solche Erwartung
       scheint es zu geben – schließlich ist die AfD in der Opposition, was kann
       sie da schon ausrichten!
       
       Die Rolle des vermeintlichen Underdogs, der Anti-Establishment-Partei,
       funktioniert sogar noch besser, wenn sie garniert wird mit ein paar
       Geschichten aus der verrückten Welt der großen Politik. Inhaltlich sind es
       nicht nur die Ressentiments gegen Flüchtlinge, auf die die AfD in
       Marzahn-Hellersdorf setzt, sondern auch sozialpolitische Themen: die hohe
       Erwerbslosigkeit, Kinderarmut, die auch hier steigenden Mieten.
       
       Im Gespräch mit Auricht offenbart sich dabei erneut ein zentrales Paradox
       der Partei. Um die Arbeitslosigkeit zu senken, müssten sich wieder mehr
       Firmen in Marzahn-Hellersdorf ansiedeln, sagt Auricht, deshalb sollten in
       Berlin die Gewerbe- und die Grunderwerbsteuer dringend gesenkt werden.
       Steuererleichterungen für Unternehmen – das also ist die Sozialpolitik der
       AfD für den kleinen Mann von der Straße.
       
       Auch eine weitere Widersprüchlichkeit der AfD wird an Auricht deutlich: Das
       konservative Familienbild mit der Frau am Herd, für das die Partei steht,
       ist auf den ersten Blick nicht zu vereinbaren mit dem Selbstbild vieler
       Frauen im Osten, für die die eigene Erwerbstätigkeit ebenso
       selbstverständlich ist wie die Tatsache, dass man die Kinder schon mit
       wenigen Monaten in die Krippe gibt. Auch Auricht präsentiert sich als
       selbstbewusste Karrierefrau, nach ihrer Position zu diesem Thema gefragt,
       vertritt sie aber vehement: Die deutsche Familienpolitik tue „viel zu wenig
       für die Frauen, die zu Hause bleiben wollen“.
       
       Von ihrem eigenen Wahlkreis scheint Auricht weniger Ahnung zu haben, als es
       die häufige Betonung ihrer Herkunft als „gebürtige Mahlsdorferin“ vermuten
       lässt. Als zentrales Lokalthema nennt sie die Wiederbelebung des
       Kastanienboulevards in Hellersdorf, einst florierende Einkaufsstraße, heute
       verwaist und verwahrlost und damit tatsächlich ein Aufregerthema im Bezirk.
       
       Nur: Auricht schlägt vor, durch günstigere Mieten sollten Unternehmen dazu
       gebracht werden, sich dort wieder anzusiedeln – dass die Deutsche Wohnen im
       verzweifelten Bemühen, den Boulevard wiederzubeleben, dort längst besonders
       günstige Gewerbemieten aufruft, weiß die Direktkandidatin entweder nicht
       oder ignoriert es bewusst zugunsten der populistischen Forderung.
       
       Diese Unstimmigkeiten sind aber auch nicht so wichtig im AfD-Wahlkampf in
       Marzahn-Hellersdorf. Hier geht es um das, was auch Björn Höcke in seiner
       Rede heute par excellence ausführt: Die Ängste der hier lebenden Menschen –
       vor dem Abgehängtsein, vor dem Abgeschafftwerden – werden erst kräftig
       geschürt. Um dann die eine verbliebene positive Identifizierungsmöglichkeit
       dagegen in Stellung zu bringen: Seid stolz darauf, deutsch zu sein. Und wer
       stolz ist, deutsch zu sein, der wählt AfD. So funktioniert das hier, und es
       sollte nicht wundern, wenn die AfD in Marzahn-Hellersdorf am 24. September
       erneut ein herausragendes Ergebnis einfährt.
       
       13 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Malene Gürgen
       
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