# taz.de -- Praxistest für Reiseleiter: Für viele ein Traumjob
       
       > Bei einer Reise nach Nordzypern können sich angehende ReiseleiterInnen in
       > der Praxis ausprobieren. Eine akribische Vorbereitung ist unerlässlich.
       
 (IMG) Bild: Der romantische Innenhof des armenischen Klosters Sourp Magar
       
       Nein, aus dem Handgelenk schüttelt man so ein Wochenprogramm nicht: Ein
       Bummel durch die Hauptstadt Nikosia gehört natürlich dazu, die Burg St.
       Hilarion sowieso, ein altes Herbarium klingt ganz interessant, und Nadine
       hat im Vorfeld ein Schildkrötenprojekt ausgemacht, das auf jeden Fall einen
       Besuch lohnt. Passt noch ein Wochenmarkt hinein? Gibt es ein aktuelles
       Konzert, das man mitnehmen könnte? Kap Apostolos Andreas, der östlichste
       Punkt der Insel, darf auch keinesfalls fehlen. Ebenso wenig wie die
       Ausgrabungen von Salamis und die Befestigungen von Girne.
       
       Aber sind da jetzt nicht zu viele Klöster vorgesehen – und keine einzige
       Moschee, in diesem türkischen, islamisch geprägten Nordzypern? Kann man die
       Entfernungen eigentlich in der angedachten Zeit bewältigen? Und, ach ja,
       essen muss man auch noch zwischendurch.
       
       Auf dem Tisch türmen sich Reiseführer, Karten und handgeschriebene Pläne.
       Um ihn herum sitzen vier, sagen wir, Reiseleiter-Azubis, daneben Anne, ein
       normaler Reisegast aus dem Schwäbischen, und Mario, der Coach dieser
       Praxiswoche.
       
       Der erste Morgen im Riviera Beach Hotel ist ganz dafür da, die kommenden
       Tage zu strukturieren. Denn fest stehen bei diesen Praxisreisen des
       Stuttgarter Veranstalters Travel & Personality nur die Flüge, die
       Unterkünfte und die Tage, an denen man ein Fahrzeug nutzen kann.
       
       Doch nach und nach kristallisiert sich unter tätiger Mithilfe des Coachs
       ein Plan für die kommenden Tage heraus, ein informatives,
       abwechslungsreiches und hoffentlich nicht zu sehr vollgestopftes Programm.
       Astrid führt durch Girne, Anke macht Nikosia, Nadine ist zuständig für die
       Hilarion-Burg und das verlassene Kloster Sourp Magar, Jürgen für den
       Fahrtag nach Osten und dessen Inhalte. Auch die Vorträge finden ihren
       Platz, Referate zu Geschichte, Biologie, Politik und Brauchtum, von denen
       jeder zu Hause zwei vorbereiten musste.
       
       ## Eine Alternative
       
       Der Beruf des Reiseleiters ist für viele Menschen immer noch ein Traumjob,
       eine lebendige Alternative zum wenig aufregenden 40-Stunden-Woche-Dasein.
       Die vier Nachwuchskräfte sind zwischen 41 und 62 Jahren alt und fest
       entschlossen, ihrem Leben neue Facetten hinzuzufügen. Anke, ausgebildete
       Anästhesieschwester, würde gern Reisen für kranke oder auf andere Weise
       eingeschränkte Menschen konzipieren. Nadja, Heilpraktikerin aus der
       Schweiz, möchte Touren mit schamanistischen Elementen entwickeln. Die
       Münchner Violinlehrerin Astrid sucht nach einer neuen Herausforderung und
       will testen, inwieweit Reiseleiterin für sie infrage käme. Und Jürgen, der
       EDV-Spezialist, geht demnächst in Rente und denkt daran, Rad- oder
       Outdoorreisen nach Skandinavien zu begleiten.
       
       Vor ein paar Wochen haben sie alle eines der fünftägigen Seminare des
       Veranstalters besucht, in denen theoretische Grundlagen vermittelt werden.
       Diese Woche nun erfolgt ihr Sprung ins kalte Wasser. Und da kommt so
       manche(r) schon mal ins Zappeln.
       
       Denn es ist gar nicht so einfach, sich etwa in Girne zu orientieren, wenn
       man noch nie zuvor dort war. Die massige Festung, der Hafen, das älteste je
       entdeckte Schiffswrack, die Ruine der Abtei Bellapais – was muss man
       sehen, was kann man weglassen, wenn die Zeit knapp wird?
       
       Direkt nach jedem Vortrag und am Ende des Tages erhalten die Akteure
       Feedback von ihren Mitreisenden. Die freilich gehen sehr nachsichtig
       miteinander um und neigen dazu, auch im Beinahescheitern noch eine prima
       Leistung zu erkennen. Der Coach aber spricht Klartext, wenn auch in einer
       sehr zugewandten Art: „Inhaltlich war das super, aber warum höre ich keine
       Leidenschaft in deiner Stimme? Du musst einfach noch den Umgang mit Karten
       üben! Platziere dich vor die Gruppe, nicht in ihre Reihe! Bei sieben Leuten
       kannst du diskutieren, in welchem Lokal ihr essen wollt – aber stell dir
       das mal bei 25 Teilnehmern vor. Und wo blieben deine Toilettenpausen?“
       
       Auch im warmherzigen Umgang mit Busfahrer Hussein, Kellner Ali oder
       Rezeptionistin Fatima erweist sich Mario als echtes Vorbild: Er geht auf
       die Angestellten zu, zieht sie ins Gespräch, scherzt und fragt ernsthaft
       nach, kurz, er sieht sie als – meist schlecht bezahlte – Menschen, nicht
       als gesichtslose Leistungsroboter. Freundlichkeit liege durchaus auch im
       wohlverstandenen Eigeninteresse, betont er: Die Menschen vor Ort sind die
       wichtigsten Partner, mit denen ein Reiseleiter zurechtkommen muss. Und im
       besten Fall helfen sie einem sogar mit lokalen Tipps und eigenen Ideen
       weiter.
       
       Die Stimmung in der Gruppe ist freundlich und manchmal ausgelassen, alle
       verfolgen die Arbeit der anderen konzentriert und versuchen, deren gute
       Ideen zu übernehmen und die Fehler zu vermeiden. Denn schon nach ihren
       ersten Auftritten haben alle verstanden, dass die Erzählungen und die
       tägliche Organisation, die den Profis im Bus und in den Hotels scheinbar so
       mühelos von der Hand gehen, in Wirklichkeit auf harter Arbeit und
       akribischer Vorbereitung beruhen.
       
       So erarbeiten sich die sieben nach und nach Nordzypern. Sie klettern über
       die Mauern und Zinnen der Burg St. Hilarion, die wagemutig auf graue
       Felszacken getürmt wurde. Auf der flachen Halbinsel Karpas lässt die
       Nachmittagssonne die Ähren golden leuchten, Landarbeiter winken herüber und
       wollen auf ein Foto. Abends am Strand probiert die Gruppe Mezé, die
       Vorspeisentafel, die über ein Dutzend Schälchen umfasst. „Nur wer selbst
       genießen kann“, lautet das Motto, „kann die Freude an der Welt anderen
       weitervermitteln.“
       
       Die frischgebackenen LeiterInnen erzählen von Richard Löwenherz und
       mordlüsternen Königinnen, verteilen regionales Gebäck und
       Erinnerungspostkarten, und im Stadion von Salamis deklamiert Mario mit
       Löwenstimme den Anfang der „Odyssee“ und demonstriert, wie man Reisen
       sinnlich aufpeppt. Vor den Fensterhöhlen der zerfallenden Hotelburgen in
       Famagusta, die einst als die „Riviera Zyperns“ galten und seit der
       Besetzung des Nordens durch die Türkei 1974 leer stehen und militärisches
       Sperrgebiet sind, handelt Jürgen die schwierige Geschichte der Insel ab.
       Und am Golden Beach darf sogar auch einmal gebadet werden.
       
       Nadine verdient sich besondere Anerkennung. Sie hat Harzperlen von Mastix,
       Styrax und Zistrose mitgebracht, den drei wichtigsten Räucherpflanzen
       Zyperns. Die entzündet sie zur Untermalung ihres Themas „Botanik“ im
       romantischen Innenhof des armenischen Klosters Sourp Magar, das schon vor
       100 Jahren verlassen wurde, und erzählt von den diversen Anwendungen.
       
       ## Nicht alle Termine klappen
       
       Aber nicht alles klappt wie vorgesehen. Die Schildkröten etwa wollen sich
       am Abend nicht zur Eiablage am Strand einfinden. Auch die im Reiseführer
       versprochenen steinzeitlichen Großfiguren finden sich am Ende einer
       Wanderung einfach nicht. Und das viel gepriesene Herbarium wird seit über
       einem Jahr umgebaut. Was nun? Was passiert, wenn ein Gast klagt: Genau
       deswegen habe ich gerade diese Reise gebucht? Diskussionen.
       
       Länder, in denen touristisch noch nicht alles reibungslos klappt, sind
       besser zum Üben, erklärt Mario. Ganz realistisch geht es diesmal trotzdem
       nicht zu: Schließlich ist die Gruppe, anders als sonst, mit sieben Personen
       extrem klein. Und Quengler, Alles-besser-Wisser und Nur-nach-Mängeln-Sucher
       bleiben den Nachwuchskräften erspart.
       
       Anne, der einzige „normale“ Gast, hat schon zwei solcher Reisen, nach
       Albanien und Moldawien, miterlebt und würde immer wieder daran teilnehmen.
       Die spontanen Abstecher gefallen ihr, der Raum, der für Unvorhergesehenes
       bleibt, und die Abwechslung, die dadurch entsteht, dass jede Frau und jeder
       Mann „ihrem“ und „seinem“ Tag einen ganz speziellen Stempel aufdrückt. Von
       ihren Fragen und Anmerkungen profitieren die Azubis sehr.
       
       Und sie werden von Tag zu Tag besser. Natürlich sind sie noch längst keine
       Profis: Die einen feilen daran, klare Ansagen zu machen und stets die Uhr
       im Blick zu behalten, andere können sich bei Vorträgen nur schwer vom Blatt
       lösen und verzetteln sich in Details. Aber sie haben Feuer gefangen und
       wollen weitermachen. Alle. Auch die, die zwischendurch Tränen vergossen
       haben, weil die Fülle des Stoffs sie zu erschlagen drohte. Und auf ihre
       erfahrenen Kollegen blicken sie nun, nach den ersten eigenen tastenden
       Versuchen, mit einem ganz neuen Respekt.
       
       22 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Franz Lerchenmüller
       
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