# taz.de -- Landkonflikte in Kenia: Am Fluss der zwei Löwen
       
       > „Die Nandi wollen uns weghaben“, sagt die Luo-Bäuerin, „ich kann nur
       > einem Nandi trauen“, der Nandi. Warum zwei Dörfer Angst vor Kenias Wahl
       > haben.
       
 (IMG) Bild: Ein Haus in Owiro
       
       Owiro/Kopere taz | Maiskolben trocknen auf einem Stück Leinwand neben einem
       Haus aus Lehm und Stroh. Die Blätter der Bananenbäume rascheln im Wind. Das
       kenianische Dorf Owiro liegt idyllisch am Fuß der Nandi-Hügel im Westen
       Kenias, den 3.000 Einwohnern mangelt es nicht an Nahrung.
       
       Aber sie fürchten um ihr Leben. „Vor ein paar Tagen wurden wir von einer
       Gruppe Männern mit giftigen Pfeilen und Bögen angegriffen“, erzählt
       Wilfrida Owino, eine alte Frau, die gerade geerntete Süßkartoffeln
       sortiert. „Einer von uns wurde verwundet. Die Angreifer sagten kein Wort,
       aber wir kennen ihre Botschaft.“
       
       In Owiro leben nur Luo. Aber das Dorf liegt im traditionellen
       Siedlungsgebiet des Nandi-Volkes. „Die Angreifer sind Nandi. Das wissen wir
       sicher. Die wollen uns hier weghaben. Aber wohin gehe ich? Es ist mein
       einziges Zuhause“, murmelt Owino.
       
       Das Verhältnis zwischen den Bewohnern von Owiro und ihren Nachbarn war
       keineswegs immer so angespannt. Aber seit Anfang der neunziger Jahre das
       Mehrparteiensystem in Kenia eingeführt wurde, kippt alle fünf Jahre vor den
       Wahlen die Stimmung.
       
       Kenias politische Parteien sind entlang ethnischer Linien gebildet, und sie
       mobilisieren ihre Wähler auf ethnischer Grundlage. Auch jetzt, am Vorabend
       der Wahlen am 8. August. Präsident Uhuru Kenyatta gehört zur größten
       Volksgruppe der Kikuyu, sein Vizepräsident William Ruto zur Volksgruppe der
       Kalenjin, zu der auch die Nandi zählen. Deswegen unterstützen die Nandi nun
       die Regierungsallianz „Jubilee“. Deren Lokalpolitiker versprechen, sie
       würden die Luo zwingen, Owiro zu verlassen.
       
       Luo scharen sich um die Oppositionskoalition „Nasa“ unter ihrem
       historischen Oppositionsführer Raila Odinga. Ihre lokalen
       Oppositionspolitiker wollen alles dafür tun, dass die Luo in ihrem Dorf
       bleiben können, sagen sie. Vom Wahlausgang hängt die Zukunft dieses Dorfes
       ab.
       
       ## Hetze als Mittel der Politik
       
       In Kenias Wahlkampf werden nicht nur Versprechungen abgegeben. Politiker
       hetzen auch zu ethnisch motivierter Gewalt auf. „Die Nandi sind in normalen
       Zeiten nicht gerade unsere Freunde, aber während der Wahlen werden sie zu
       Feinden“, meint Justus Odware, ein anderer Bewohner von Owiro. „Unser Vieh
       haben sie gestohlen, auch unsere Ziegen und Hühner. Es hat keinen Sinn,
       sich bei den lokalen Behörden zu beklagen, weil die alle Nandi sind.“
       
       Es ist außergewöhnlich still in Owiro. In jedem normalen kenianischen
       Dorf hört man Geräusche, wenigstens das Gackern von Hühnern. Hier hört man
       nichts. Nur ab und zu ein paar Stimmen. Die Männer schlafen nachts neben
       ihren Macheten. Die Frauen verlassen das Dorf nur in Gruppen, aus Angst,
       vergewaltigt zu werden. Es gibt in Owiro zwar eine kleine Polizeistelle mit
       einem Polizisten, aber der kann alleine nicht viel ausrichten.
       
       Die Vorfahren der Bewohner von Owiro zogen vor gut hundert Jahren vom
       traditionellen Luo-Siedlungsgebiet am kenianischen Ufer des Victoriasees
       nach Süden, ins heutige Tansania. Als dort der Unabhängigkeitsführer Julius
       Nyerere 1967 den Sozialismus proklamierte, kehrten sie zurück nach Kenia,
       denn in Tansania waren sie nicht mehr willkommen. Kenia war 1963 unabhängig
       geworden, viele der weißen Siedler aus der britischen Kolonialzeit
       verkauften ihre Ländereien und emigrierten.
       
       So entstand das Dorf Owiro, erläutert der Bauer Justus Odware: „Mein Vater
       kam aus Tansania hierher und arbeitete für einen weißen Farmer, der sein
       Land verkaufen wollte. Dann hat sich eine Gruppe Luo zusammengetan und als
       Kooperative das Land gekauft, auf dem jetzt Owiro liegt“, erklärt er und
       verschiebt seinen Plastikstuhl, um im Schatten zu bleiben.
       
       Die Einwohner von Owiro sind arm, aber das Land ist fruchtbar. Jetzt aber
       ziehen manche Bewohner aus Angst fort. „Zu viele Wahlen, zu viel Gewalt, zu
       viel Angst. Eines Tages wird es zu viel“, meint Peter Omondi, ein alter
       Mann.
       
       Nicht nur in Owiro herrscht Angst vor Gewalt. Überall in Kenia hat Panik
       eingesetzt. Noch frisch im Gedächtnis sind die blutigen
       Auseinandersetzungen nach den umstrittenen Wahlen Ende 2007. Es bekämpften
       sich vor allem Kikuyu und Kalenjin, angestachelt von ihren politischen
       Führern. Heute regieren sie gemeinsam – aber im aktuellen Wahlkampf sehen
       sie sich einer Luo-geführten Oppositionsallianz gegenüber. Nationale
       Einheit ist Kenia bis heute nicht gelungen.
       
       ## Es geht auch: Seite an Seite
       
       Es muss nicht so sein. In dem Dörfchen Kopere, nicht weit von Owiro, stehen
       Nandi und Luo zusammen hinter ihren Marktständen. Sie reden miteinander,
       trinken unzählige Tassen süßen Tee und versuchen sich lachend mit Scherzen
       zu überbieten und sich dadurch gegenseitig Kunden wegzuschnappen.
       
       Die einzige Schule im Dorf liegt verlassen da. Im August sind in Kenia
       Schulferien. Lehrerin Eunice Atieno unterrichtet Luo- und Nandi-Kinder.
       Zusammen. „Bei den Kindern gibt es noch keine Probleme“, sagt sie. „Aber
       sieh mal, einige Marktstände sind leer. Die gehören Nandi, die vor ein paar
       Tagen ihre Waren nach Hause gebracht haben. Die warten nicht ab, bis es
       Probleme gibt.“
       
       Während Owiro im traditionellen Nandi-Gebiet liegt, befindet sich Kopere im
       traditionellen Luo-Gebiet. Die Grenze dazwischen ist der Fluss Ainap
       Ng’etung – „zwischen zwei Löwen“. Normalerweise waschen Frauen aus beiden
       Dörfern ihre Kleider in dem kleinen Fluss. Aber nicht in dieser
       Wahlkampfzeit.
       
       „Auf beiden Seiten fürchten Frauen, Zielscheiben zu werden“, sagt die
       Lehrerin Atieno. „Wir Luo sind nicht so jähzornig, aber die Nandi, die
       zeigen nie, was in ihrem Herzen vorgeht.“
       
       Das ist eines der unzähligen, für Kenia so typischen ethnischen Stereotype.
       Atieno sagt, sie spreche aus Erfahrung, weil sie seit vielen Jahren in der
       örtlichen Friedenskommission tätig ist. Die Kommission bereitet jetzt
       Atienos Schule und zwei Kirchen darauf vor, im Falle von Gewalt
       Vertriebenen Unterkunft bieten zu können.
       
       Die lokalen Behörden hingegen helfen nicht, erzählt die Lehrerin weiter.
       „Es ist bizarr, dass wir uns hier vor Gewalt ängstigen, während die
       Bezirksbehörden uns ausnehmen wie eine Milchkuh“, sagt sie. „Die
       Markthändler müssen zweimal Steuern bezahlen, weil man sich nicht über den
       genauen Verlauf der Bezirksgrenze einig wird.“
       
       ## Der Hof der Vorfahren
       
       Auf der anderen Seite des Flusses, im Nandi-Gebiet, sitzt Bauer Kipsutko
       Koech auf seinem Hof unter einem riesigen alten Mangobaum, drum herum
       liegen seine Äcker. Gleich als Erstes erzählt er, dass seine zweite Frau
       eine Luo ist und er alles versucht, um den Frieden zu bewahren. „Als
       Nandi-Jugendliche die Kühe meiner Schwiegereltern stahlen, habe ich sie
       überredet, die Tiere zurückzugeben“, berichtet er stolz.
       
       Aber wenn die Sprache auf die Wahlen kommt, ist er unversöhnlich. Er hofft,
       dass ein Nandi Gouverneur wird, sagt er entschieden. „Er soll auf
       friedliche Weise der Anwesenheit der Luo ein Ende setzen. Ich kann nur
       einem Nandi trauen, weil der versteht, dass unser traditioneller
       Lebensraum uns gehört, nur uns allein.“
       
       Koech lädt ein zu einem Spaziergang über seine Äcker. Stolz zeigt er auf
       Felder mit Kartoffeln, Bohnen und viel hohem Zuckerrohr nahe am Fluss. Es
       ist der Hof seiner Vorfahren, die um 1900 von den britischen Kolonialherren
       verjagt wurden, genauso wie andere Nandi damals.
       
       Der Grund: Die Briten bauten eine Eisenbahnlinie nach Kisumu, die Nandi
       glaubten, die „eiserne Schlange“ würde ihnen Unglück bringen, und wehrten
       sich. Erst als ihr Anführer 1905 getötet wurde, hörten die Angriffe auf.
       Zur Strafe wurden Nandi aus dem Gebiet am Fuß der Nandi-Hügel verjagt, und
       weiße Farmer nahmen das Land – bis nach der Unabhängigkeit. Aber dann kamen
       Luo, kauften das Land und gründeten das Dorf Owiro.
       
       „Obwohl ich die Luo weghaben will, liegt der Fehler nicht bei ihnen“, sagt
       der alte Bauer Koech. „Der Fehler liegt bei den weißen Kolonialisten. Sie
       haben uns verjagt, unser Land unter sich aufgeteilt und es dann an andere
       Völker verkauft.“
       
       Es habe lange gedauert, bis er das Land seiner Vorfahren zurückbekam,
       erzählt er weiter, und in seiner Stimme liegt Verbitterung. Der Spaziergang
       endet am Fluss. Drüben auf der anderen Seite stauen sich dunkle
       Regenwolken. „Eigentlich leben wir auf einer Zeitbombe.“
       
       8 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ilona Eveleens
       
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