# taz.de -- Politik-Talkshows vor der Wahl: Faktencheck erznaiv
       
       > Nach dem TV-Duell überboten sich ARD und ZDF darin, ein Bild von der
       > Wirklichkeit zu erzeugen, das nur noch partikelweise mit ihr verbunden
       > ist.
       
 (IMG) Bild: Wer spricht?
       
       Die Frage danach, was die Wirklichkeit ausmacht, beschäftigt die Menschheit
       seit der Antike. Der Soziologe Dirk Baecker erinnert im Septemberheft des
       Merkurs daran, dass antike Philosophen Wirklichkeit als Entzug
       betrachteten. Diese Idee erlaubt es, den Mangel an Anschaulichkeit und
       Griffigkeit gedanklich zu kompensieren. Das deutsche Fernsehen fällt im
       Showdown drei Wochen vor der Bundestagswahl hinter dieses Denken zurück. Es
       schlägt sich auf die Seite der Simulation.
       
       Nach [1][dem Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz] überboten sich
       ARD und ZDF darin, ein Bild von der Wirklichkeit zu erzeugen, das mit ihr
       nur noch partikelweise verbunden ist. Das kleinstmögliche Detail übernimmt
       die Aufgabe der Repräsentation. So machen sich die Programme einen
       erstaunlich schlanken Fuß. In welcher Dramaturgie gehen sie zur Sache?
       
       Natürlich ist eine politische Diskussionsrunde kein Amtsgericht. Wer wollte
       darin die Rollen der Richterin, des Staatsanwalts, des Beklagten oder einer
       Zeugin spielen? Mit welcher Legitimation? Weil man darüber nicht
       nachgedacht hat, sieht es nur so aus wie ein Gericht, aber wie eines, dem
       die Strafprozessordnung fehlt.
       
       Das beginnt damit, dass in allen Runden seit dem letzten Sonntag die Agenda
       der AfD auf die simpelste Weise die Fragerunden dominierte. Man macht sich
       ihr verzerrtes Bild der Wirklichkeit scheinbar nur spielerisch zu eigen und
       überlässt es den Konkurrenten der anderen Parteien, darauf zu antworten.
       
       ## Informationsauftrag zu Grabe getragen
       
       Die Idee einer Ermittlung wird so einem Wettbewerb zwischen konkurrierenden
       Positionen überlassen, an dessen Ende das Ausgangsbild der AfD ein bisschen
       angeschlagen zurückbleibt, während die Reaktion der anderen Parteien als
       lahme Einwände in der Luft hängen. Die Redaktionen haben darauf verzichtet,
       das verzerrte Bild durch Nachfragen und eigene Recherchen zu überprüfen.
       Kläglicher kann der Informationsauftrag des öffentlich-rechtlichen
       Fernsehens nicht zu Grabe getragen werden.
       
       Nehmen wir nur zwei Beispiele: Noch vor dem Duell gab Frank Plasberg dem
       AfD-Spitzenkandidaten Alexander Gauland Gelegenheit, seine entsetzliche
       Entgleisung zu Aydan Özoğuz maulfaul zu verteidigen. Vordergründig
       inszenierte der Moderator eine Anklage. Tatsächlich ermöglichte Plasberg
       der AfD eine einstündige Dauerwerbesendung.
       
       Die Überdosis von Spezialsendungen und Diskussionsrunden nach dem Duell
       zeichnete mit zahlreichen Details ein verzerrtes Bild der politischen
       Wirklichkeit. In der Woche zuvor war zu besichtigen, wie Ingo Zamperoni und
       Ronja von Rönne für ein junges Wahlpublikum Spitzenpolitiker aus allen
       Parteien so dämlich befragten, dass man sich fragen musste, ob sie ihr
       Publikum für politisch uninformiert, wenn nicht für dumm halten. Platter
       ging es nicht.
       
       Marietta Slomka, sonst als scharfe Fragerin im „heute journal“ profiliert,
       führte ihre Wahlsendung wie eine gedopte Tanzbärin. Ihr assistierte
       „WISO“-Moderator Marcus Niehaves, der seine Zahlen, Daten und Fakten so
       rasend runterrasselte, dass selbst einem erfahrenen Erklärbären wie mir die
       Ohren wackelten.
       
       ## Republik waidwund geschossen
       
       Zu jedem Thema haben sie – als Simulation der repräsentativen Demokratie –
       zwei Studiogäste, die zuvor in Kurzreportagen aus ihrem privaten oder
       beruflichen Alltag berichten. Nur Heiko Maas und Jürgen Trittin hielten
       dem erznaiven Konzept des Wahlspezials des ZDF stand.
       
       Allen Shows, denn das waren keine Informationssendungen, fehlte jede Idee
       von der politischen Praxis des Framings. Keine zeigte durch Moderation oder
       Einspieler ein angemessenes, recherchebasiertes Verständnis davon, wie man
       auf verzerrte Einzelinformationen durch eigene Recherchen antwortet. Das
       hängt mit dem naiven Verständnis von „Faktenchecks“ zusammen, das die
       partikulare AfD-Wirklichkeit, ohne es zu merken, übernimmt.
       
       Und so hat das Fernsehen – und ebendarum geht es beim Framing, das Begriffe
       besetzt und in den politischen Gefühlshaushalt transplantiert – den
       Begriffen der AfD einen Resonanzraum erschlossen und einen
       Wahrheitsanspruch eingeräumt, der ihnen nicht zusteht. Die Anstalten und
       ihr Sondersendungsoverkill haben die Republik waidwund geschossen.
       
       Am Ende dieser Woche bleibt die melancholische Erinnerung an die
       Fragetechnik von Günter Gaus. Was hätte Gaus allein mit sechs Kandidatinnen
       und Kandidaten in sechs Sendungen möglich gemacht? Es bleibt uns nur, davon
       zu träumen.
       
       8 Sep 2017
       
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