# taz.de -- Theresa May und ihre Fehler: Ins eigene Messer gelaufen
       
       > Innerparteiliche Feinde, schlechtes Programm, fataler Wahlkampf: Warum
       > Theresa May die Wahl verloren hat und trotzdem weiter regieren will.
       
 (IMG) Bild: Klatsche oder Klatschen für Theresa May?
       
       London taz | Müde und fassungslos schien Theresa May, als sie am
       Freitagmittag vor ihrem Amtssitz in 10 Downing Street mit ihrem Ehemann für
       Fotos posierte. Soeben hatte sie in einer Erklärung vor der Presse den
       Eindruck erzeugt, es sei eigentlich nichts Wichtiges passiert: Sie sei
       gerade bei der Queen gewesen und werde jetzt eine Regierung bilden, sagte
       sie. „Eine Regierung, die Sicherheit bieten und Großbritannien [1][in
       dieser wichtigen Zeit] für dieses Land voranbringen kann.“
       
       Nichts daran lässt erkennen, dass Großbritanniens konservative
       Premierministerin gerade das Spiel ihres Lebens verloren hat. Als May am
       18. April vorgezogene Neuwahlen für den 8. Juni ansetzte, sagte sie, das
       sei „der einzige Weg, um Sicherheit und Stabilität in den kommenden Jahren
       zu garantieren“. Damals wurde ihr noch eine hohe Mehrheit prophezeit. Nun
       steht die sie ganz ohne da.
       
       Überraschend kommt das Debakel nicht, wenngleich es in diesem Ausmaß nicht
       erwartet wurde. Die Konservativen haben den schlechtesten Wahlkampf seit
       Jahrzehnten geführt. May ging TV-Debatten mit anderen Parteichefs aus dem
       Weg, auf ihre Kundgebungen durfte nur handverlesenes Publikum, sie sprach
       in Floskeln. „Stark und stabil“, Mays erste Wahlkampfparole, wurde zur
       Lachnummer.
       
       Lange spielte all das keine Rolle. Noch Anfang Mai lagen die Konservativen
       in Umfragen bei knapp 50 Prozent, fast doppelt so hoch wie Labour – damit
       winkte eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Als die Konservativen ihr
       Wahlprogramm am 18. Mai veröffentlichten, erregte es Aufsehen, dass Labour
       nur noch 15 Punkte zurücklag.
       
       ## Schwächen fielen auf May selbst zurück
       
       Dieses Programm aber geriet May zum Verhängnis. Einen Punkt musste sie
       umgehend zurücknehmen: Veränderungen an der Selbstbeteiligung für häusliche
       Pflege von Demenzkranken, was als „Demenzsteuer“ in der Öffentlichkeit
       hängenblieb. Anderes verschreckte die eigene Basis: Aufweichung der
       Einkommensgarantien für Rentner oder die Ersetzung des unter David
       Cameron eingeführten allgemeinen kostenlosen Schulmittagessens durch ein
       kostenloses Schulfrühstück.
       
       Konfrontiert mit Labour-Versprechen wie der Abschaffung der Studiengebühren
       oder der Einführung einer Mietpreisbremse, gerieten die Konservativen mit
       ihren Sparvorschlägen in permanente Defensive. Das Mantra, man müsse May
       wählen, um Großbritannien vor Corbyn zu schützen, wirkte ebenfalls nicht:
       Sie hätte ja einfach ohne Wahlen bis 2020 weiterregieren können.
       
       May führte einen ähnlichen [2][Angstwahlkampf] wie vor einem Jahr ihr
       Vorgänger David Cameron bei dem vergeblichen Versuch, den Brexit zu
       verhindern. Sie benutzte sogar denselben Wahlkampfbus. Aber wie 2016 ließen
       sich die Briten von Angstmacherei nicht einschüchtern. Vielmehr fielen die
       Schwächen des Parteiprogramms auf May selbst zurück. Denn zu Beginn setzte
       sie auf einen stark personalisierten Wahlkampf. „Theresa May’s Team“ stand
       auf den Plakaten, der Parteiname war nur auf den zweiten Blick sichtbar –
       damit übernahm sie die Verantwortung und verdrängte den Parteiapparat.
       
       ## Ohne Hausmacht
       
       Das Wahlprogramm und die Wahlstrategie wurden von einem kleinen Klüngel um
       ihre beiden engsten Berater Nick Timothy und Fiona Hill ausgeheckt.
       Prominente Minister hingegen wurden kaltgestellt – oder hielten sich
       freiwillig zurück.
       
       Theresa May hatte keine Hausmacht in der Partei, als sie im Juli 2016 nach
       David Camerons Rücktritt infolge des Brexit-Referendums ihr Amt antrat. Sie
       war die einzig verbliebene seriöse konservative Spitzenpolitikerin, nachdem
       alle anderen sich gegenseitig zerfleischt hatten. Als Innenministerin hatte
       sie sich zuvor sechs Jahre lang Respekt erworben. Im Brexit-Wahlkampf hatte
       sie den Verbleib in der EU unterstützt, aber nicht enthusiastisch, und als
       Premierministerin versprach sie, den Brexit umzusetzen – damit sicherte sie
       sich ab.
       
       Aber kein Flügel der Konservativen traute ihr wirklich. Ihr Wandel von
       EU-Befürworterin zur Brexit-Umsetzerin erschien opportunistisch. Sie hielt
       die fähigsten Galionsfiguren beider Seiten aus ihrem Kabinett fern: den
       einstigen Finanzminister George Osborne vom Pro-EU-Flügel und den einstigen
       Fraktionschef und vorherigen Bildungsminister Michael Gove von der
       Pro-Brexit-Kampagne. Mit beiden hatte sie sich in den Jahren zuvor
       gestritten: Osborne wollte von ihr mehr Einsparungen, Gove eine härtere
       Linie gegen Islamisten – beides lehnte sie ab. Beide Punkte wurden
       schließlich Wahlkampfthemen.
       
       Der Pro-Brexit-Flügel war besänftigt, als May mit dem Brexit Ernst machte.
       Der Pro-EU-Flügel hingegen ging in die parteiinterne Emigration. David
       Cameron zog sich komplett aus der Politik zurück und schreibt seine
       Memoiren. George Osborne wurde zum Chefredakteur der einflussreichen
       Londoner Abendzeitung Evening Standard bestellt und scharte seine
       Verbündeten um sich.
       
       ## Den katastrophalen Wahlkampf bewusst zugelassen?
       
       Im Laufe der Brexit-Verhandlungen mit der EU, das war klar, würden sich die
       Parteiflügel wieder regen. Das gilt als der eigentliche Grund dafür, dass
       May Neuwahlen ansetzte: Sie wollte durch eine hohe eigene
       Parlamentsmehrheit eine eigene Hausmacht in der Partei.
       
       Als Mindestwahlziel wurde eine Mehrheit von 30 Sitzen ausgerufen – also
       rund 340 der 650 Sitze im Unterhaus. Dann, so hieß es, könnten Köpfe rollen
       und die „Osbornites“ ihre Blockademacht verlieren. Jetzt sind es nur 318.
       
       Der Eindruck drängt sich auf, dass Mays parteiinterne Gegner dem
       katastrophalen Wahlkampf bewusst gelassen zusahen, um eine größere Mehrheit
       zu verhindern. Als auf der letzten hochkarätigen Wahlkampfdiskussion in
       London am Dienstag Greg Hands, Osbornes ehemalige Nummer zwei und zuletzt
       Staatssekretär im Handelsministerium, für die Konservativen auf
       Labour-Schattenaußenministerin Emily Thornberry traf, spielte er das brave
       Lämmchen: Er ließ sich ständig unterbrechen, wiederholte May-Floskeln ohne
       Überzeugung und ließ Quatsch unwidersprochen durchgehen. Ein wortgewandter
       Politiker macht so etwas nicht aus Versehen.
       
       Die Podiumsdiskussion war von George Osbornes Zeitung organisiert worden.
       Das Blatt rief am Mittwoch zur Wahl der Konservativen auf, aber im
       Wahlaufruf versteckte Osborne vernichtende Kritik: „Die aktuelle
       konservative Führung bewegt sich weiter weg vom sozialen und
       wirtschaftlichen Liberalismus, der unser Land und seine Hauptstadt zu einer
       globalen Erfolgsgeschichte gemacht hat.“
       
       ## Erneute Neuwahlen würden nur Labour nutzen
       
       „Die Schonfrist, die Theresa May und ihr innerer Kreis genießen, ist durch
       diesen Wahlkampf entschieden beendet worden, egal wie das Ergebnis
       ausfällt. Dies gibt uns Hoffnung.“ Und zu guter Letzt: „Es gibt heute kein
       Theresa-May-Team. Aber wenn sie aus diesem Wahlkampf lernt, über ihren
       inneren Kreis hinauszublicken, wird sie eine konservative Bewegung voller
       Talente finden, aus denen sie ein richtiges Team bauen kann.“
       
       Doch sollte es tatsächlich die Strategie der May-Gegner gewesen sein, die
       Premierministerin ins eigene Messer laufen zu lassen, ist das riskanter
       ausgefallen als geplant. Denn die Annahme, dass von Labour sowieso keine
       Gefahr droht, hat sich als falsch herausgestellt.
       
       Für Mays Gegner wäre das ideale Ergebnis gewesen, dass die Konservativen
       nur eine kleine Mehrheit im Parlament behalten und May so geschwächt wird.
       Ganz ohne Mehrheit hingegen sind sie jetzt förmlich gezwungen, sich um die
       angeschlagene Premierministerin zu scharen, denn erneute Neuwahlen würden
       wohl Labour nützen. Ein parteiinterner Machtkampf würde zudem politisches
       Chaos bringen.
       
       ## Fünf Jahre sind kaum vorstellbar
       
       Die Messer werden natürlich gewetzt. George Osborne erklärte schon in der
       Wahlnacht, May sei nun „im Amt, aber nicht an der Macht“, als Führerin
       einer „geschäftsführenden, handlungsunfähigen Regierung“. Die von May
       entlassene Staatssekretärin Anna Soubry sprach von einem „schrecklichen“
       Wahlkampf und sagte, May sollte „über ihre Position nachdenken“.
       Regierungsmitglieder meldeten sich bis Freitagmittag nicht zu Wort – May
       steht isolierter da denn je.
       
       Und es gibt neue konservative Hoffnungsträger: Ruth Davidson, die für die
       Tories in Schottland einen sensationellen Erfolg einfuhr, oder
       Innenministerin Amber Rudd, die im Wahlkampf als Einzige überzeugte. Aber
       Mays Amt ist jetzt so unattraktiv, dass niemand es ihr zum jetzigen
       Zeitpunkt direkt streitig macht.
       
       Ihre Autorität hat May verloren. Sie bleibt im Amt – und bleibt damit auf
       dem Scherbenhaufen sitzen, den sie angerichtet hat. Dass ihre
       Minderheitsregierung jetzt die vollen fünf Jahre Legislaturperiode hält,
       kann sich kaum jemand vorstellen.
       
       10 Jun 2017
       
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