# taz.de -- Konversion und Leere: Die Soldaten sind weg
       
       > Wenn die Streitkräfte abziehen, bleibt Leere zurück – wie gehen Städte
       > und Gemeinden damit um? Ein Besuch im niedersächsischen Bergen.
       
 (IMG) Bild: Im Oktober wird abgerissen: Seit die Briten weg sind, steht das Hochhaus in der Danziger Straße 5 leer
       
       Bergen taz | Hinter den anthrazitfarbenen Dächern der schmucken
       Reihenhäuschen, den mittlerweile bepflanzten Gärten, in denen gerade die
       Stauden blühen, türmen sich zwei Hochhäuser auf. Achtgeschossig. Hässlich.
       Die Verblendungsplatten der Fassade sind schmutzig, an einigen Stellen mit
       Steinen eingeworfen, die Fenster des Erdgeschosses sind mit Holzplatten
       vernagelt. Seitdem die Briten weg sind, stehen in Bergen, einer
       13.000-Einwohner-Stadt im Landkreis Celle, Hunderte Wohnungen leer.
       
       Rund um die Danziger Straße ist das Wohngebiet wie mit dem Skalpell
       zerteilt. Auf der einen Seite die Hochhäuser, die so gar nicht in das
       Viertel zu passen scheinen, weil sie alle anderen Häuser überragen. Zu dem
       Komplex gehört auch eine Batterie von dreigeschossigen Backsteinhäusern,
       deren Fenster einen Blick in leere Wohnungen preisgeben. Auf einer
       Fensterbank steht eine vergessene Flasche Putzmittel. Die Namen sind von
       den Klingelschildern gekratzt. In einem Vorgarten mahnt noch ein
       verwittertes Schild englischsprachige Kinder, nicht auf dem Rasen zu
       spielen: „Unauthorised Play Area“, steht darauf. Das Viertel wirkt hier wie
       eine Geisterstadt.
       
       Auf der anderen Seite der Hochhäuser, die die Lokalmedien die „Twin Towers
       von Bergen“ getauft haben, röhrt ein Rasenmäher. In einigen Gärten weht die
       schwarz-rot-goldene Fahne an einem Mast, ein Hund kläfft: deutsche
       Reihenhausidylle.
       
       ## Nie viel Kontakt gehabt
       
       Der Abzug der Briten habe auf sie keinen großen Einfluss gehabt, sagt eine
       Frau, die gerade ihr Auto in die Garage fahren will. Viel Kontakt zu denen
       da drüben, sie zeigt mit der Hand in Richtung der Häuser, die heute leer
       stehen, habe sie nie gehabt. Trotzdem freue sie sich darauf, wenn die
       „Schandflecken“ aus dem Viertel verschwinden.
       
       Für die Stadt Bergen ist die Konversion, wie es genannt wird, wenn vormals
       militärische Flächen umgenutzt werden, eine gigantische Aufgabe. Eigentlich
       wollten die Briten erst 2025 aus der Region abziehen. „Dass es schon zehn
       Jahre früher so weit war, hat uns alle überrascht“, sagt der Bürgermeister
       der Stadt Bergen, Rainer Prokop.
       
       Ein Notfallplan musste her, besser noch eine Strategie für die Zukunft.
       Bergen tat sich mit anderen betroffenen Städten in Niedersachsen zusammen.
       Auch in Bad Fallingbostel standen nach dem Abzug rund 900 Wohnungen leer,
       in Celle 320. Plötzlich waren Übungsplätze ungenutzt, Kasernengebäude
       überflüssig. Mit den Wohnflächen zusammen müssen die Städte in der Region
       rund 400 Hektar Militärgelände umnutzen.
       
       Als sich die 7. britische Panzerbrigade im November 2014 in Bergen mit
       einer Militärparade samt wehmütiger Dudelsack-Melodien verabschiedete,
       gingen nicht nur die Soldaten in den braunen Paradeuniformen. Sie nahmen
       auch ihre Familien mit. Insgesamt verließen die Region rund 10.100
       Menschen. Die 2012 gegründete [1][Arbeitsgruppe „Konrek“] befürchtete in
       einer Prognose einen Kaufkraftverlust von rund 65 Millionen Euro im Jahr in
       der Region. Konrek steht für Konversion und Regionalentwicklung. Die
       Landkreise Celle und Heidekreis wollten in dem Projekt gemeinsam mit den
       betroffenen Städten Bergen, Bad Fallingbostel, Celle, Munster und der
       Gemeinde Faßberg planen, was mit den Flächen passieren soll – und vor
       allem, wo das Geld dafür herkommen soll.
       
       ## „Hier passiert etwas“
       
       Die meisten Gebäude gehörten den Briten. Die Stadt Bergen hat damit
       begonnen, Häuser zu kaufen, etwa die beiden Hochhäuser. Sie sollen
       abgerissen werden. „Ein Zeichen dafür, dass hier etwas passiert“, sagt
       Bürgermeister Prokop. Im Oktober sollen die Bagger anrollen. Die
       überflüssigen Wohnungen sollen dann einer „städtischen Grünfläche“ weichen.
       
       Die Stadt will zeigen, dass sie sich engagiert. Für den Aufkauf und die
       Umgestaltung der Flächen hat das Land Niedersachsen den betroffenen
       Gemeinden rund 15 Millionen Euro gezahlt. Bergen hat davon rund vier
       Millionen abbekommen. Vier weitere Millionen kommen vom Landkreis und vier
       Millionen Euro muss die Stadt selbst aufbringen.
       
       ## Scherben, Krähen – und der Innenminister
       
       Es ist ein warmer Tag im Juli, der niedersächsische Innenminister Boris
       Pistorius (SPD) macht auf seiner Sommerreise Halt in Bergen. Er will selbst
       sehen, was sich in der Stadt tut. Es ist eine widersprüchliche Szene am
       Hochhaus in der Danziger Straße Nummer 5: Scherben glitzern vor dem Gebäude
       in der Sonne, ein Krähenschwarm lässt sich auf dem Dach nieder. Vor dem
       Eingang haben „die Jungs vom Bauhof“ zwei strahlend weiße Partyzelte
       aufgebaut. Die Einfahrt zu den Garagen ist mit bundeswehrgrünen Planen
       verhängt. Davor stehen Bierzeltgarnituren und Stehtische mit weißen Hussen.
       Es gibt Suppe.
       
       „Wir haben extra nicht gemäht“, betont Bürgermeister Prokop. Die Gäste,
       mehrheitlich aus dem Innenministerium und der Stadtverwaltung, meist in
       Anzug und Kostüm, sollen einen authentischen Eindruck vom Verfall bekommen.
       Doch um die Ecken der Hochhäuser späht niemand herum.
       
       ## Leichter Bevölkerungszuwachs
       
       Die dreistöckigen Backsteinbauten gegenüber hat ein Berliner Investor
       gekauft. Sie sollen saniert werden. Wann das passieren soll, weiß der
       Bürgermeister allerdings noch nicht. Die moderneren Doppelhaushälften auf
       der anderen Seite, in denen ebenfalls Briten gewohnt haben, sind hingegen
       schon verkauft. „Da sind Menschen aus ganz Deutschland gekommen“, sagt
       Prokop. Die Stadt habe entgegen aller Prognosen seit 2014 sogar wieder
       einen leichten Zuzug zu verzeichnen – sogar wenn man die Zahl der
       Geflüchteten herausrechne.
       
       Doren Ellwardt kniet in ihrem Garten und schneidet die Rasenkante. Sie und
       ihr Freund sind im Februar hierher gezogen. „Am Anfang dachte ich, ich sei
       im Getto gelandet“, sagt sie. Nach und nach zögen auch andere Familien und
       ältere Paare her. „Aber erst war es so still“, sagt sie – „so tot.“
       
       Die Türme ragen direkt hinter dem Dach ihres Reihenhauses auf, nur ein
       Spielplatz liegt dazwischen. Langsam habe sie sich an die leeren Häuser
       gewöhnt. Dem Abriss sieht sie mit gemischten Gefühlen entgegen. „Ich habe
       gehört, die sollen asbestverseucht sein“, sagt die Erzieherin.
       
       Trotzdem wünscht Ellwardt sich, dass möglichst schnell alle Leerstände
       verschwinden. „Die Stadt sollte etwas Schönes mit der Fläche machen“, sagt
       sie und schaut in den Garten ihrer Nachbarn, in dem ein Hund tobt. „Wir
       würden uns alle über einen Park freuen.“
       
       ## „Die Richtigen müssen herziehen“
       
       Zwei Straßen weiter, bei den bewohnten, gelb verklinkerten
       Mehrfamilienhäusern, steht eine Frau in Hausschuhen am Zaun. Die 70-Jährige
       spielt mit der Kette um ihren Hals. „Ich würde mich sicherer fühlen, wenn
       da wieder welche wohnen“, sagt sie. Im Viertel sei es noch immer ruhiger
       „und irgendwie anders“. Es müssten aber „die Richtigen herziehen und nicht
       nur so Syrer und Iraker“, sagt sie, die seit neun Jahren im Viertel lebt
       und selbst gern eine frisch renovierte Wohnung hätte.
       
       Für die Stadt ist es nicht einfach, die Interessen der Anwohner unter einen
       Hut zu bekommen. „Bürgerbeteiligung wird groß geschrieben“, sagt Prokop. Am
       Ende seien es aber oft dieselben politisch interessierten Leute und
       Anwohner, die man bei Infoabenden treffe.
       
       Innenminister Pistorius will den Kommunen keine Vorgaben machen. „Jede
       Fläche ist anders“, sagt er. „Nicht alles lässt sich am Ende einer
       erfolgreichen Nutzung zuführen.“ Was mit den Flächen, egal ob Flugplatz,
       Tanklager oder Übungsplatz geschehe, sollten die Kommunen selbst
       entscheiden. Das aber sei ein „langjähriger Planungsprozess“.
       
       ## Jetzt kommen die Holländer
       
       In Bergen wurde mittlerweile in der leer stehenden Kaserne ein kleines
       deutsch-niederländisches Panzerbataillon stationiert. Rund 400 Soldaten
       sollen bis 2019 kommen.
       
       Innenminister Pistorius will den Militärstandort angesichts „der
       veränderten Sicherheitssituation“ noch nicht abschreiben: „Auch Zu- und
       Neustationierungen sind wieder denkbar.“
       
       4 Sep 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.stk.niedersachsen.de/startseite/themen/regionale_landesentwicklung_und_eufoerderung/regionen_kooperationen/modellprojekte_studien/konversion-und-regionalentwicklung-in-den-landkreisen-celle-und-heidekreis-124128.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andrea Scharpen
       
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