# taz.de -- Protest gegen Verdrängung in Kreuzberg: Rückwärtsdemo gegen Zalando
       
       > Auf der Cuvrybrache sollen Büros entstehen. Die realdadaistische
       > Bergpartei hat deshalb den Geist von Kreuzberg 36 zu Grabe getragen.
       
 (IMG) Bild: „Wir machen Platz für den Gewinner mit der schlechtesten Idee“, skandieren die Trauernden
       
       Berlin taz | Unter lautem Gejaule und Geheule schiebt sich die Prozession
       am Montagabend durch die Schlesische Straße in Kreuzberg. An der Spitze des
       Zuges gehen sechs SargträgerInnen. Oder am Ende des Zuges, genau kann man
       es nicht sagen – denn der Trauermarsch, der den Geist Kreuzbergs und der
       Cuvrybrache zu Grabe trägt, geht rückwärts.
       
       „36 R.I.P.“ und „Burn Zalando“ steht auf dem aus Pappe gebastelten Sarg.
       PassantInnen gucken belustigt, die anwesenden PolizistInnen eher mürrisch.
       Ständig müssen sie Menschen auf die Schultern tippen, um ihnen zu bedeuten,
       dass sie jetzt abbiegen müssen – rückwärts demonstrieren will gelernt sein.
       
       „Dies ist die weltweit erste Rückwärtsdemo – für den vorzeitigen Rückbau
       des Bürohauskomplexes“, ruft Pastor Leumund in das Megafon. Der Mann mit
       dem grauen Bart, dem schwarzen Zylinder und der Uniform, auf der groß das
       Wort „Deserteur“ prangt, ist Vorsitzender der [1][„Bergpartei, die
       Überpartei“] – einem selbst ernannten
       [2][ökoanarchistisch-realdadaistischen Sammelbecken] und an diesem Abend
       Gastgeber der Trauerveranstaltung.
       
       „Auf der Cuvrybrache haucht der Wrangelkiez gerade sein Leben aus“, hatte
       die Partei eine halbe Stunde zuvor erklärt. „Auf der größten und letzten
       Brache an der Spree in Kreuzberg 36 wird bereits mit dem Bau eines
       gigantischen Bürokomplexes des internationalen Versandhandels mit
       Blitzkriegs-Strategie begonnen.“ Mehr als 80 Menschen haben sich am
       Spreeufer neben dem Bauzaun versammelt, der die Brachfläche von der
       Cuvrystraße abtrennt.
       
       Zwei junge Frauen halten ein paar Grashalme und Gänseblümchen in der Hand,
       eine andere Trauernde hat einen Strauß vertrockneter Kornblumen dabei. Ein
       Mann versucht sich mit seiner Harmonika am Trauermarsch, ein spontan
       gebildeter Trauerchor stimmt ein – rutscht aber immer wieder in den
       „Imperial March“ der Star-Wars-Reihe ab.
       
       ## „Der Gewinner mit der schlechtesten Idee“
       
       Hinter der Pressspanwand ragen Baukräne auf, im Hintergrund erheben sich
       die Überreste der Kunstwerke des Graffiti-Künstlers Blu, [3][die im
       Dezember 2014 schwarz übermalt wurden] – mit Zustimmung des Künstlers. „Im
       Jahr 2014, nachdem wir Zeuge der Veränderungen wurden, die in den letzten
       Jahren geschahen, hatten wir das Gefühl, es ist Zeit, die beide Wände
       auszuradieren“, hatte dieser damals erklärt.
       
       Auf der Uferbrache neben den Wandgemälden hatten lange Zeit zahlreiche
       Menschen in Holzhütten gelebt. Die Fläche war im September 2014 geräumt
       worden. Nun soll dort ein Bürokomplex entstehen. Einziger Mieter der
       geplanten 34.000-Quadratmeter-Fläche: [4][der Onlinehändler Zalando].
       
       „Wir übergeben einen Sarg und den Geist von Kreuzberg an die Spree. Zwei
       Millionen Träume sind hier zerplatzt und machen Platz für den Gewinner mit
       der schlechtesten Idee“, ruft Leumund ins Megafon. Und: „Die Galgen hängen
       tiefer. Ein Schwan fällt vom Dach.“ Ein Touristenboot fährt vorbei. „Wir
       trauern hier! Es ist sehr traurig“, ruft Leumund ihm über das Wasser hinweg
       zu.
       
       Hinter ihm stimmen die Trauernden in lautes Wehklagen ein. „Zalando – ham
       wa nicht bestellt“, ruft eine Frau, alle anderen stimmen mit ein.
       
       „Nebenbei könnten ja auch Leute den Bauzaun anzünden oder aufs Gelände
       eindringen“, sagt Leumund, während er mit einem „Burn, Zalando burn“-Schild
       wedelt. „Das hat dann aber nichts mit uns zu tun“. Am Ende der
       Veranstaltung wird die Polizei trotzdem seine Personalien aufnehmen – weil
       er angeblich zu Straftaten aufgerufen habe, wie die Bergpartei in einer
       Pressemitteilung erklärt.
       
       ## Sarg für alle Gelegenheiten
       
       „Ich bin ein ehemaliger Bewohner der Freien Cuvry“, sagt ein Mann ins
       Megafon – einen „Gastprediger“ nennt Leumund ihn. „Ich hatte meine Hütte
       unter dem großen Baum, der dort drüben stand und den es heute auch zu
       betrauern gilt.“ Er ruft die Anwesenden auf, weiter gegen die Bebauung der
       Brache zu protestieren. „Wer heute bei Zalando Schuhe bestellt, trampelt
       morgen auf der Cuvry herum.“
       
       Am Ende des Trauermarsches findet sich die Prozession wieder am Ausgangsort
       zusammen – an der Spree. Langsam senkt sich der Sarg ins Wasser. „Keine
       Schrippen für Zalando“ skandiert die Menge. Mit einem lauten Platschen
       landet der Sarg in der Spree, ein letztes mal setzt lautes,
       realdadaistisches Wehklagen auf Kommando ein. Ein zufällig vorbeifahrendes
       Schlauchboot hilft anschließend, den Sarg zu bergen. Angesichts der
       voranschreitenden Verdrängung im Kiez wird es wohl noch mehr Anlässe für
       Beerdigungen geben.
       
       23 May 2017
       
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