# taz.de -- Gefährliche Reaktoren Tihange und Doel: Menschenkette gegen belgische AKWs
       
       > Mit einer 90-Kilometer-Kette durch drei Länder wollen Aktivisten gegen
       > marode Meiler protestieren. In Belgien entsteht eine neue
       > Anti-AKW-Bewegung.
       
 (IMG) Bild: Unscheinbar, aber gefährlich: Kühlturm des maroden AKW Tihange
       
       Aachen taz | Kurz nach 19 Uhr bricht den Streckenposten der Schweiß aus.
       Trotz offener Fenster steht die Hitze in dem Raum, der mit über 40 Menschen
       gefüllt ist. Im Obergeschoss des Cafés etwas abseits des Zentrums von
       Maastricht ist zunächst viel Wasser gefragt, bevor man sich dem
       ambitionierten Projekt widmet, das nun kurz bevorsteht: einer
       Menschenkette, die am Sonntag vom Atomkraftwerk Tihange durch Belgien und
       die Niederlande bis Deutschland reichen soll. Proteste gegen Tihange gab es
       in den letzten Jahren viele in der Region. Etwas in dieser Größenordnung
       allerdings noch nie.
       
       Die Streckenposten, die aus den umliegenden niederländischen Orten stammen,
       sehen auf der Wand nun eine projizierte Karte. Sie zeigt den Verlauf der
       Kette, beginnend im Südwesten bei der belgischen Stadt Huy, dann der Maas
       folgend nach Liège, über die niederländische Grenze, ein scharfer Knick bei
       Maastricht und weiter nach Aachen. Auf jedem der 90 Kilometer werden
       Streckenposten aus Kernkraftgegnern im Dreiländereck dafür sorgen, dass die
       Demonstranten gleichmäßig verteilt sind.
       
       60.000 Menschen erwarten die Organisatoren, diverse Anti-AKW-Initiativen
       aus Belgien, Deutschland und den Niederlanden. Zu Letzteren zählt auch Wise
       (World Information Service on Energy), die weltweit lokale Gruppen im Kampf
       gegen Atomkraft unterstützt. Was sie nach Belgien bringt, sind nicht nur
       veraltete Anlagen, deren Laufzeiten trotz beschlossenem Atomausstieg
       verlängert wurde. Vor allem wurden 2012 Zehntausende von Rissen in den
       Reaktorbehältern der Meiler Tihange 2 und Doel 3 entdeckt.
       
       „Wie und wann sie entstanden, weiß trotz mehrerer Untersuchungen niemand“,
       so Wise-Direktor Peer de Rijk. „Die belgische Regierung sagt, dass es
       Gussfehler sind, die schon von Beginn an da waren, aber mit den damaligen
       Möglichkeiten nicht entdeckt werden konnten. So oder so: Durch die Risse
       wird der Reaktor brüchig und weniger widerstandsfähig.“ In beiden
       belgischen AKWs, Doel bei Antwerpen sowie Tihange, mussten in den letzten
       Jahren wiederholt Reaktoren vom Netz genommen werden. Was auch jenseits der
       Grenze, in Deutschland und den Niederlanden, für mehr und mehr Besorgnis
       sorgt.
       
       In Belgien selbst ist Liège das Zentrum der Protestbewegung. Einer der
       Aktivposten ist Francis Leboutte, der seit Jahren speziell mit der
       Situation in Tihange beschäftigt ist. Der pensionierte Ingenieur wohnt ein
       paar Kilometer außerhalb der Stadt in malerischen Hügeln. Auf seinem
       Küchentisch liegt ein Stapel gelber Flugblätter. Am Vorabend, als sich in
       Maastricht die Streckenposten trafen, nahm Leboutte an einer Besprechung
       der belgischen Protestgruppen teil. Nun steht er kurz vor dem Aufbruch nach
       Brüssel, wo eine gemeinsame Pressekonferenz stattfinden wird.
       
       Entgegen der Klischees gebe es auch in Belgien Atomkraftgegner, so
       Leboutte. Aber eben „keine breite, populäre Bewegung“. Darum gründete er zu
       Jahresbeginn mit elf Mitstreitern die Initiative „Fin du Nucléaire“. Ihre
       140 Mitglieder kommen aus der Wallonien und aus Brüssel. „Wir müssen das
       Thema auf den Tisch bekommen und die Regierung unter Druck setzen. Es gibt
       zwei Möglichkeiten, die dazu bringen würde, die AKWs zu schließen: ein
       Unfall oder eben massiver Druck aus der Bevölkerung.“
       
       ## Energieministerin liebäugelt mit Laufzeitverlängerung
       
       Wie nötig Letzterer ist, liest Francis Leboutte an einem Statement der
       belgischen Energieministerin ab. Man müsse ohne Tabus über Atomkraft reden,
       sagte Marie Christine Marghem einmal. „Sie spricht es nicht aus, doch sie
       spielt auf eine weitere Verlängerung der Laufzeiten. Eigentlich müssten die
       Meiler in den nächsten Jahren abgeschaltet werden.“
       
       Für Jörg Schellenberg, Koordinator des Aachener Aktionsbündnis gegen
       Atomenergie, sind solche Aussagen weitere Indizien, die für eine
       Stilllegung sprechen – genau wie die weiteren Risse, die vor einigen Wochen
       in Doel und Tihange entdeckt wurden. „Solche Absurditäten machen
       sprachlos“, so der IT-Spezialist, der sich für die letzten Vorbereitungen
       eine Woche frei genommen hat. „Während deren Herkunft nicht geklärt ist,
       laufen die Reaktoren einfach weiter.“
       
       In den Tagen vor der Menschenkette erhalten die Aachener Aktivisten im Büro
       logistische Unterstützung der Hamburger Gruppe „.ausgestrahlt“. Zu tun gibt
       es genug: Pressekontakte, Besprechungen mit der Polizei – und „noch einmal
       alles in die Waagschale werfen für die letzte Mobilisierung“.
       
       22 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tobias Müller
       
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