# taz.de -- Stierzucht in Portugal: Vor dem Finale der Kampf
       
       > Bald beginnt die Stierkampfsaison. Senhor Grave züchtet im
       > portugiesischen Alentejo die Tiere, die in den Arenen kämpfen werden.
       
 (IMG) Bild: 20.000 Euro bekommt Senhor Manuel für einen seiner Stiere in Spanien
       
       Das letzte Wort hat Joaquim, der wuchtige, schweigsame Joaquim. Nach
       Sonnenaufgang rollt er mit dem Pick-up von der Strohscheune auf der Anhöhe
       zur Ebene hinunter. Hält an, riegelt Tore auf, sperrt sie hinter sich
       wieder zu. Fährt Schritt über die grüne Trift, und während er die Stiere
       betrachtet, prüft er mit dem Blick auch den Zustand der Holzgatter,
       Drahtbarrieren, Stützpfosten.
       
       In Senken hinunter steuert Joaquim, Böschungen hinauf, um den Tümpel herum,
       über die hundert mal zehn Hektar umfriedeten Gras- und Baumlandes, die die
       Kampfstierzuchtfarm Galeana des Senhor Manuel de Vasconcellos e Sá Grave
       und der Senhora Maria do Carmo im Alentejo nächst der Grenze Portugals zu
       Spanien an Fläche hat.
       
       Über die fünfzig ist Joaquim hinaus, und nie, dass er von sich aus spricht.
       Er redet erst, wenn jemand ihn etwas fragt und ihm dabei ins Gesicht sieht,
       sodass er die Frage an den Lippenbewegungen ablesen kann. Joaquim hört
       schlecht, aber er ist furchtlos und stark. Von den 650 Rindern kennt er
       jedes mit Namen und eingebrannter Nummer, und beim Auslegen des
       Kraftfutters ist er allein mitten unter ihnen und lässt es aus
       Zentnersäcken in die Blechtröge rieseln.
       
       Correcampos sieht er, den schwarz-weiß gefleckten Stier, und Largapuya, den
       dunkelbraunen, der gerade einer Kuh hinterherwittert. Honrado passiert
       Joaquim, den schwarzen Stier, der im Bodennebel unter einer Steineiche
       liegt. In Lissabon, Évora oder Vila Franca sind sie einmal gewesen. Mit
       Ungestüm und Ausdauer haben Correcampos, Largapuya und Honrado in den
       Arenen dort dem Torero im Kampf widerstanden. Zuchtstiere sind sie nun alle
       drei aus dem Grund.
       
       In der flachen Mulde hinter der verlassenen Tagelöhnerkate ist wiederum
       Muita Cara von Jungstieren umringt. Die Köpfe haben sie ihm zugewandt, ihm,
       dem riesenhaften Ochsen mit heller Decke und mit Hörnern, die vierfach
       gekrümmt mehr als einen Meter lang emporragen. Ein Bild, als hätte er die
       Runde deshalb um sich versammelt, um ihr von früher zu berichten, als er
       selbst unbeherrscht und stürmisch war. Seine Gegenwart wirkt beruhigend auf
       die jungen Stiere. So riesenhaft und solche Hörner und dabei so sanft von
       Gemüt, deswegen ist Muita Cara da, ein Greis von zwanzig Jahren.
       
       Im schweren Geländewagen kommt Senhor Manuel angefahren. Einen Farmerhut
       aus Filz hat er auf und eine Goldrandbrille, eine Steppjacke an, eine
       Cordhose, Gummistiefel. Schlank, graumeliert, jenseits der sechzig. Er
       sagt, dass Joaquim als der Vorsteher, der Mayoral, für alles auf dem Gut
       verantwortlich ist.
       
       ## Seelenverwandt mit Stieren
       
       Joaquim und nicht er entscheidet, welcher Stier in den Kampf geht und
       welcher zur Schlachtung, welche von den jungen Kühen sich mit den
       Zuchtstieren paaren und welche künftig Milchkühe sind oder zur Mast gegeben
       werden. Er, der Senhor, macht ihm dazu Vorschläge, und gemeinsam wägen sie
       ab. Das Urteil aber ist bei Joaquim, dessen Autorität auf Verstand und
       Erfahrung gründet.
       
       Joaquim liest das Lob von den Lippen des Senhors ab und sagt dazu, dass er
       in der Gutsverwalterwohnung im Seitenflügel des Herrenhauses geboren wurde,
       dass er von klein auf mit dem Vater arbeitete und dass der Posten des
       Vorstehers durch Verwandtschaftstradition auf ihn gekommen sei. Dass die
       Stiere der Inhalt seines Lebens sind, sagt er weiter, er fühle mit ihnen,
       als hätten sie und er dieselbe Seele. Er bemerke sofort, sollte einer von
       ihnen leiden.
       
       In Arbeitshosen, Arbeitsschuhen und grauer Leinenjacke steht Joaquim da. Er
       schweigt wieder, und der Senhor blickt ihm ins Gesicht. Eine Frage hätte er
       an ihn, aber in dem Moment kommt Joaquims Schwager, Nito heißt er, im
       Traktor an und kriegt die Aufmerksamkeit. Auf dem Hänger schafft er Stroh
       aus der Scheune zum Zufüttern heran. Im Alter des Senhors ist Nito und
       stark und furchtlos wie Joaquim, doch anders als der wohnt er in Granja,
       dem Dorf in der Nähe.
       
       Aus Granja ist auch Vicência, die Haushälterin. Fast siebzig Jahre alt,
       klein, rundlich – ohne Kittelschürze und ohne Dauerwelle wurde sie noch nie
       gesehen. Die Senhora sagt, dass Vicência als Geist der Reinlichkeit und
       Geborgenheit Wunderbares innerhalb der Mauern des Hauses vollbringt.
       Morgens holt der Senhor sie mit dem Auto ab, nachmittags fährt er sie
       zurück.
       
       Mit dem Frühstück der Herrschaft um acht Uhr geht es für die Haushälterin
       los. Kaffee die Senhora, Kräutertee der Senhor. Weißes Brot vom Bäcker in
       Granja, Granatapfelkompott, Rübensirup, Dauerwurst. Den Käse frisch vom
       runden Laib gehobelt, Oliven und Orangen vom eigenen Baum und süße Mandeln
       vom Nachbarn dazu.
       
       An dem einen Ende des langen Tisches sitzen der Senhor und die Senhora im
       gekalkten fensterlosen Gewölbe des Esszimmers, Abbildungen der Vorfahren
       vor sich an der Wand, und durch den Zugang zur Küche flutet Tageslicht zu
       ihnen herein. Gesprochen wird kaum, und Vicência trägt auf und räumt fort,
       und aus dem Wasserglas nimmt der Senhor als Abschluss einen Schluck vom
       Roten der Sorte derer von Grave, von dem eine Flasche auf der Kommode
       hinter ihm steht. Danach geht er ins Büro hinüber.
       
       Zu Mittag kocht Vicência oft etwas mit Stockfisch oder Rind, davor putzt
       sie sich durch die Räume. Am Abend dann richtet die Senhora für sich und
       den Senhor das an, was Vicência an Essen vorbereitet hat. Die Senhora ist
       Spanierin, zierlich und jünger als der Senhor. Sie übersetzt in Englisch,
       Spanisch und Portugiesisch. Im Kaminzimmer im Obergeschoss arbeitet sie,
       manchmal ist sie für Tage zum Übersetzen in Lissabon.
       
       ## 20.000 Euro bringt ein Kampfstier in Spanien
       
       Vom Schreibtisch im Büro aus blickt der Senhor auf Schränke mit Büchern und
       Bildbänden über den Stierkampf in Portugal, Spanien, Frankreich und
       Lateinamerika, über berühmte Matadore, tapfere Stiere, einmalige Kämpfe.
       Auf Plakate blickt er, auf Fotografien und Gemälde. Sie zeigen, wie sich
       der Stier in aufwärtsstrebender Pose im Streit mit der Muleta verzehrt, dem
       Tuch des Toreros.
       
       Der Senhor sitzt über dem Schriftverkehr, Rechnungen und wieder Rechnungen
       und Anfragen aus dem Netz zu den Stieren außerdem. Den Tag bis in den Abend
       hinein bringt er damit zu, unterbrochen nur vom Mittagessen und von der
       Fahrt nach Granja und zurück Vicências wegen. Zu selten kommt er über
       alldem zu den Stieren hinaus.
       
       Dass der Großvater das Gut von einem spanischen Ehepaar übernommen hat,
       erzählt der Senhor. Es war das Jahr 1939, und der Mann und die Frau sind
       nach Spanien zurück, weil der Bürgerkrieg im Land zu Ende war und die Dinge
       dort dann anders wurden.
       
       Für die Stierzucht ist die Hazienda wie geschaffen, das hatte der neue
       Besitzer gleich erkannt. Becken und Erhebungen wechseln auf der Flur ab,
       etwas, das die Stiere vor Regen, Wind und dem Brennen der Sonne schützen
       würde.
       
       Als Erste kauften portugiesische Veranstalter Kampfstiere von der
       Grave-Farm. Ihnen folgten Impresarios aus Madrid, Sevilla oder Pamplona.
       Bis nach Südfrankreich hinauf, bis nach Arles, Nîmes, Béziers und Bayonne,
       liefert die Farm heute den Stier für die Manege.
       
       Unter den 650 Rindern sind siebzig Stiere, die das Kampfalter von vier
       Jahren erreicht haben. Die anderen Tiere der Herde sind neben den
       Zuchtstieren und dem Ochsen Kühe, Färsen, Jungstiere und Kälber.
       
       Zweitausend Euro bringt ein Kampfstier in Portugal, das Zehnfache davon in
       Spanien oder Frankreich. Wahrscheinlich deshalb, weil die Stiere in
       portugiesischen Arenen überleben, in spanischen und französischen aber
       sterben.
       
       Das Wagnis aber ist noch vor dem des Toreros zuerst auf Seiten des Senhors.
       Unmöglich, sagt er, vorherzubestimmen, wie sich ein Stier beim Auftritt
       verhalten wird, ob zurückhaltend oder bereit anzugreifen.
       
       Ein zaghafter, matter oder fauler Stier wäre unverzeihlich. Bevor ein Stier
       für den Kampf freigegeben wird, sagt der Senhor, muss er über Wochen
       beobachtet worden sein. Auf die Art ist vielleicht sein Temperament an der
       Muleta zu erahnen. Nichts in der Hinsicht geht dem Senhor über den Blick
       Joaquims für die Tiere.
       
       ## Geld verdienen mit Stieren
       
       Bis er das Gut als Erbe übertragen bekommen hat, ist der Senhor Tierarzt in
       Santarém gewesen, einer Stadt nördlich von Lissabon. Als Herr Doktor reden
       ihn Joaquim, Nito und Vicência an. Senhor Doutor, eine patriarchale
       Autorität.
       
       Um die Kritik am Stierkampf weiß er. Viel an Kritik, an ungerechtfertigter,
       trifft ihn, sagt er. Es geht um den Vorwurf, dass Kampfstiere von seiner
       Farm ihr Leben in spanischen und französischen Arenen verlieren.
       
       Nachts im Bett hört er die Vierjährigen draußen im Gehege brüllen. Den
       Angreifer wollen sie, den Todfeind, nach Genugtuung suchen sie. Schleier
       von Erde werfen sie beim Scharren mit den Vorderbeinen auf, senken das
       Horn, lassen es in die Höhe fahren, und ständig sind sie am Wittern, wo ist
       die Kuh. Mitunter überwinden sie Gatter und Barrieren, die die Weiden
       voneinander abgrenzen, um zum Herausforderer drüben zu gelangen. Auf der
       Farm verletzen sich jedes Jahr Stiere gegenseitig tödlich, weil sie
       Auseinandersetzungen miteinander austragen.
       
       Später kämpfen sie zwanzig Minuten lang vor Publikum und dann das Finale.
       Aber davor, sagt der Senhor, hatte der Stier bei Joaquim und ihm vier Jahre
       ein Dasein gemäß seiner Natur.
       
       16 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Feix
       
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