# taz.de -- Abgeschobene Flüchtlinge im Kosovo: Fremde Heimat
       
       > Eineinhalb Jahre lebte Familie Kukaj in Österreich, dann wurde sie in ihr
       > Heimatdorf ins Kosovo abgeschoben. Doch heimisch wird sie dort nicht
       > mehr.
       
 (IMG) Bild: Hohe Berge, aber Österreich ist es nicht – eine Straße in Baballoq
       
       Baballoq taz | Der Boden des Kieswegs ist kaum zu sehen. Pfützen decken ihn
       zu. Steine kratzen an den Ölwannen der Autos. Aus der Ferne sind marode
       Häuser und bunte Wäscheleinen zu erkennen. Zaunpflöcke ragen schräg aus dem
       Boden und leiten in das Dorf im Westen des Kosovo. Hinter einer der
       Häuserwände hockt der 21-jährige Driton* auf einer durchgesessenen
       Ledercouch, die Mutter Agneza* neben ihm, seine Schwester zündet sich eine
       Zigarette an. Das Wohnzimmer ist karg eingerichtet. In einer Ecke der Ofen,
       in spärlichen Regalen grell bemalte Miniaturfiguren, an der Wand ein Bild
       von stiller See unter einem riesigen Mond.
       
       Driton greift in seine Jeans, zieht ein Portemonnaie heraus, nimmt die
       Mitgliedskarte eines Fußballvereins und den Ausweis der Lebenshilfe heraus
       und legt beides auf den gläserner Couchtisch, der gleichzeitig als Esstisch
       dient. Die Karten stammen aus der Zeit, als die Familie in Österreich Asyl
       suchte. Bei der Lebenshilfe, einem Verein für Menschen mit geistiger
       Behinderung, arbeitete Driton ehrenamtlich drei Stunden am Tag. Ein
       Zeitungsfoto zeigt ihn als Fußballer. Driton steht lächelnd in der Mitte,
       die Arme über die Schultern der Mitspieler geschlungen. Familie Kukaj*
       lebte eineinhalb Jahre in Österreich.
       
       Nach der Asylrechtsverschärfung 2016 wurde ihr Antrag abgelehnt. Driton
       hatte in Österreich eine Ausbildung zum Installateur begonnen. Als die
       Abschiebung droht, schreibt der Chef des Ausbildungsbetriebs an die
       Regierung und führt Dutzende Telefonate. „Wir haben wirklich alles
       versucht“, sagt er später. „Driton hat gut Deutsch gesprochen, war fleißig
       und hilfsbereit. An allen Ecken und Enden haben wir geschraubt, damit er
       bleiben kann. Es hat einfach nicht geholfen.“
       
       „Nicht die Menschen in Österreich haben uns abgelehnt. Es waren die
       Gesetze“, sagt Driton. An einem Morgen im Juni 2016, es ist noch dunkel,
       kommt die Polizei in das Haus im Zillertal. „ ‚Tut uns Leid, ihr müsst
       jetzt mitkommen‘, haben sie gesagt. Dann brachten sie uns ins Gefängnis“,
       erzählt Driton weiter. Mutter, Tochter und Sohn sitzen für drei Tage in
       verschiedenen Zellen. „Dann wurden wir mit anderen Familien zum Flughafen
       gebracht. Die Maschine landete in Prishtina.“ Driton knetet seine Hände.
       „Migration ist doch keine Straftat, oder?“
       
       ## Ein geordnetes österreichisches Leben
       
       Die Familie hatte sich in den eineinhalb Jahren im Zillertal an Österreich
       gewöhnt – an den geordneten Straßenverkehr, an das Freizeitangebot, an die
       Arbeit und den strukturierten Alltag. Im Kosovo hingegen fehlt es überall
       an etwas – an den Häusern der Putz, auf den Straßen der Asphalt, in den
       Wohnzimmern das Geld. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 70 Prozent,
       bei den Erwachsenen sind es über 40 Prozent. Die Gehwege in den Dörfern und
       Städten sind mittags zum Bersten voll, nicht weil die Menschen Mittagspause
       machen, sondern weil sie keine Arbeit haben. Trotz Milliardenhilfen der EU
       leben nach den Kriterien der Weltbank 45 Prozent der Menschen in absoluter
       Armut, ihnen stehen weniger als 1,25 Dollar am Tag zur Verfügung.
       
       Verblichene Werbetafeln erinnern im gesamten Land an den Wirtschaftsboom
       der Industriestaaten in den siebziger Jahren. An den Schaufenstern der
       Fressbuden kleben verheißungsvoll Anzeigen wie „Pizzeria Dortmund“, davor
       teilen sich alte Männer ihre Ćevapčići. Lädierte Lkws fahren Reklame für
       das „Herforder Pils“ durchs Land. Es sind Fehlanzeigen von Prosperität, die
       es hier nach dem Zerfall Jugoslawiens und den Kriegen danach nie gegeben
       hat. Für viele junge Menschen ist die Flucht die einzige Möglichkeit, das
       Leben zu gestalten. Das ist es, wonach auch Familie Kukaj gesucht hat, als
       sie nach Österreich aufbrach. Und das kam ihr wieder abhanden, als man sie
       abschob. Das Kosovo gilt als sicherer Herkunftsstaat.
       
       Driton geht manchmal spazieren, abends guckt er Fußball. „Dabei will ich
       nur arbeiten“, sagt er. Das Land ist ihm fremd geworden. Der Fahrstil ist
       unachtsam, an den Straßenrändern liegen Flaschen und Plastikmüll. Driton
       mochte die Ordnung in Österreich. Mit anderen Regeln hatte er sich ebenso
       angefreundet, etwa dass die Frauen emanzipiert sind. Hier im Kosovo
       allerdings gelten andere Gesetze.
       
       ## Wo will die Schwester so spät hin?
       
       Als seine Schwester Ajeta*, es ist schon dunkel, schnell in die Stadt
       fahren will, verlangt er, dass ein Mann mitfahren soll. Kurz guckt Driton
       zerknautscht, als sich Ajeta umzieht und mit zwei Freundinnen einfach
       losfährt. Er mag es nicht, wenn sie allein fahren. Aus Angst um sie? Oder
       weil es Frauen sind? „Ich bevormunde sie, obwohl ich das nicht will. In
       Österreich fiel es mir leicht, sie sein zu lassen. Hier ist es schwer“,
       sagt Driton.
       
       Sein Blick ist starr, wenn er einen nicht gerade anschaut. Die Stimme
       schwankt, mal ist sie gemütvoll, mal apathisch. Was halten wohl die anderen
       Männer im Dorf von ihm, wenn er seine Schwester so zügellos in die Freiheit
       entlässt? Die Angst vor den Reaktionen im Dorf ist auch Grund, dass sie
       ihren richtigen Namen nicht veröffentlicht sehen wollen.
       
       Driton fühlt sich anders. Und anders zu sein ist schwer im Dorf. Diese
       Erfahrung hat die Familie schon vor ihrer Flucht gemacht, bei der Trennung
       der Eltern vor 13 Jahren. „Als Papa nach Albanien ging und eine neue
       Familie gründete, galt Mama als Hure“, sagt Driton. Seine Mutter sagt dazu:
       „Mein Mann war ein Trinker. Er hat uns häufig geschlagen.“
       
       ## Vater trinkt
       
       Sie wollte damals einen Beruf erlernen, wollte unabhängig sein. Während des
       Kriegs 1998/99, ihr Mann kämpft für die Unabhängigkeit des Landes, beginnt
       sie, als Lehrerin für albanische Literatur zu arbeiten. Als der Ehemann
       heimkehrt, gefällt ihm das nicht. Er will nach der Arbeit das Essen auf dem
       Tisch und dann mit anderen Männern saufen.
       
       In vielen ländlichen Gebieten im Kosovo haben sich Frauen unterzuordnen:
       Kosovarinnen tragen die Haare lang, die Männer mögen das. Kosovarinnen
       kochen gut, wenn nicht, sind es keine ehrbaren Frauen. Gleichzeitig sollen
       die Männer dem Bild des starken Familienoberhaupts entsprechen, das in der
       Lage ist, die Familie zu ernähren. Dass das nicht immer leicht fällt nach
       den Kriegserfahrungen, liegt auf der Hand. Programme zur Traumabewältigung
       gibt es im Kosovo kaum.
       
       „Nach dem Krieg wurde die Willkür schlimmer“, erzählt die Mutter. Dann hat
       sie sich getrennt. Danach fiel es der Familie schwer im Dorf. Die Tochter
       Ajeta wird auch deswegen depressiv. Eines Morgens sieht sie ätzenden
       Badreiniger stehen und trinkt in großen Schlucken davon. Bei ihrem
       Selbstmordversuch ist sie 16 Jahre alt. Darüber reden kann sie bis heute
       kaum. Driton erzählt stattdessen, mit lakonischen Worten, dabei verzieht er
       das Gesicht.
       
       ## Eine Therapie hilft
       
       2014 beschließen Mutter, Sohn und Tochter, nach Österreich zu fliehen. Sie
       kratzen ihre Ersparnisse zusammen und fahren mit einem Schlepper über
       Serbien und Ungarn nach Österreich. Dort angekommen, beginnt Ajeta eine
       Therapie. Anfangs traut sie sich selten allein aus dem Flüchtlingsheim, sie
       hat Angstattacken. Nach einer Weile bessert sich ihr Zustand.
       
       „Die Psychologin hat mich verstanden. Das war ein schönes Gefühl. Hier im
       Kosovo tut das kaum jemand“, sagt Ajeta. Sie zeigt ein Foto, auf dem sie
       vor einer Schule für Tourismus steht. Sie trägt eine Schuluniform, Rock,
       eine schlichte Bluse, eine schicke Krawatte. Die Haare trägt sie lang, ihr
       Lächeln ist breit.
       
       Den Deutschkurs A1 besteht sie mit „Sehr gut“. Sie absolviert Praktika in
       der Gastronomie und findet Freundinnen. „Ich war glücklich in Österreich.
       Es hat so gestunken dort im Frühling, wenn die Bauern Gülle auf den Feldern
       verteilt haben. Selbst das fehlt mir hier.“ Als Einzige in der Familie hat
       sie eine Beschäftigung gefunden. Weil sie perfekt Deutsch kann, arbeitet
       sie sechs Tage in der Woche im Callcenter einer Schweizer Firma und erhält
       umgerechnet 250 Euro im Monat. In der Schweiz kann man so viel an einem Tag
       verdienen.
       
       ## Ajeta will nicht kochen
       
       Ajeta ist froh, dass sie Arbeit hat. Vielleicht kann sie sich bald die
       Schule leisten, die Gebühren liegen bei 180 Euro. Sie würde gern Abitur
       machen. Derzeit ernährt die 19-Jährige noch die Familie mit. Als die
       Mutter, sie ist 50 Jahre alt, am Abend den Blätterteig für Börek durch die
       Luft schwingt, als würde sie Fächerspiele betreiben, bemerkt Ajeta, sie
       müsse das eigentlich auch können, ansonsten finde sie keinen Mann.
       
       Doch Ajeta ist anders als die Frauen im Dorf. Vielleicht erlernt sie das
       Kochen aus Trotz nicht. Die braunen Haare hat sie kurz geschnitten, und sie
       raucht, mit ihrem auffallend kleinen Mund, ständig. Dabei gelten auch
       Frauen, die rauchen, als nicht heiratsfähig. Aber Ajeta kennt ihre Rechte.
       Diese Unabhängigkeit befreit sie von manchen Zwängen im Dorf. Doch wirklich
       frei ist sie hier nicht.
       
       * Namen geändert
       
       26 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Kücking
       
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