# taz.de -- Prozess in Ankara: Das große Gerichtsspektakel
       
       > Am 1. August hat der Prozess gegen 486 mutmaßliche Putschisten begonnen.
       > Die Anklage fordert mehrfach lebenslänglich – Schaulustige sogar die
       > Todesstrafe.
       
 (IMG) Bild: Öztürk beteuert, er habe versucht die Putschisten zu beschwichtigen
       
       „Wir wollen die Todesstrafe!“, brüllen sie. Sie haben Taue in den Händen,
       aus denen sie Stricke gemacht haben, mit denen sie andeuten, dass sie die
       Leute erhängen wollen. Die, die an ihnen vorbeilaufen, sind Angeklagte aus
       dem Militär, die für den Putsch in der Türkei verantwortlich gemacht
       werden. Sie werden von Soldaten begleitet, die sie durch das Spalier der
       aggressiven Masse führen.
       
       Es ist der 1. August, die Gerichtsverhandlung gegen 486 mutmaßliche
       Putschisten in Ankara beginnt. Im Zentrum der Anklage stehen die
       Ereignisse, die sich am Luftwaffenstützpunkt Akıncı in Ankara ereignet
       haben und von wo aus der Putschversuch koordiniert worden sein soll.
       
       ## Staatspräsident tritt als Kläger auf
       
       Laut Anklageschrift sollen der Generalstabschef Hulusi Akar und andere
       Befehlshaber des türkischen Militärs am Abend des Putsches als Geiseln auf
       diesen Stützpunkt in Ankara gebracht worden sein. Kampfjets und Helikopter,
       die unter anderem das türkische Parlament bombardierten, sollen von hier
       aus gestartet sein.
       
       Der Prozess gegen die 486 Angeklagten könnte die Wahrheit über den 15. Juli
       ans Licht bringen, dessen Details immer noch größtenteils im Unklaren
       liegen. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, Parlamentspräsident
       İsmail Kahraman, Justizminister Bekir Bozdağ und andere Abgeordnete
       treten im Verfahren als Kläger auf.
       
       ## „Zivile Imame“
       
       Für die größte Diskussion in diesen Tagen sorgt der Angeklagte Akademiker
       Adil Öksüz. In den Medien wird er auch „Imam der Luftstreitkräfte“ genannt.
       Als „Zivile Imame“ werden Personen bezeichnet, von denen angenommen wird,
       sie seien als nichtmilitärischer Flügel am Putschversuch beteiligt gewesen.
       Der Begriff „Imam“ ist dabei eine Referenz auf den Prediger Fethullah
       Gülen, der als Initiator des Putschversuchs gilt. Öksüz wurde am 16. Juli
       2016 auf dem Gelände des Luftwaffenstützpunks festgenommen.
       
       Trotz belastender Indizien und der Forderung des Staatsanwalts auf
       Verhaftung wurde Öksüz von den Richtern auf freien Fuß gesetzt. Gegen die
       Richter wird inzwischen ermittelt. Seither ist Öksüz nicht mehr auffindbar.
       Neben ihm stehen Haftbefehle gegen sechs weitere Personen aus, die nicht
       vor Gericht erschienen sind. Neben den angeklagten Militärs gibt es auch
       jede Menge Leute, die aus nicht nachvollziehbaren Gründen angeklagt sind:
       der Unternehmer Kemal Batmaz, der Filmproduzent Nurettin Oruç und der
       Pädagoge Hakan Çiçek.
       
       ## Exgeneral Öztürk beteuert Unschuld
       
       Ein weiterer Angeklagter ist der ehemalige Luftwaffen-Kommandant Akın
       Öztürk. Ihm wird vorgeworfen, den Putschversuch befehligt zu haben. Öztürk,
       der während seiner Untersuchungshaft gefoltert worden sein soll, wird
       vorgeworfen, in der Nacht vom 15. Juli die Ereignisse im
       Luftwaffenstützpunkt koordiniert zu haben. Vor Gericht weist der Exgeneral
       Öztürk diese Anschuldigungen zurück. Er habe im Gegenteil auf Bitten von
       Hulusi Akar die ganze Nacht versucht, die Putschisten zu beschwichtigen.
       
       Bei seiner Verteidigungsrede am Freitag sagte Öztürk zudem: „Ich wünschte,
       ich wäre bei einem der vielen Kampfeinsätze gestorben und müsste mich heute
       nicht diesen Anschuldigungen aussetzen.“ Öztürk, der 46 Jahre als Pilot der
       Luftwaffe diente, sagte aus, dass der Putschversuch mit Hilfe
       „ausländischer Kräfte“ von einer gülennahen Gruppe ausgeführt wurde.
       
       Der angeklagte Çiçek, Eigentümer einer Privatschule, gab zu, sich am Abend
       der Putschnacht auf dem Stützpunkt in Ankara aufgehalten zu haben. In
       seiner Verteidigung gab er an, dass Oberst Ahmet Özçetin ihn zu einem Drink
       mit anderen Militärangehörigen eingeladen hatte und er sich nur deshalb in
       der Putschnacht auf dem Gelände befand.
       
       ## 303-mal „lebenslänglich“
       
       Von den 486 Angeklagten befinden sich 461 in Untersuchungshaft. Sie sind
       unter anderem angeklagt wegen der „Verletzung der Verfassung, des Komplotts
       gegen den Staatspräsidenten, des Versuchs, die Rechtsordnung aufzuheben und
       die türkische Republik zu vernichten, der Leitung einer terroristischen
       Organisation und der Usurpation türkischer Militärs und Totschlags“.
       
       Die Staatsanwaltschaft fordert in 303 Fällen eine erschwerte lebenslange
       Haft. Die von der Menge außerhalb des Gerichtssaals geforderte Todesstrafe
       wurde in der Türkei 2002 aufgehoben. Doch seit dem Putschversuch hat
       Präsident Erdoğan immer wieder für die Wiedereinführung geworben.
       
       Die Gerichtsverhandlung fand in einem eigens für die Angeklagten
       errichteten Saal auf dem Campus der Haftanstalt Sincan in Ankara statt, der
       Platz für 500 Personen bietet. So wie in anderen Verfahren gegen
       mutmaßliche Putschisten war auch dieses Verfahren bisher geprägt von
       Forderungen nach Todesstrafe und einer einheitlichen „Gefangenenuniform“
       für die mutmaßlichen Putschisten.
       
       ## Sträflingsanzüge à la Guantámo
       
       Die Forderung nach Sträflingsanzügen geht auf eine Aussage des
       Staatspräsidenten zurück, man müsse den Putschisten Uniformen à la Guantámo
       verpassen. In der regierungsnahen Zeitung Takvim wurde diese Forderung mit
       Schlagzeilen befeuert, die Angeklagten würden Kleidung US-amerikanischer
       Marken tragen und somit deutlich machen, wem sie treu seien.
       
       Das Gefängnis und das Areal rundherum standen unter hohen
       Sicherheitsvorkehrungen. 1.300 Angehörige der Gendarmerie und hunderte
       Polizisten wurden zu Sicherung des Areals eingesetzt. Gepanzerte Fahrzeuge
       und Wasserwerfer standen bereit, während Drohnen rund um die Uhr über das
       Gelände flogen.
       
       Die von der AKP geführten Bezirksregierungen errichteten
       Veranstaltungszelte vor der Haftanstalt. Ähnlich wie bei den Aktionen in
       den Wochen nach dem Putschversuch, wo Bürger*innen, die gegen den
       Putschversuch protestierten, verpflegt wurden, erhielten auch die
       Demonstrierenden, die sich vor der Haftanstalt versammelten, täglich Essen
       und Trinken. Die Teilnehmer, die es nicht in den Gerichtssaal schafften und
       die Tage vor der Haftanstalt verbrachten, führten die nach dem 15. Juli
       abgehaltenen „Mahnwachen für die Demokratie“ fort.
       
       ## Verteidigung spricht von Folter
       
       Nachdem es am ersten Tag zu massiven Protesten seitens der Zaungäste kam,
       wurden am zweiten Tag nur noch Polizeibeamte in diesem Bereich zugelassen.
       
       Hunderte Personen wurden seit dem 1. August vor Gericht gehört. Ertuğrul
       Cem Cihan, Anwalt des Filmproduzenten Nurrettin Oruç, der wie viele der
       Angeklagten als „ziviler Imam“ gilt, thematisierte in der Verteidigung
       seines Mandanten die Folter und Misshandlungen, von denen viele Angeklagten
       berichten würden. Diese Aussage stieß auf heftige Kritik derer, die während
       des Putsches Angehörige verloren hatten. Einige von ihnen wurden
       daraufhin wegen ausfälliger Aussagen aus dem Gerichtssaal entfernt.
       
       Das Ende der Anhörungen ist für den 29. August angesetzt. Laut Hayati
       Yazıcı, stellvertretende Parteivorsitzende der AKP, wird bis Ende des
       Jahres ein Urteil in diesem Verfahren erwartet.
       
       7 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hayri Demir
       
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