# taz.de -- Studie zu Doping im Leistungssport: Die Promille-Illusion
       
       > Lange verhinderten Funktionäre die Publikation einer Studie, in der ein
       > Drittel aller Leichtathleten Doping zugibt. Jetzt sind die Zahlen
       > öffentlich.
       
 (IMG) Bild: Foto aus dem Wassergraben bei der Leichtathletik-WM im südkoreanischen Deagu 2011
       
       Ein Drittel aller Leichtathleten und gar knapp die Hälfte aller Teilnehmer
       der Panarabischen Spiele hat im Jahre 2010 gedopt. Das ergab eine Studie
       der Universität Tübingen, die nach [1][langem Gezerre] [2][hinter den
       Kulissen] jetzt endlich veröffentlicht werden darf. Diese Zahlen
       entsprechen mehr dem Bauchgefühl von Sportlern, Trainern und Journalisten
       als die lächerlichen Trefferquoten der Antidopingagenturen.
       
       Einer von 100 oder einer von drei? Das ist die große
       Dopingbeteiligungsfrage. Glaubt man den Statistiken der
       Antidopingagenturen, dann liegt die Quote der Doper im Promille- bis
       einstelligen Prozentbereich. Die deutsche Nada fand 2016 bei 15.359 Tests
       lediglich 98 positive Fälle, von denen gerade einmal 20 Fälle zu Sanktionen
       führten. 20 von 15.359 – richtig sauber ist der deutsche Sport aus dieser
       Perspektive. In der großen weiten Welt des Sports muss man den Spitzenwert
       von nur 0,13 Prozent Dopern immerhin mit dem Faktor 10 multiplizieren. Bei
       196.581 Proben in den Olympischen Sportarten stieß die
       Welt-Antidopingagentur Wada im Jahr 2015 auf 3.219 positive Fälle. Das
       macht 1,64 Prozent.
       
       Auch diese Zahlen begeistern Funktionäre. Machen sie doch glauben, dass der
       Sport fast komplett frei von Betrügern sei. Natürlich sind sich Dopingjäger
       im Klaren darüber, dass die Dunkelziffer wesentlich höher ist. Wie hoch
       aber genau? Bereits 2002 befragte ein Wissenschaftlerteam der Uni
       Düsseldorf deutsche Spitzensportler in einem anonymisierten Testverfahren –
       und kam bei einem Teilnehmerfeld von 467 Kaderathleten auf eine Quote von
       42 Prozent Dopern.
       
       2008 knüpfte die Uni Tübingen daran an. Bei 480 deutschen Nachwuchsathleten
       stieß sie auf immerhin 6,8 Prozent Dopingbejaher unter der Sportlern. 2011
       dehnte die Tübinger Forschergruppe um Rolf Ulrich und Perikles Simon die
       Befragung international aus. Sie nutzte die Leichtathletik-WM im
       koreanischen Daegu und die Panarabischen Spiele in Doha für einen
       verfeinerten Test.
       
       ## Mindestens ein Drittel der Sportler schuldig
       
       Nach einem Zufallsprinzip – ausschlaggebend war hier, ob der Geburtstag
       eines nahen Bekannten oder Verwandten des Athleten in die ersten zehn oder
       die letzten 20 Tage eines Monats fiel – wurde entweder eine sensible
       Dopingfrage oder aber eine weitere belanglose Geburtstagsfrage gestellt.
       Dieses Testdesign soll den Befragten absolute Anonymität garantieren und
       sie zugleich zur Ehrlichkeit in der Unehrlichkeit ermuntern.
       
       Etwa zwei Drittel aller gemeldeten Athleten der Leichtathletik-WM (1.290
       von 1.841) sowie knapp ein Drittel der Starter der Panarabischen Spiele
       (1.030 von 3.346) wurde angesprochen; mehr als 90 Prozent beantworteten die
       Fragen. 43 Prozent der befragten WM-Teilnehmer und 57 Prozent der
       Panarabischen Sportler gaben schließlich zu, im Vorjahr gedopt zu haben.
       Nach einer Bereinigung der Zahlen – es wurden vor allem die ganz schnellen
       Antwortgeber als potenzielle Fehlerquellen aussortiert – blieben immer noch
       30 bis 31 Prozent der Leichtathleten und 45 bis 49 Prozent der arabischen
       Sportler in den Olympischen Disziplinen als Doper übrig.
       
       Das sind imposante Zahlen. Es ist kaum verwunderlich, dass die Studie sechs
       Jahre unter Verschluss blieb. Die Zahlen sickerten zwar schon vorher durch,
       aber das offizielle Publikationsverbot verhinderte eine echte Debatte. Wer
       Interesse am Verschweigen der Untersuchung hatte, wurde bei den
       Befragungen des Antidopingausschusses des britischen Parlaments deutlich.
       Der Ausschuss veröffentlichte einen Briefverkehr, in dem
       Leichtathletik-Chef Sebastian Coe als großer Publikationsverhinderer der
       Studie auftauchte. Coe, das darf man unterstellen, wollte weder die London
       Olympics 2012 noch die gerade ebenfalls an der Themse über die Bühne
       gegangene Leichtathletik-WM 2017 im Dopingzwielicht sehen.
       
       Statt die Publikation zu verzögern, hätte Lord Coe die Gefahr ernst nehmen
       und das Tübinger Team den Daegu-Test in seiner Heimat wiederholen lassen
       sollen. Die Glaubwürdigkeit des Weltsports und auch die des globalen
       Testsystems sind wieder mal erschüttert.
       
       29 Aug 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.spiegel.de/sport/sonst/doping-studie-forscher-werfen-iaaf-vertuschung-vor-a-1048341.html
 (DIR) [2] https://www.uni-tuebingen.de/newsfullview-landingpage/article/grundsaetzliches-einverstaendnis-der-wada-zur-veroeffentlichung-der-tuebinger-doping-studie.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Mustroph
       
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