# taz.de -- Kunst in der spanischen Extremadura: Wo die Zivilisation auf Granit beißt
       
       > Bizarre Landschaften und skurrile Plastiken: Im Museum Vostell Malpartida
       > in der Extremadura ist die Vergänglichkeit der Kunst spürbar.
       
 (IMG) Bild: Wolf Vostells Autoskulptur in der spanischen Extremadura
       
       Vielleicht haben hier irgendwann einmal Dinosaurier Fußball gespielt.
       Vielleicht haben sie sich die Findlinge wie Bälle zugekickt. Und danach
       blieben die Granitbrocken einfach liegen, planlos verstreut über ein Areal
       aus sanften Hügeln, Teichen und Korkeichen. Heute sind die skurrilen Felsen
       das Markenzeichen von Los Barruecos, einer archaisch anmutenden
       Mondlandschaft in der Extremadura im Südwesten Spaniens, die 1996 zum
       Monumento Natural erklärt wurde.
       
       Ein Naturdenkmal, das einen Millionen von Jahren zurückversetzt in eine
       Zeit, als es nicht viel mehr als Steine gab, als die Erde für Menschen
       unbewohnbar und die moderne Zivilisation Lichtjahre entfernt war. Wie es
       wohl gewesen sein muss, denkt man, wandert durch die prähistorische
       Szenerie – und entdeckt plötzlich etwas, das wie eine Karosserie mit Rädern
       aussieht. Ein Auto? Hier, inmitten dieser unwirtlichen Gegend? Sollte hier
       jemand im Alkoholrausch sein Fahrzeug zu Schrott gefahren haben?
       
       Nein, es war der deutsche Fluxuskünstler Wolf Vostell, der hier in den
       1970er Jahren einen Opel Admiral, Fetisch der damaligen
       Wohlstandsgesellschaft, einbetoniert hat. Ähnlich wie er am Berliner
       Rathenauplatz eine Skulptur mit zwei Beton-Cadillacs „in Form der nackten
       Maja“ platzierte oder am Kölner Hohenzollernring einen Opel Kapitän als
       Sinnbild des ruhenden Verkehrs in Stahlbeton goss. Doch anders als in den
       Großstädten endete die Fahrt hier in der Steinzeitlandschaft, wo das Auto
       buchstäblich auf Granit beißt.
       
       Ein starkes Statement, bei dem allein es nicht blieb. Vielmehr war das Werk
       nur die Initialzündung für das benachbarte, sehr spezielle Freilichtmuseum,
       das Museo Vostell Malpartida, nicht weit vom gleichnamigen Dorf entfernt,
       das für seine unzähligen Störche bekannt ist.
       
       ## Staub, Mörtel, Vogelkot
       
       Zu dem Museum gehört neben bizarren Skulpturen und Installationen im Freien
       auch das wunderschöne Gebäude einer Wollwäscherei aus dem 18. Jahrhundert,
       das die Gemeinde in den 1970er Jahren erwarb und Vostell zur Verfügung
       stellte. Nachdem hier einst Schafe geschoren und deren Wolle gewaschen
       wurde, machte der Wegbereiter des Environments und der Videokunst daraus
       nach und nach ein Zentrum der Avantgardekunst.
       
       Auch andere Künstler wie Dalí stifteten das eine oder andere. Doch füllen
       vor allem Vostells eigene Werke die sorgsam restaurierten Gemäuer.
       Großformatige Gemälde und Installationen aus Autoreifen, gespickt mit
       Fernsehbildschirmen, über die irgendwelche Sendungen flimmern. Neben dem
       „Ende Parzivals“, bestehend aus einem Vorhang von übereinander aufgehängten
       Motorrädern, die aus der Leibgarde Francos stammen, offenbart ein Cadillac
       mit geöffneter Motorhaube das Innere eines Konzertflügels.
       
       Ein Stück weiter lauert wiederum die „Innere Depression“: eine an eine
       Dorfschule erinnernde Anordnung von Tischen, auf denen Fernseher und
       Radiogeräte stehen, die über und über mit Staub, Mörtel, womöglich auch
       Vogelkot überzogen sind. Heute werden sie von Schulklassen und anderen
       Besuchern bestaunt, mitunter belächelt, manch einer schüttelt auch
       verständnislos den Kopf.
       
       Immerhin kommen mittlerweile um die 40.000 Menschen im Jahr. Die einen
       machen von Cáceres aus einen kurzen Abstecher nach Malpartida, andere
       entdecken das Museum zufällig beim Wandern, zu dem die Barruecos-Landschaft
       einlädt. Aber es gibt auch solche, die eigens wegen Vostell in die
       Extremadura fahren. Von der positiven Bilanz nach vierzigjährigem Bestehen
       ist selbst Museumsdirektor José Antonio Agúndez überrascht. „Das hätten wir
       alle nicht gedacht“, gibt er zu.
       
       Wahrscheinlich hätte auch Vostell selbst, der 1998 gestorben ist und das
       Museum ursprünglich nur als Treffpunkt für Kunst, Leben und Natur
       konzipiert hat, nicht erwartet, dass sich so viele Menschen hierher
       verirren. Zumal seine Aktionskunst keineswegs für die Ewigkeit bestimmt
       war. So aktuell die teils beißende, teils skurrile oder humorvolle Kritik
       an Zivilisation, Medien und Zeitgeschehen gewesen sein mag – inzwischen
       erscheint vieles überholt. Zumindest ruft das, was früher noch als
       unerhörte Provokation empfunden wurde, heute keine wütenden Proteste mehr
       hervor.
       
       In der Berlinischen Galerie oder im Potsdamer Fluxus-Museum dienen Vostells
       Werke denn auch vor allem dazu, eine bestimmte Kunstepoche oder
       Stilrichtung des 20. Jahrhunderts zu illustrieren. Ganz anders in der
       Extremadura, einer der menschenleersten Regionen Spaniens. Sie ist wie
       einst, als Leute wie Pizarro, Cortés oder Balboa von hier aus zur Eroberung
       Amerikas aufbrachen, noch immer zu weiten Teilen von knorrigen Korkeichen
       überzogen. Dazwischen fressen sich Ibérico-Schweine an Eicheln satt, um
       schließlich als heißbegehrter Schinken zu enden.
       
       Hier fügt sich die Kunst in einen viel weiteren Kontext zwischen
       Prähistorie, 18. Jahrhundert, spätem 20. Jahrhundert und Gegenwart ein. Die
       Werke außerhalb des Museums sind zudem der Witterung und Erosion, der
       sengenden Hitze, Regen, Kälte und Zerfall, also dem Verdauungsprozess der
       Natur ausgesetzt, der auch die Granitblöcke im Lauf der Zeit geformt hat.
       
       Irgendwann werden sie ganz mit ihrer Umgebung, der Vegetation, Erde,
       Storchennestern und Vogelexkrementen verschmolzen sein. Bis dahin sind sie
       ein denkwürdiges Sinnbild für die Vergänglichkeit von (Fluxus-)Kunst. Was
       bedeutet schon das kurze Aufblitzen eines Gedankens angesichts des
       Millionen Jahre alten Granits?
       
       5 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Wiebrecht
       
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