# taz.de -- Wahl im Iran: Und dann tanzen sie
       
       > Vor der Wahl am Freitag hoffen viele junge Iraner auf zaghafte Reformen.
       > Für ihre Freiheit kämpfen sie lieber im Privaten.
       
 (IMG) Bild: Anhängerinnen des iranischen Präsidenten Rohani bei einer Wahlkampfveranstaltung in Teheran
       
       Karadsch/Teheran taz | Der Tag, an dem Samira Nafisi geboren wurde, war ein
       guter Tag. Der Iran-Irak-Krieg war faktisch zu Ende am 19. Juli 1988, am
       Vortag hatte Iran den Waffenstillstand akzeptiert. Dann ging für sie alles
       erst mal bergab. Als Fünfjährige wollte sie sich die Fingernägel anmalen.
       Durfte sie nicht. Mit 14 musste sie einen Tschador tragen, den schwarzen
       Ganzkörperschleier, bei dem nur das Gesicht frei bleibt. Wollte sie nicht.
       Aber was galt schon ihr Willen. Ihr Vater sagte ihr, was sie zu tun hatte.
       
       Heute sind ihre langen Fingernägel rot-weiß-orange bemalt und ihre Lippen
       rot. Sie trägt schwarze Lackschuhe, ein dunkelbrauner Schal liegt locker
       über ihrem Haar. Es ist etwas passiert, mit ihr, aber auch mit ihrem Land.
       Und Äußerlichkeiten sind dabei gar nicht das Wichtigste. Wobei
       Äußerlichkeiten hier wichtiger sind als anderswo, weil alles politisch ist.
       Nicht zuletzt die Frage, wie sich jemand anzieht.
       
       Samira Nafisi heißt eigentlich anders. Ihr Name wurde in diesem Text
       geändert, weil sie noch Dinge sagen wird, für die man in der Islamischen
       Republik Iran großen Ärger bekommen kann. Wer in ihr Leben eintaucht,
       erlebt ein Land, das anders ist, als es sich viele im Westen vorstellen.
       Wer sie und andere jungen Iraner begleitet – wie den Geschäftsmann Ali
       Asadi und seine Freunde –, versteht, wieso es nur sachte Veränderungen
       gibt. Wie sich junge Leute freikämpfen, ohne dass ihr Land viel freier
       wird.
       
       Am Freitag wird in Iran der Präsident gewählt, zum zwölften Mal seit 1979.
       Wie immer wurden die Kandidaten fein ausgewählt. Von mehr als 1.600 Männern
       und Frauen, die sich einschrieben, ließ der Wächterrat sechs Männer zu.
       Darunter der jetzige Präsident Hassan Rohani, ein Pragmatiker, dessen
       größte politische Leistung es ist, das Atomabkommen mit dem Westen
       ausgehandelt zu haben. Er hat gute Chancen, wiedergewählt zu werden. Aber
       sicher ist sein Sieg nicht, Wahlentscheidungen fällen die Iraner immer sehr
       kurzfristig. Und auch Samira Nafisi zweifelt.
       
       An diesem Morgen ist sie mit zwei Freundinnen unterwegs. Sie wollen in ein
       Café, frühstücken. Der Verkehr in Karadsch, einer Millionenstadt, die
       inzwischen fast mit Teheran zusammengewachsen ist, stockt. Die Frau am
       Steuer des roten Van tippt auf ihrem Smartphone herum und hält es dann ans
       Ohr. „Es gibt hier eine Regel, dass man das darf, wenn man weniger als 30
       km/h fährt“, sagt sie. Es klingt entschuldigend.
       
       ## Hunde auf Instagram
       
       „Wenn das eine Regel ist, ist das eine schlechte Regel, man sollte sie
       nicht einhalten.“ Samira Nafisi auf der Rückbank weiß, dass sie nicht die
       beste Ratgeberin ist, ihren Führerschein hat sie erst im fünften Versuch
       geschafft. Aber mit Regeln kennt sie sich aus, wie alle hier hat sie
       gelernt, diese zu umgehen.
       
       Und schon sind sie mitten drin in einer Diskussion. Die Frau am Steuer,
       nennen wir sie Neda, sagt: „Es ist nicht alles schlecht hier, Iran ist ein
       gutes Land. Klar, wir haben Probleme, wie jedes andere Land auch.“ –
       „Vielleicht ein paar mehr“, sagt Samira von hinten. – „Jedes Land hat
       Probleme.“ – „Wir haben 50 Prozent mehr.“ Neda sagt nichts mehr, sie singt
       zusammen mit Laura Fabienne aus dem Lautsprecher „Je t’aime“, ihre
       Großmutter ist einst aus Frankreich hergezogen. Samira Nafisi zeigt aus dem
       Fenster.
       
       Eine Baustelle, ein Gebäude mit einer riesigen Kuppel wird errichtet. Keine
       Moschee, wie man denken könnte, sondern eine Shoppingmall. Wenn es so
       weitergeht, hat Iran bald mehr Shoppingmalls als Moscheen. Daneben eine
       Straße mit Restaurants, in denen sich Frauen und Männer verabreden. Am
       Anfang der Straße eine kleine Polizeistation, die Polizisten sagen nichts.
       Hinter hohen Mauern ein Park nur für Frauen, aber niemand geht dort
       spazieren.
       
       Wer mit Samira Nafisi und ihren Freundinnen durch die Stadt fährt, bekommt
       ganz nebenbei eine Einführung in die Widersprüche der iranischen
       Gesellschaft.
       
       An dieser Straßenecke, erzählt sie, hat sie vor Kurzem einen abgemagerten
       Hund gefunden. Sie hat ein Foto auf Instagram gepostet, gleich kamen
       Anwohner und haben dem Hund Wasser gebracht und etwas zu fressen. Hunde,
       das muss man wissen, sind haram, unislamisch. Das soziale Netzwerk
       Instagram ist – im Gegensatz zu Facebook und Twitter – erlaubt.
       
       Weiter geht’s, der Verkehr läuft jetzt flüssiger. Hätten sie nichts anderes
       zu tun, würden sie bis in den Sonnenuntergang fahren, durch die Straßen, um
       die Verkehrskreisel. Vielleicht würden sie dann einem Mann in einem anderen
       Auto, der ihnen gefällt, ihre Telefonnummer auf einem Zettel zustecken. Das
       heißt, die Älteste der Clique würde nicht mitmachen, weil sie verheiratet
       ist. Ihr Mann ist Direktor einer Alkoholfabrik, industrieller Alkohol,
       klar. Alkohol zu trinken ist in Iran verboten.
       
       ## 20 Liter Rosinenwodka
       
       Erst mal frühstücken. Brot mit Tomaten, Schokoladencrêpe, türkischen
       Kaffee. Und über die Zukunft sprechen. Neda wollte in den USA studieren,
       aber jetzt doch nicht, wegen Trump, und außerdem will sie bleiben, sie mag
       Iran.
       
       Die drei Frauen gehören der Generation an, die 2009 politisiert wurde, als
       für kurze Zeit eine grüne Welle der Hoffnung auf Veränderung durchs Land
       schwappte und junge Leute auf die Straße gingen, um gegen Wahlfälschungen
       zu protestieren. Und die ziemlich desillusioniert wurde.
       
       Ali Asadi gehört auch dieser Generation an. 34 Jahre ist er alt, ein
       kräftiger Mann mit einer sanften Stimme, er raucht viel, vor allem zu
       Hause. Auch er und seine Freunde heißen eigentlich anders. Er wohnt in
       Teheran, das Haus ist ein Betonklotz, aber die Wohnung ist schick. 200
       Quadratmeter, im Wohnzimmer ein großer Flachbildfernseher, eingerahmt von
       zwei Boxentürmen, Sofalandschaft. Ali Asadi sitzt immer am mittleren der
       drei Holztische, wenn er an einer neuen Idee tüftelt. Geschäfte machen ist
       aber auch nach dem Atomdeal nicht so leicht, wie er und viele andere
       dachten.
       
       Feierabend. Er schaut auf den 20-Liter-Plastikkanister Rosinenwodka, der in
       einer Ecke steht. Davon muss er an diesem Abend nichts beisteuern, er weiß,
       dass die Gastgeberin selbst genug organisiert hat. Heute Abend wird
       gefeiert.
       
       Ali Asadi läuft die Treppe hinunter, ein Stück zu Fuß die Straße entlang,
       dann hält er ein Taxi an, ein paar Straßen Fahrt. Es ist der Geburtstag
       einer Freundin, Nazanin, sie trägt ein schwarzes Netzkleid und Ohrringe, er
       umarmt sie zur Begrüßung. Ein paar Freunde sind in ihre Wohnung gekommen,
       Alis Bruder ist auch da. Es gibt Schnaps aus einer grünen
       Kristallglasflasche, verdünnt mit Wasser, in dem Erdbeeren und
       Melonenstücke schwimmen, Eiswürfel. Dazu Kartoffelchips.
       
       ## Das Wort für Schmuggel
       
       Eine Frau im kurzen rotgemusterten Kleid zeigt ihren Freunden auf dem
       Smartphone Bilder von einem Ausflug mit ihrem Freund in die Berge. Und dann
       ein paar von sich mit Hidschab, der islamischen Verschleierung, sie hat
       sich für eine Fotoausstellung fotografieren lassen. Ganz anders sieht sie
       aus, man erkennt sie kaum. Wie passt das zusammen, hier im Wohnzimmer die
       Freiheit feiern und als Model die Moralvorstellungen des Regimes
       illustrieren? „Das war doch nur zum Spaß“, sagt sie, „ein
       Freundschaftsdienst.“
       
       2009 waren alle, die hier feiern, auf der Straße. Sie haben gegen die
       Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad protestiert. Ali Asadi
       erinnert sich genau, wie er „Wo ist meine Stimme?“ rief, am Anfang im
       grünen Shirt und mit grünem Armband, das war ihm bald zu gefährlich. Er und
       seine Freunde erlebten, wie die Demonstrationen niedergeknüppelt wurden.
       Alle kennen sie welche, die ins Gefängnis kamen. Deswegen sind sie jetzt
       vorsichtiger. Sie gehen wählen. Aber wen?
       
       Ali Asadi erzählt, wie er jede Runde der Atomverhandlungen verfolgte, auf
       seinem Laptop, auch wenn er am nächsten Tag früh aufstehen musste. Er
       schaute BBC Persisch, eigentlich ist der Sender blockiert. Er hat gebangt,
       dass der Deal funktioniert. Dass er unterzeichnet wurde, ist für ihn Grund
       genug, dass Rohani Präsident bleiben soll. Weil Iran nun die Chance hat,
       aufzuholen, nach dem Ende der Sanktionen. Schon bei Rohanis Wahl 2013
       hoffte er, dass alles besser wird.
       
       Als Ahmadinedschad Präsident war, saß Ali Asadi auch oft vor dem Fernseher.
       Da hatte er Angst, dass etwas Schlimmes passiert, dass Bomben fallen, dass
       die Iraner bestraft werden, weil sie ihn gewählt haben.
       
       Ahmadinedschad wollte noch einmal antreten, durfte aber nicht. Vom
       Wächterrat wurden andere Hardliner und Konservative zugelassen, die Rohani
       vorwerfen, er gefährde mit seinem Öffnungskurs die Unabhängigkeit Irans.
       Auch deshalb, sagt Ali Asadi, müsse man Rohani wählen. „Wenn wir jungen
       Leute nicht wählen gehen, könnte wieder ein Verrückter gewählt werden und
       dieses Land zur Hölle machen.“
       
       ## 1,7 Kinder pro Frau
       
       Ali Asadi hat es auch in Ahmadinedschads Zeit geschafft, das Beste
       herauszuholen. Er kommt aus einer wohlhabenden Familie, der Vater
       Regierungsbeamter. Er selbst hat bis vor Kurzem auch in einem Ministerium
       gearbeitet und nebenbei lange studiert, erst Architektur, dann Philosophie,
       schließlich BWL. Die Arbeit war okay, ordentlich bezahlt zumal. Aber
       irgendwann hatte er keine Lust mehr.
       
       Er hat angefangen, für einen Freund zu arbeiten, Geldwechsel,
       Import-Export. Der Freund hat ein Konto in Dubai, das braucht man, um Geld
       zu transferieren – die Sanktionen. Es gab eine große Nachfrage an iPhones
       in Iran, an manchen Tagen haben sie mehr als 1.000 Stück importiert. Und an
       jedem 4 oder 5 US-Dollar verdient. Und wie haben sie die Handys
       hergebracht? Ali Asadi sucht die englische Übersetzung für das Wort mit
       seinem Smartphone: Schmuggel.
       
       Rohani achte jetzt darauf, dass alles korrekt abläuft, sagt Ali Asadi, dass
       Steuern gezahlt werden. Das findet er gut. Alle hier im Wohnzimmer wollen
       Rohani wählen.
       
       Aus kleinen Boxen läuft Musik, vom Smartphone abgespielt. Sie rauchen, sie
       flirten und dann tanzen sie auch, so wie man in jeder Metropole tanzt, nur
       dass es hier nicht erlaubt ist. Jemand trägt den Geburtstagskuchen herein,
       eine Schokotorte, auf die eine „34“ gesteckt ist. Nazanin, das
       Geburtstagskind, ist geschieden, sie war mit einem Fotografen verheiratet,
       es hat nicht funktioniert. Beruflich kommt sie nicht so recht voran. Sie
       malt, damit Geld zu verdienen ist schwer.
       
       Die Geburtstagsrunde zeigt, wie sehr sich die iranische Gesellschaft
       verändert hat: Scheidungen sind häufig geworden, auch wenn nichts gegen den
       Willen des Mannes geht. Männer und Frauen leben zusammen, ohne verheiratet
       zu sein. Die Geburtenrate ist stark gesunken, gerade noch 1,7 Kinder pro
       Frau. Mehr Frauen als Männer studieren.
       
       ## Mussawi, die Hoffnung im Hausarrest
       
       Ali Asadi ist sich sicher, dass auch die Mächtigen viele Dinge pragmatisch
       sehen: Lieber eine Jugend, die visionslos Spaß hat, als eine, die sich
       auflehnt.
       
       Ein Grund könnte die Jugend doch wieder auf die Straße treiben: ihre
       ökonomische Situation. Wenn die Mieten weiter steigen und die Preise, aber
       nicht die Gehälter. Wenn das Leben einfach zu teuer wird. Noch jemand einen
       Drink?
       
       Auch Samira Nafisi, die junge Frau aus dem Auto, hat gegen den Wahlbetrug
       demonstriert. Einmal wurde sie auf dem Unigelände von Milizen gejagt, bis
       ihr jemand die Haustür aufmachte und sie hineinschlüpfen konnte. 2009 hatte
       sie für Mir Hossein Mussawi gestimmt, den Reformer und Hoffnungsträger. Und
       was ist daraus geworden? „Nein, ich werde nicht wählen“, sagt sie. Es
       ändere sich ja ohnehin nichts. „Der Einzige, den ich wählen würde, wäre
       Mussawi.“ Sie will keine Kompromisse, sie will einen anderen Iran. Frei und
       selbstbestimmt.
       
       Das Problem: Mussawi steht unter Hausarrest, er darf nicht mehr bei Wahlen
       antreten. Es darf öffentlich nicht einmal sein Name erwähnt werden.
       Kürzlich wurde er aus einem Video der Rohani-Kampagne herausgeschnitten.
       
       Vom Frühstück haben die Freundinnen längst nicht alles aufgegessen, aber
       sie müssen los. Wieder ins Auto, Samira Nafisi lässt sich bei ihrer
       Sprachschule absetzen. Schon mit 15 Jahren hat sie Englisch unterrichtet,
       gegen den Willen ihres Vaters. Mit einem Stipendium hat sie
       Elektroingenieurwesen studiert, danach ein Jahr in einer
       Telekommunikationsfirma gearbeitet. Dort achteten ihre Vorgesetzten darauf,
       dass sie immer ordentlich verschleiert war. Sie wechselte zu einer Firma
       für Medizinprodukte, ihr Chef wollte privat mehr, sie nicht; sie kündigte.
       Von ihrem Freund, einem Fabrikbesitzer, hat sie sich getrennt, weil er
       nicht wollte, dass sie arbeitet.
       
       ## Goodbye, have a nice day!
       
       Zeit für ihr eigenes Ding. Vor zweieinhalb Jahren hat sie ihre Sprachschule
       aufgemacht. Bald kam jemand von einer Regierungsbehörde und wollte wissen:
       „Warum werden Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet? Das geht nicht!
       Ich muss Ihre Schule schließen.“ Samira Nafisi antwortete: „Lassen Sie mich
       meinen Job machen, wenn Sie noch einmal kommen, das schwöre ich zu Gott,
       dann gehe ich in ein anderes Land.“ Der Behördenvertreter ging und kam
       nicht wieder. So schildert es Samira Nafisi heute. Ihre Sprachschule gibt
       es noch.
       
       Sie befindet sich in einem Bürohaus, außen Spiegelglasfassade, innen
       Plakate an den Wänden und Whiteboards, Plastikstühle, nur das Nötigste. Die
       Räume sind gemietet, für die Ausstattung musste sie ihre Ersparnisse
       nehmen, keine Bank wollte ihr ein Darlehen geben. Gerade ist ein
       Englischkurs für Kinder zu Ende gegangen, zwei Mütter holen ihre
       Fünfjährigen ab. Beide fragen sich, in was für einem Land ihre Kinder
       aufwachsen sollen.
       
       „Nicht in diesem“, sagt die eine. Sie will Iran verlassen, deshalb soll ihr
       Sohn Englisch lernen. „Ich will, dass sich Iran verändert, und zwar zum
       Besseren“, sagt die andere. Ihr Kind soll Englisch können, wenn Iran dann
       mehr Kontakt mit der Welt hat.
       
       Die erste Mutter sagt: „Ich hasse es hier. Ich will Freiheit, kein
       Kopftuch.“ Sie zupft daran herum, ihre blondierten Haare schauen ein ganzes
       Stück heraus. „Ich würde überall hingehen, wo man keinen Hidschab tragen
       muss.“ Es spricht nichts dafür, dass der Kopftuchzwang in Iran bald fällt.
       Denn er erinnert die Iraner jeden Tag an die Islamische Revolution.
       
       Die andere Mutter: „Ich bin gegen Auswanderung. Du brauchst so viel Kraft,
       dass du am Ende nicht auf der Straße landest.“ Außerdem kenne sie niemanden
       im Ausland.
       
       ## „Ich will nicht warten, bis ich alt bin“
       
       Die beiden werden laut: „In den USA kann man in fünf Jahren mehr erreichen
       als hier in einhundert. Ich habe fünf Jahre studiert, aber keinen Job.“ –
       „Ich bin nicht so pessimistisch. Ich will, dass mein Kind hier aufwächst,
       in unserer Kultur.“
       
       „Religion und Politik sind hier total vermischt. Säkular könnten wir besser
       leben.“ – „Wir müssen geduldig sein. Vielleicht können unsere Kinder etwas
       ändern, vielleicht unsere Enkel. Jedenfalls nicht wir.“ – „Ich bin jetzt
       35. Ich will nicht warten, bis ich alt bin. Ich will jetzt leben.“
       
       „Das Problem ist doch“, mischt sich Samira Nafisi in die Diskussion der
       Mütter ein, „dass wir nicht gemeinsam kämpfen.“
       
       Die Mütter nehmen ihre Kinder an die Hand und verabschieden sich, Samira
       Nafisi sagt: Goodbye, have a nice day!
       
       In ihrer Familie hat sie bereits eine Menge verändert. Ihre Eltern, sagt
       sie, finden inzwischen okay, was sie macht. Ihr Vater hält es sogar aus,
       dass sie zwar an Gott glaubt, aber nicht an den Islam. „Der Islam ist unser
       Problem“, sagt sie. „In zehn Jahren wird es hier keinen Islam mehr geben,
       nur noch eine Republik.“
       
       ## Nicht die richtigen Leute geschmiert
       
       Ali Asadi, der Unternehmer, hoffte auf die Zukunft, als das Atomabkommen
       unterschrieben war. Zeit für Neues! Er hat sich mit Freunden
       zusammengesetzt, sie haben überlegt, was sie machen wollen. Sie haben den
       Markt sondiert, Zielgruppen analysiert, ein Ladenlokal gesucht. Und dann in
       einem Einkaufszentrum ihr Café eröffnet: eine Art iranisches Starbucks,
       aber mit Lieferservice. „Du musst der Erste oder der Beste sein“, sagt Ali
       Asadi. „Wir wollten die Ersten sein.“ Und gut sein wollten sie natürlich
       auch.
       
       Sie haben Transportbehälter ausgesucht, die den Kaffee warm halten, und
       belieferten vor allem Büros. Die Kunden waren zufrieden, sagt Ali Asadi.
       Aber das Geschäft lief schlecht.
       
       Er hat sein Scheitern in einem Ordner abgeheftet, 50.000 Tausend Verlust,
       aber besser noch, er erklärt alles an Ort und Stelle. Das Café liegt in
       einem kleinen Einkaufszentrum, oben leuchtet das Logo, darunter glänzt das
       weiße Rolltor, es bleibt seit ein paar Wochen zu.
       
       Vieles kam zusammen. Das Café lag plötzlich in einer Zone, die bei
       Smogalarm nicht angefahren werden durfte. Und einmal die Woche kam jemand
       von einer Behörde mit einer neuen Regel, so erzählt es Ali Asadi. Steuern,
       Hygiene, Preisregulierung, Genehmigung, das richtige Schild. „Der eine sagt
       das, der andere das Gegenteil“, sagt Ali Asadi. „Manchmal kann man nur
       sitzen bleiben und schauen, was passiert.“
       
       ## Was nützt der Reformer in Gedanken?
       
       Vielleicht haben sie am Ende die Lizenz auch nicht bekommen, weil sie nicht
       die richtigen Leute geschmiert haben. Der finanzielle Verlust scheint ihn
       nicht sonderlich zu schmerzen, er ist noch an ein paar Firmen beteiligt,
       die Geld abwerfen.
       
       „Das Problem sind die hohen Erwartungen nach dem Atomabkommen“, sagt Ali
       Asadi. „Alle wollen schnell viel Geld verdienen.“ Die Rahmenbedingungen für
       Investitionen sind aber immer noch schwierig. Schon allein, weil Iran immer
       noch nicht an das internationale Bankensystem angeschlossen ist.
       
       Ali Asadi hofft, dass Rohani in einer zweiten Amtszeit mehr durchsetzen
       kann, nicht nur, was die Wirtschaft angeht. Er hatte etwa Frauen „gleiche
       Chancen, gleichen Schutz und gleiche soziale Rechte“ versprochen. Das hat
       er nicht gehalten. Ali Asadi nimmt ihm das nicht übel, er habe getan, was
       er konnte. Man dürfe nie vergessen: Nur ein Teil der Macht wird überhaupt
       gewählt. Der oberste Führer Ajatollah Chamenei, aber auch das Militär, die
       Justiz und das Fernsehen sind fern jeder demokratischen Kontrolle. „Das
       System ist so mächtig, wir können es nicht ändern“, sagt er.
       
       Er hat lieber kleine Veränderungen, die dafür aber stabil sind. Langsam,
       aber sicher. Bloß keine weitere Revolution. „Du weißt nie, was nach einer
       Revolution passiert. Die Kosten sind einfach zu hoch.“ Die Generation, die
       die Islamische Revolution nur aus Erzählungen kennt, ist revolutionsmüde.
       Auch weil sie sehen, was aus dem Arabischen Frühling geworden ist.
       
       Ali Asadi hat eine neue Geschäftsidee, er will das Asantkraut anbauen und
       exportieren, aus ihrem Harz wird Arznei hergestellt. Aber erst mal will er
       reisen, Sprachen lernen, Neues entdecken, das er dann in Iran umsetzen
       kann.
       
       Samira Nafisi hat sich inzwischen umentschieden. Sie wird doch wählen,
       Rohani. Was nützt der Reformer in Gedanken? Wenn er unter Arrest zu Hause
       sitzt und nicht zur Wahl antreten darf? Sie hat ihr Profilfoto bei Telegram
       geändert, dem Messenger, den in Iran alle nutzen. Unter ihrem Foto steht
       jetzt: #Rohanibis2021. „Wir müssen verhindern, dass einer der Hardliner
       gewinnt“, sagt sie. Dem einflussreichen Kleriker Ibrahim Raissi, der auf
       die Unterstützung der mächtigen Revolutionsgarden zählen kann, werden gute
       Chancen eingeräumt, nachdem Teherans Bürgermeister Mohammad Bagher Ghalibaf
       seine Kandidatur zurückgezogen hat. Er dürfte besonders auf dem Land
       Stimmen holen, wo viele Menschen die Dinge anders sehen als in den großen
       Städten.
       
       Alles in allem sei Iran doch auf einem guten Weg, sagt Samira Nafisi: Es
       gibt wenig Kriminalität, im Grunde keine dschihadistischen Anschläge. Die
       Polizei muss man auch nicht mehr so sehr fürchten. Frauen und Männer können
       heute zusammen im Café sitzen. Und ihr Vater fragt sie manchmal, warum sie
       gerade eigentlich keinen Freund hat.
       
       18 May 2017
       
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 (DIR) Sebastian Erb
       
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 (DIR) Vor der Präsidentschaftswahl im Iran: Die Not der Armen
       
       Amtsinhaber Rohani muss sich seinen Konkurrenten stellen. Sie kritisieren
       die Zustände in den Slums, Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit.
       
 (DIR) Präsidentschaftswahl im Iran: Ahmadinedschad darf nicht antreten
       
       Der Wächterrat hat die Kandidatur des ehemaligen Staatschefs abgelehnt.
       Amtsinhaber Hassan Ruhani bekam grünes Licht, sein Sieg ist aber nicht
       sicher.
       
 (DIR) Präsidentschaftswahl im Iran: Eine Frau an der Staatsspitze?
       
       Ex-Ministerin Wahid Dastscherdi könnte kandidieren. Obwohl sie
       erzkonservativ und frauenfeindlich ist, wäre das eine Sensation.