# taz.de -- Neustart der Berliner Volksbühne: Theater wird ein weites Feld
       
       > Werben um Zuwendung: So kann man das Programm der ersten Spielzeit von
       > Chris Dercon als Intendant der Berliner Volksbühne beschreiben.
       
 (IMG) Bild: Das Leitungsteam bei der Pressekonferenz: v.l. die Regisseurin Susanne Kennedy, der Choreograf Boris Charmatz, Musikkurator Christian Morin, Marietta Piekenbrock und Chris Dercon
       
       Berlin taz | Was macht eigentlich Sophie Rois? Die heißgeliebte
       Volksbühnendiva mit der rauen Stimme, zuletzt Hexe in Castorfs „Faust“?
       Nun, sie gehört zu den drei von elf Ensemblemitgliedern der Volksbühne
       Castorfs, deren Vertrag weiterläuft. Erste Überraschung. Für die erste
       Spielzeit der Intendanz von Chris Dercon allerdings ist sie beurlaubt,
       zweite Überraschung. Nicht ganz weg und nicht ganz da.
       
       Von ihr war nicht die Rede, als am Dienstag Chris Dercon mit der
       Programmdirektorin Marietta Piekenbrock und fünf weiteren KuratorInnen und
       KünstlerInnen [1][den Beginn der ersten Spielzeit vorstellten]. Namen
       bekannter Schauspieler tauchten tatsächlich erst auf, als Elodie Evers
       zusammen mit Mercedes Bunz das neue Format „Volksbühne Fullscreen“
       vorstellte, das Erzählformen des Theaters für den digitalen Raum entwickeln
       wird.
       
       Das Reden über Theater verändert sich, das zeigte diese Vorschau. Man saß
       nicht im Inneren der Volksbühne, des tief verwinkelten Kolosses, an dem
       Castorfs Betrieb in die letzte Runde geht – er und René Pollesch zeigen im
       Juni noch je eine Premiere –, sondern im Flughafen Tempelhof, im leer
       geräumten Restaurant, Blick auf den weiten Park davor. Alles kann hier
       symbolisch werden, auch diese Weite. Hier wird es wimmeln von Tänzern, von
       verschiedenen Tanzensembles, Choreografen-Stars, Studenten und
       Amateurtänzern, wenn der französische Choreograf Boris Charmatz zur großen
       Eröffnung am 10. September einlädt.
       
       Das Fremdeln der vielen, die wollten, das Castorfs Betrieb weitergeht, es
       wird wohl bleiben, auch wenn Chris Dercon und Marietta Piekenbrock noch so
       oft die Anknüpfung an historische Linien betonen. Viel von der
       Infrastruktur bleibt, die Gewerke zum Beispiel, 206 von 227 Mitarbeitern.
       Der geschätzte Musikkurator Christian Morin arbeitet weiter, die
       Literaturreihe im Roten Salon wird weiter von Sabine Zielke betreut – auch
       das Bausteine der bisherigen Volksbühnen-Identität. Aber keiner der
       Regisseure, keine Inszenierung wird bleiben.
       
       Die Künstler, die stattdessen kommen werden – Mette Ingvartsen, Tino
       Sehgal, Boris Charmatz – sie sind schon bekannt in der Stadt. Sehgal, den
       Dercon auch in der Tate Modern in London groß präsentierte, hat die
       Volksbühne, die Geheimnisse ihrer Architektur, kennengelernt, als er bei P
       14, der Jugendtheatergruppe der Volksbühne, war, die es übrigens auch
       weiter geben wird. Sichtlich freut sich Dercon über dieses Stückchen
       Kontinuität. Sehgal wird mit seinen Performern durch diese Räume schwärmen,
       das Publikum durchs ganze Haus führen bei der Eröffnung im November dort.
       
       ## Verbindung zu den vielen Geflüchteten
       
       Zuletzt hatte Sehgal in Berlin im Martin-Gropius-Bau eine große Ausstellung
       seiner lebenden Bilder von Tänzern, Musikern, Schauspielern. Die
       Choreografin Mette Ingvartsen war lange dem HAU verbunden, zeigte dort
       zuletzt eine großartige Arbeit aus wilden Wirbeln von Gegenständen, die die
       Tänzer bewegten. Boris Charmatz war oft vom Festival Tanz im August
       eingeladen oder den Berliner Festspielen. Holt man sich da nicht bloß eine
       ungute Konkurrenz in die Stadt, fragen die Skeptiker. Aber der Unterschied
       wird sein, dass sie jetzt nicht nur für drei, vier Vorstellungen kommen,
       sondern ihre Stücke zum Repertoire des Hauses werden. Und das ist
       attraktiv.
       
       Die Geschichte von Theater, Performance und Tanz als ein großes Archiv zu
       begreifen, aus dem man hervorholt, was bis in unsere Gegenwart fortwirkt,
       auch das gehört zum Konzept von Piekenbrock und Dercon. Viele Künstler
       interessiert das, zum Beispiel Jérôme Bel, der vor 15 Jahren „The show must
       go on“ entwickelte, 19 beliebte Popsongs werden von Amateuren und Fans
       gecovert, Popgeschichte und Biografie verschmelzen, Porträts entstehen in
       der Adaption. In der Volksbühne werden Volksbühnen-Mitarbeiter die
       Performer sein, das ist, denkt man, auch ein Werben um Zuwendung in einem
       Haus, dessen Ablehnung das Leitungsteam ja schon voll erfahren hat.
       
       Dass sie diffamiert worden sind, ihre Berufung durch den Bürgermeister
       Michael Müller und den Kulturstaatssekretär Tim Renner als „feindliche
       Übernahme“ gesehen wurde, Marietta Piekenbrock erinnert sich daran. Die
       Empörung habe geholfen, das Eigene zu schärfen, behauptet sie tapfer.
       
       Am Flughafen Tempelhof, diesem neuen Spielort, wird es auch ein Projekt
       zweier syrischer Theatermacher geben, des Regisseurs Omar Abusaada und des
       Autors Mohammad al-Attar, „Iphigenie“ nach Euripides, mit einem Ensemble
       syrischer Frauen. Das ist auch als Verbindung zu den vielen Geflüchteten
       gemeint, die Unterkünfte im Flughafen Tempelhof hatten und haben werden.
       Und wieder geht die Symbolik der Kunst voraus.
       
       Warum er nicht das Angebot angenommen habe, allein Tempelhof zu seinem
       Spielort zu machen, ist eine Frage an Dercon. Klaus Lederer, der jetzige
       Kultursenator, hatte das mal als Überlegung hingestellt. Ein Angebot sei
       das nie gewesen, entgegnet Dercon. Das Geld für diese Bühne hätte er dann
       wohl selber einwerben müssen. Auch jetzt ist die Eröffnung dort zwar durch
       einen sogenannten Vorbereitungsetat gesichert, für die Fortsetzung aber
       laufen gerade erst die Förderanträge.
       
       17 May 2017
       
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 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
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