# taz.de -- „Hamlet“ in Hannover: Wenn Hamlet Netflix guckt
       
       > Der „Hamlet“ von Þorleifur Örn Arnarsson erinnert an eine serielle
       > Erzählung unserer Tage. Und wie in einer guten Streaming-Serie gibt’s am
       > Schluss eine besondere Pointe.
       
 (IMG) Bild: Theater-Zombies in den Ruinen der „Hamlet“-Aufführungsgeschichte
       
       HANNOVER taz | In der Netflix-Science-Fiction-Serie „The Expanse“ gibt es
       eine Raumstation, die ihre besten Zeiten schon lange hinter sich hat. Kabel
       hängen von der Decke, die Wandverkleidungen haben sich gelöst. Das Licht
       flackert in verschachtelten, immer wieder reparierten Gängen. Überall ist
       es feucht und tropft von der Decke. Zwischen all dem Chaos leben Menschen.
       
       Ganz ähnlich sieht die Bühne aus, die der Litauer Vytautas Narbutas für den
       „Hamlet“ des isländischen Regisseurs Þorleifur Örn Arnasson am Schauspiel
       Hannover entworfen hat. Man sieht schnell, dass schon lange etwas faul ist
       in diesem Helsingør. Der langgezogene Schacht mit seinen kleinen
       Seitengängen erinnert an den Todesstern. Oder an einen verlassenen
       U-Bahn-Tunnel irgendwo in einer post-apokalyptischen Welt, in dem ein paar
       Überlebende unter der Erde ein bizarres Regime errichtet haben.
       
       ## Inzestuöse Umarmung
       
       So genau weiß man das bis zum Ende nicht – und im Ergebnis käme es auch auf
       dasselbe raus: Die Menschen, die zwischen diesen Trümmern leben, sind in
       dieser Welt gefangen. Und der geheimnisvolle Fortinbras ist weit weg auf
       irgendeinem Nachbarstern. Niemand scheint zu kontrollieren, was in diesem
       Tunnelsystem passiert.
       
       So sitzen bereits ganz zu Anfang alle auf einem großen schwarzen Sarg und
       grölen, begleitet von einem verschrobenen Pianisten Lieder, während das
       seltsame Gefährt auf Eisenbahnschienen wie eine Lore nach vorn zur Rampe
       fährt.
       
       Dann finden sich der heruntergekommene Sternenkönig Claudius (Hagen Oechel)
       und seine bitchy Sternenprinzessin Gertrud (Johanna Bantzer) zu Foreigners
       80er-Jahre-Liebes-Hymne „I Want To Know What Love Is“ zu einer inzestuösen
       Umarmung – während gleichzeitig Hamlet (Daniel Nerlich) und sein
       Ophelia-Punk-Girl (Vanessa Loibl) mit rosa Haaren an der Rampe übereinander
       herfallen.
       
       ## Wozu eigentlich?
       
       Überhaupt Hamlet: Über und über mit Öl verschmiert, als sei er in den
       falschen Bereichen der Station herumgestromert, fordert er ganz zu Beginn
       den bösen Onkel heraus und will wissen, was seinem Vater in dem Riesensarg
       auf Schienen passiert ist. Aber aus der Kiste steigt wenig später er selbst
       heraus: ein zweiter, böser Hamlet mit ausdrucksloser Plastikgesichtsmaske,
       der mal eben den Sternenoffizier Polonius (Mathias Max Herrmann) abmurkst,
       während er mit seiner Mutter ringt.
       
       Nach der Pause spielen dann alle in blutroten Kostümen sich selbst, wenn
       Hamlet die Geschichte der Ermordung seines Vaters auf der Theaterbühne noch
       einmal nacherzählen lässt – um, ja wozu eigentlich? Dass sein Stiefvater
       der Mörder ist, scheint von Beginn an offensichtlich zu sein. Später kniet
       dieser nackt neben einem Sarg voller Blut, suhlt sich in der roten Farbe,
       fischt Leichenteile aus der Soße und knabbert genussvoll daran herum.
       
       Allein: Hamlet tötet ihn nicht, lässt lieber seine Freundin sterben, wartet
       auf den fünften Akt, führt Spielchen mit Rosenkranz (Susana Fernandes
       Genebra) und Güldenstern (Andreas Schlager), die im roten Raumanzug mit
       pseudo-elisabethanischer Halskrause begriffsstutzig wie seit Jahrhunderten
       durch das Set stampfen. Später suhlt sich Hamlet im „Sein oder Nicht
       sein“-Monolog an der Rampe, während Bilder von all den Hamlet-Darstellern
       zuvor über die dunklen Gänge der Station flimmern und er sich müht, eine
       rechte Performance mit dem All-Time-Hit hinzubekommen: eitel und
       Ich-bezogen – ein Narzisst auf dem Höhepunkt seiner Performance.
       
       Denn alles, was wir in diesem Science-Fiction-Setting sehen, ist Hamlets
       Spiel. Das deutet die Inszenierung bereits ganz zu Beginn an, als der
       Dänenprinz aus dem Off die Besetzungsliste des Dramas vorliest. Und das
       wird auch zwischendurch immer wieder erkennbar, etwa wenn Hamlet mit einem
       überdimensionalen Textbuch über den Fortgang der Handlung wacht. Dumm nur,
       dass der vom Nachbarplaneten zurückgekehrte Laertes (Dennis Pörtner) dieses
       Spiel über der Leiche seiner Schwester durchschaut.
       
       ## Variante der immer gleichen Inszenierung
       
       Warum Hamlet nicht einfach seinen Stiefvater umgebracht habe – und
       stattdessen eine Gewaltspirale mit immer neuen Kollateralschäden in Gang
       gesetzt habe, fährt er den verzogenen Prinzen an. Dann nimmt er seine im
       mit Blut gefüllten Sarg treibende Schwester in die Arme, versaut sich
       seinen weißen Anzug und lässt zum Schrecken Hamlets von den Hannoveraner
       Bühnenarbeitern mal eben das gesamte Science-Fiction-Endzeit-Set entsorgen.
       
       Da nützt Hamlet alles Toben nicht, die schwarzen Männer mit Akkubohrern und
       Muskel-Power sind stärker. Obwohl er sich mit aller Macht gegen den
       Abtransport der Kulissen stemmt, steht er zum Schluss ganz allein auf der
       leeren Bühne. Und will sofort wieder von vorn beginnen, manisch die alte
       Geschichte durchzuspielen. Diesmal vielleicht in einer Kleinstadt am
       Nordpol oder auf einer Südseeinsel.
       
       Es ist der große Kniff dieser gelungenen Inszenierung, dass sich das
       gesamte Setting zum Ende als eine Variante der immer gleichen Inszenierung
       in Hamlets Kopf entpuppt, der seit Jahrhunderten immer weiter Theater
       spielen will. Noch während der eiserne Vorhang runterfährt, wehrt er sich
       verzweifelt gegen diesen Schluss: Er kann nicht schweigen.
       
       Nächste Aufführungen: So, 26.3., 17 Uhr, sowie Do, 30.3., Di, 4.4. und Sa,
       8.4., 19 Uhr, Schauspiel Hannover
       
       25 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alexander Kohlmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
       
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