# taz.de -- Im russischen Sotschi: Im Tal der Technokraten
       
       > Olympia sollte internationales Flair nach Sotschi bringen. Doch russische
       > Urlauber bleiben unter sich. Besserwisserei aus dem Westen ist nicht
       > willkommen.
       
 (IMG) Bild: Strandpromenade am Olympiapark Adler in Sotschi: Austragungsort des Confed-Cups 2017
       
       Der Hinweis auf den, der hier alles zu verantworten hat, lässt nach der
       Ankunft am Flughafen nicht lange auf sich warten. „Dass das Wetter heute so
       gut ist und die Sonne scheint, liegt wahrscheinlich nur daran, dass Putin
       in der Stadt ist“, scherzt Reiseführerin Galina gegenüber den ankommenden
       Journalisten.
       
       Wirklich überraschend ist das nicht. In Russland gibt es keine Region, die
       derart umfassend nach den Wünschen des Präsidenten umgestaltet wurde wie
       Sotschi und seine Umgebung. Die Verwandlung von Stadt und Land in ein
       olympiataugliches Wintersportziel mit riesigen Sportarenen, breiten
       Verkehrstrassen und von Schneekanonen versorgten Skipisten ereignete sich
       als technokratischer Kraftakt in bester Sowjettradition: Kommandiert von
       ganz oben, rücksichtslos gegen Natur und zivile Widerstände, aber am Ende –
       Putin sei Dank – planmäßig und termingenau in Betrieb genommen. Warum soll
       einer, der das kann, nicht auch beim Wetter mitreden können?
       
       Die forcierte Anpassung des Westkaukasus an die Imperative von Investoren
       und IOC gilt nach offizieller Diktion natürlich nicht als Gewaltakt,
       sondern als ersehnte Befreiung von Rückständigkeit und Abgeschiedenheit.
       „Die Straße durch das Tal hinauf nach Krasnaja Poljana war eng und
       gefährlich, häufig kam es zu Unfällen. Heute sorgen die neue Schnellstraße
       und eine Bahntrasse dafür, dass Urlauber vom Flughafen in Sotschi in die
       Bergregionen kaum länger als eine Stunde unterwegs sind“, erklärt Galina
       nicht ohne Stolz.
       
       ## Rauher Charme des Kaukasus
       
       Bei der Fahrt über die neue Straße wird der raue Charme des Kaukasus
       schnell spürbar. Während an Sotschis Uferpromenade Sonne und Palmen
       mediterranes Flair verbreiten, weht bereits 600 Meter höher in Krasnaja
       Poljana kühle Bergluft. „Die ersten Olympischen Winterspiele in den
       Subtropen“ lautete Russlands Slogan während der Bewerbungsphase. Doch
       während die Spiele auf globales Prestige und Besucher aus aller Welt
       zielten, finden sich heute an der Küste wie im Gebirge fast ausschließlich
       russische Gäste.
       
       Kein Wunder: Angesichts luxuriöser Kureinrichtungen, eines milden Klimas
       und einer atemberaubenden Natur galt Sotschi schon zu Sowjetzeiten als
       geradezu elysischer Sehnsuchtsort, an dem Urlaub zu verbringen jeder Russe
       zumindest träumen durfte. Durch die Investitionen im Zuge der Olympischen
       Spiele sind die Aussichten auf die Verwirklichung dieses Traums heute
       größer denn je. Es gibt mehr Hotels, bessere Straßen, eine neue
       Eisenbahnverbindung, einen neuen Flughafen, mehr Flugverbindungen. Durch
       die neue Trasse und den Ausbau von Krasnaja Poljana sind auch die Ausflugs-
       und Wanderziele des Westkaukasus an der Grenze zu Abchasien heute
       deutlicher leichter zu erreichen als in der Vergangenheit.
       
       Bergwanderer und Naturliebhaber finden hier außerhalb der Wintersportsaison
       vor allem im Frühjahr, wenn die Magnolien blühen, ideale Bedingungen
       abseits des Massentourismus. Dichte Laubwälder, die in der Umgebung von
       Krasnaja Poljana auf bis zu 1.800 Meter Höhe wachsen, lassen sich zu Fuß,
       mit dem Jeep oder auch per Pferd durchstreifen. Ambitionierte Bergwanderer,
       die noch höher hinauswollen, stoßen auf alpine Fels- und
       Gletscherlandschaften und eine immer noch artenreiche Tierwelt.
       
       ## Stolz auf das Erreichte
       
       Ein wuchtiger Betonexzess wie das ehemalige Olympiadorf Rosa Khutor erhebt
       jedoch gar nicht erst den Anspruch, sich in diese Umgebung einpassen zu
       wollen. Alexander Belokobylskiy, leitender Manager des touristischen
       Komplexes, ist bemüht, den ökologisch fragwürdigen Retortenort in einem
       engen Flusstal nahe Krasnaja Poljana als rundum gelungenes Projekt
       darzustellen: Die Auslastungszahlen der 16 großen Hotels seien bestens, das
       Preisniveau angemessen, die Touristen begeistert, erklärt der Manager
       seinen deutschen Gästen. Bei der Frage nach Eigentumsverhältnissen und
       Investitionskosten gerät das Gespräch allerdings rasch ins Stocken. „Wir
       sind froh, dass der Ort gebaut wurde, die Kosten sind nicht so wichtig“,
       versichert der Manager.
       
       Ob man auch Ökotourismus für ausländische Gäste fördern wolle, will eine
       Journalistin wissen, doch auch diese Frage scheint unpassend.
       „Ökotourismus? Was meinen Sie damit?“, antwortet Belokobylskiy, der
       wirklich nicht zu wissen scheint, wovon hier die Rede sein könnte.
       
       Schnell wird deutlich: Das Management möchte vielleicht Touristen aus dem
       Ausland, doch allzu detaillierte Nachfragen und besserwisserische
       Vorschläge von ausländischen, zumal westlichen Gästen möchte man eher
       nicht.
       
       Was zählt und auch von ausländischen Gästen gewürdigt werden soll, ist der
       Stolz auf das Erreichte: Die über 40 Milliarden Euro teure Verwandlung
       einer einst intakten Bergregion in ein gigantisches Sport- und
       Freizeitareal, dessen Skilifte, Abfahrtspisten, Spielcasinos und
       Themenparks zumindest vom einkommensstarken Teil der eigenen Bevölkerung
       dankbar genutzt werden. Die emotionale Verletzung durch einen Westen, der
       dem Land die Anerkennung auf Augenhöhe vielfach verweigert, wird jedoch
       auch an diesem Ort sichtbar. Nach Dopingvorwürfen wurde der Region Ende des
       vergangenen Jahres die Austragung der Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaft
       2017 wieder entzogen. Urlauber, die sich auf rasante Bob-Abfahrten und
       Top-Athleten aus aller Welt gefreut hatten, mussten mit den CISM World
       Games vorlieb nehmen, einem von russischen Armeekräften dominiertem
       Militärsportturnier, dessen Relevanz mit der abhanden gekommenen WM kaum
       konkurrieren konnte.
       
       Der letztes Wochenende beginnende Fifa-Confederations-Cup, in dessen
       Verlauf auch vier Gruppenspiele (davon mindestens zwei mit deutscher
       Beteiligung) im Olympiastadion von Sotschi ausgetragen werden, ist
       angesichts solcher Zurückweisungen immerhin ein Trostpflaster.
       Internationale Aufmerksamkeit ist der Region durch das Turnier gewiss, denn
       der Cup gilt als Generalprobe und Testlauf für die im kommenden Jahr in
       Russland stattfindende Fußball-WM.
       
       ## Ökonomische Perspektiven
       
       Doch längst nicht jeder Russe kommt wegen des Sports nach Sotschi. Mancher
       hat die neuen Möglichkeiten, die die Region inzwischen bietet, ergriffen
       und daraus einen persönlichen und beruflichen Erfolg für sich geschmiedet.
       Zu ihnen zählt Sam Daytan, der sich, nachdem es ihm in seinem Dorf in
       Sibirien zu langweilig geworden war, nach Sotschi aufgemacht hat, um dort
       einen Job zu finden. Heute arbeitet der Dreißigjährige als Manager im Sky
       Park AJ Hackett, einer nahe Krasnaja Poljana gelegenen Bungee-Sprunganlage,
       die sich entlang einer stählernen Brücke in schwindelnder Höhe über ein
       grünes Flusstal spannt. Die mit 439 Metern angeblich längste
       Fußgängerbrücke der Welt ist ein weiterer ästhetischer Großangriff auf die
       Schönheit des Westkaukasus, bedient jedoch die globale Nachfrage nach
       Adrenalin-Kicks und Angeber-Selfies.
       
       Die Preise für die verschiedenen Sprungvarianten sind so atemberaubend wie
       der Blick in die Tiefe, doch Sam Daytan sieht seinen Arbeitgeber mit diesem
       Preisgefüge gut positioniert: „Die Russen sind doch reich, zumindest jene
       zwei Prozent, die zu uns kommen“, schreit der Manager inmitten lauter
       Heavy- Metal-Musik, die den nächsten Mutigen auf den Sprung in die Tiefe
       einstimmt, während seine Begleiter eilig ihre Smartphones in Stellung
       bringen.
       
       Auch ohne dass viele ausländische Gäste kommen, sind die Hotels der Region
       nicht nur zu dieser Jahreszeit bestens gebucht. Wen kümmern angesichts
       solcher Perspektiven schon irgendwelche Boykottmaßnahmen und die ewigen
       Mäkeleien des Westens über Umweltzerstörung, Doping oder Korruption?
       
       25 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Jahrfeld
       
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