# taz.de -- Kolumne Ayol: Wir müssen auf die Straße
       
       > Im Vergleich zu Istanbul, ist Brüssel eine LGBTI-freundliche Stadt.
       > Trotzdem gibt es Aktivismus nur hinter verschlossenen Türen.
       
 (IMG) Bild: Auch der öffentliche Raum braucht Solidarität
       
       Vor kurzem wurde ich anlässlich des Internationalen Tags gegen Homophobie
       und Transphobie (IDAHOT) nach Brüssel zu einer Konferenz eingeladen. Es war
       ziemlich aufregend, denn ich durfte mit Zuhal Demir, der föderalen
       Generalsekretärin Belgiens, die Bühne teilen. Und die ist ziemlich heiß.
       Googlet sie mal. Ayol, was bin ich neidisch auf ihr Aussehen.
       
       Jedenfalls fand ich auch schön, dass vor fast allen öffentlichen Gebäuden
       der Stadt die Regenbogenfahne hing. Das ließ mich wenigstens für kurze Zeit
       vergessen, was mir im Belgischen Konsulat in Istanbul passiert war. Aber
       dazu später mehr.
       
       ## Schokolade und Uringeruch
       
       Das Erste, was mir in Belgien, dem Land der Waffeln, der Schokolade und des
       Biers aufgefallen ist, war der höfliche und freundliche Umgangston der
       Menschen. „Bonjour“, „merci“ und „pardon“ sind die am häufigsten benutzten
       Worte auf der Straße. Doch der historische Grand Place im Herzen der Stadt
       ist nicht gerade sauber, und leider – es macht mich sehr traurig, das zu
       sagen – riecht er nach Urin.
       
       Doch eins muss ich loswerden, weil es auf keinen Fall unerwähnt bleiben
       darf: Die männlichen Polizisten sind so was von sexy. Ich konnte einfach
       nicht am Revier vorbeigehen, ohne lautstark „Please arrest me!“ zu rufen.
       Die Polizisten haben nur schüchtern zurückgelächelt.
       
       Und da ist noch was, ich habe eine Bitte an Yvan Mayeur, den Bürgermeister
       von Brüssel: Monsieur Mayeur, die Metrotickets sind viel zu teuer, bitte
       denken Sie über einen Preisnachlass nach.
       
       ## „Was übertreibt sie jetzt schon wieder?“
       
       Warnung: Dies ist leider nicht nur ein
       „Alles-ist-so-schön-hier-bin-ich“-Text. Denn das, was ich im Vorfeld der
       Reise in Istanbul erlebt habe, hat mich sehr traurig gemacht. Dank dem
       Belgischen Konsulat konnte ich nämlich am eigenen Körper erfahren, wie
       transfreundlich die LGBTI-Politik der belgischen Regierung ist.
       
       Ich weiß, manche meiner Kollegen in Istanbul werden jetzt stöhnen, auf die
       Art: „Was wird diese Michelle jetzt wieder übertreiben?“ Aber wir
       Feministinnen wissen eben Bescheid, und wenn wir ein Problem sehen, dann
       reicht es nicht, es nur zu benennen, wir müssen es dick und fett
       unterstreichen. So läuft das.
       
       Wir hören ja immer wieder, wie die männlichen „oppositionellen“
       Journalisten bei ihren Besuchen in Konsulaten empfangen werden: da werden
       Kaffees getrunken, da bringt der Konsul einen persönlich bis zur Tür
       undsoweiter. Und es geht mir nicht einmal darum, dass ich fordere, exakt so
       behandelt zu werden.
       
       Aber wenn ich als Journalistin wegen meines Visumantrags ins Konsulat
       komme, und der Sicherheitsbeamte am Eingang die große, schwere Eisentür nur
       einen winzigen Minispalt öffnet und äußerst gereizt sagt, der Mitarbeiter,
       der mich per Mail eingeladen hatte, könne mich jetzt nicht „sehen“, ist das
       doch ein „kleines bisschen“ suspekt.
       
       ## 10-Tages-Visum
       
       Trotz meiner Einladung von der Flämischen Gemeinschaft und dem
       LGBTI-Dachverband Cavaria als „Special Guest“ für die Konferenz, musste ich
       in letzter Minute losrennen und Bankauskünfte über mich einsammeln. Doch
       mein Pass wurde mir trotzdem erst wenige Stunden vor dem Flug ausgehändigt.
       
       Und was sehe ich, als ich ihn erhalte? Mein Schengenvisum ist für 10 Tage
       gültig. Während „manche“ Kollegen direkt 10 Jahre bekommen. Wie soll ich
       diese Entscheidung nun bitteschön interpretieren? Schließlich gehöre ich zu
       den Journalist*innen, denen der Belgische Premierminister Charles Michel
       persönlich auf Twitter folgt.
       
       ## Transpersonen unsichtbar
       
       Trotz dieser Unannehmlichkeiten im Vorfeld, war es dennoch
       superbereichernd, mich mit Zuhal Demir und Tie Roefs von den Grünen in
       Brüssel und Löwen über Feminismus, Umweltthemen und Pressefreiheit
       auszutauschen. Roefs ist eine sehr engagierte Politkerin in Sachen
       Feminismus und das beste Besipiel dafür, wie wichtig es ist, dass Frauen in
       jedem Lebensbereich präsent sind. Mit Roefs' Berater Jo Fobelets habe ich
       ein bisschen über die Probleme sprechen können, die Transpersonen in
       Belgien haben.
       
       Was mir nämlich sowohl in Brüssel als auch in Löwen auffiel, ist, dass ich
       auf der Straße keine einzige Transperson getroffen habe. Die einzigen, die
       ich sah, waren jene Aktivist*innen, die zur selben Konferenz geladen waren,
       wie ich.
       
       Nach ein paar Gesprächen mit Aktivist*innen habe ich verstanden, dass
       Transpersonen in Brüssel in einem bestimmten Stadtteil leben. Ist wohl eine
       Art von Ghetto oder so. Und so vehement auch behauptet wird, in Brüssel
       gäbe es kaum Homo- oder Transphobie, habe ich doch folgendes erlebt: Auf
       der Straße haben mir Männern immer wieder „pédé“ nachgerufen, also
       „Schwuchtel“, und das ist ein Verhalten, was sich für die EU-Hauptstadt so
       gar nicht schickt.
       
       ## Hinter verschlossenen Türen
       
       Wahrscheinlich hat das damit zu tun, dass LGBTI-Aktivismus in Europa,
       soweit ich sehen konnte, vor allem hinter verschlossenen Türen betrieben
       wird. Da kann man noch intensiv über LGBTI-Rechte sprechen, und sie mit
       Gesetzen schützen: Wenn die Alltagsprobleme von Homosexuellen und
       Transpersonen nicht öffentlich angeht, werden die grundlegenden Probleme
       nie gelöst werden.
       
       Deshalb ist es wichtig, die Solidarität und den Kampf gegen Diskriminierung
       an Orten auszutragen, die für alle zugänglich sind.
       
       Diese Kolumne möchte ich der European Federation of Journalists (EFJ)
       widmen, die mir einen Presseausweis ausstellt, aber mich auf ihren Twitter-
       und Facebook-Accounts blockiert hat. Ayol, ich bin auch Journalistin. Was
       soll denn das Blockieren?
       
       9 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michelle Demishevich
       
       ## TAGS
       
 (DIR) taz.gazete
 (DIR) Gender
 (DIR) Türkei
 (DIR) taz.gazete
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) taz.video zu Homophobie: „Wenn du Hilfe brauchst, ich bin da“
       
       LSBTIQA sind nicht nur bei der Ehe, sondern auch im Alltag
       Diskriminierungen ausgesetzt. Sigrid Grajek berichtet, wie sie
       Unterstützung fand.
       
 (DIR) Kommentar Exil-Türken in Berlin: Eine traurige Zuflucht
       
       Unser Autor ist von der Türkei nach Berlin gekommen, hier fühlt er sich
       sicher. Die Erinnerung an sein früheres Leben lähmt ihn trotzdem.