# taz.de -- Arabisches Theatertreffen: Das Theater als Zufluchtsort
       
       > Das dritte arabische Theatertreffen in Hannover präsentiert sieben
       > Produktionen unter anderem aus Syrien, Marokko und Tunesien.
       
 (IMG) Bild: Szene aus „Über Null“ der syrischen Gruppe Koon Theatre
       
       HANNOVER taz | Zwei Schauspieler werden vor einen Wagen gespannt. Zu
       rhythmischen Klängen wechseln die anderen Ensemble-Mitglieder die Kostüme
       der beiden. Die lassen das wie zwei Anziehpuppen mit sich geschehen. Aus
       dem Armeegeneral wird eine verschleierte alte Frau, der Flüchtling
       verwandelt sich in einen Mann mit langem schwarzen Bart und weißem Gewand.
       Plötzlich hat er eine Pistole in der Hand und zielt auf das Publikum –
       bämmm! Diese Verwandlung ist eine Schlüsselszene der syrischen Produktion
       „Über Null“, die am Donnerstagabend zum Auftakt des dritten arabischen
       Theatertreffens im Kulturzentrum Pavillon in Hannover zu sehen war.
       
       Nach eigenen Angaben hat sich die Gruppe um den syrischen Regisseur Oussama
       Halal in ihrer Arbeit am epischen Theater Bertolt Brechts orientiert –
       jenes deutschen Autors, der wie kaum ein anderer auf der Bühne
       Zusammenhänge sichtbar machen wollte, statt das Publikum mit schönen
       Geschichten einzulullen. An keiner Stelle wird das Vorbild der Performer so
       deutlich sichtbar wie in dieser Szene: Jeder kann jede Rolle übernehmen –
       das Problem ist die Struktur.
       
       Mit „Über Null“ gelingt dem arabischen Theatertreffen ein starker Auftakt.
       Man habe bewusst Produktionen eingeladen, die mit großen Bildern arbeiten
       und so die Sprachbarriere überwinden, erklärt die Festival-Kuratorin Mariam
       Soufi-Siavash. Insgesamt sieben europäische Erstaufführungen stehen auf dem
       Spielplan, Produktionen unter anderem aus Syrien, Marokko und Tunesien.
       
       Dass es das Festival überhaupt noch gibt, ist ein kleines Wunder. Denn
       gestartet ist die Veranstaltung unter dem Label „Arabischer Frühling“. „Wir
       waren begeistert von der Dynamik der Entwicklung in der arabischen Welt“,
       sagte die Mitbegründerin Sabine Trötschel bei der Eröffnungsfeier. Die neue
       Vielfalt der Möglichkeiten habe man unbedingt in Hannover abbilden wollen.
       
       ## Bedrückende Entwicklung
       
       Heute, drei Jahre später, ist von dieser Euphorie wenig geblieben. „Die
       Aufbruchstimmung ist verflogen und wir mussten den Zusatz ‚Arabischer
       Frühling‘ mittlerweile streichen“, sagt Organisator Fettah Diouri. In
       diesem Jahr sei man schon „froh, dass wir unter den derzeitigen Bedingungen
       überhaupt alle Arbeiten präsentieren können“. Bis zuletzt habe man um Visa
       für die eingeladenen Künstler kämpfen müssen. In zwei Fällen hat es nicht
       geklappt, deshalb muss Regisseur Oussama Halal in der
       Eröffnungsinszenierung selber auf der Bühne stehen.
       
       Angesichts der bedrückenden Entwicklung in der arabischen Welt sei das
       Theaterfestival wichtiger denn je, glaubt Kuratorin Soufi-Siavash. Das
       diesjährige Motto „Zuflucht“ sei deshalb durchaus wörtlich zu verstehen.
       Viele der eingeladenen Gruppen arbeiten in ihrer Heimat unter schwierigsten
       politischen Bedingungen. „Hier in Hannover wollen wir ihnen einen Ort für
       einen freien Austausch eröffnen“, betont Soufi-Siavash. „Zuflucht“ stehe
       aber auch für die Möglichkeit des Theaters, in einer repressiven
       Gesellschaft eine Institution zu sein, in der Dinge möglich sind, die sonst
       nicht stattfinden. Die Bühne eröffnet im Idealfall einen Raum für einen
       gesellschaftlichen Diskurs.
       
       In der Tat liest sich das Festivalprogramm wie ein Querschnitt durch
       aktuelle Fragestellungen und gesellschaftliche Probleme in der arabischen
       Welt. Da erzählt in einer libanesischen Produktion eine Frau auf der Bühne
       die Geschichte ihrer Familie. „Es könnte die Geschichte einer beliebigen
       Familie aus Palästina sein“, heißt es im Programmheft.
       
       Ali, Ehemann, Sohn und Bruder hat sich als „Märtyrer“ in Israel getötet.
       Seine Angehörigen bleiben ungeachtet der Unterstützung durch die
       palästinensische Gesellschaft mit dem Verlust allein. Die Inszenierung „Wie
       finde ich jemanden wie dich, Ali?“ wurde zum ersten Mal am Babel-Theater im
       Libanon gezeigt. In Hannover ist sie in arabischer Sprache mit deutschen
       Untertiteln zu sehen.
       
       Auch das Schicksal der Frauen, denen bei der letzten Ausgabe das ganze
       Festival gewidmet war, wird wieder in Hannover thematisiert. In der
       Inszenierung „K.O.“ aus Tunesien wird eine Frau Opfer körperlicher Gewalt
       und muss erleben, dass sie in einer männlich dominierten Gewaltherrschaft
       für den Übergriff auch noch selbst verantwortlich gemacht wird. Gemeinsam
       mit einem gefallenen Boxer hinterfragt sie die Doppelmoral der tunesischen
       Gesellschaft.
       
       ## Plattform für Austausch
       
       Zu erleben, wie das Theater in der arabischen Welt tatsächlich zu einer
       Plattform werden kann, auf der Fragestellungen verhandelt werden, die sonst
       nicht zur Sprache kommen dürfen, macht Hoffnung. Der Schmerz über die
       längst verflogene Hoffnung auf einen „Arabischen Frühling“ ist an vielen
       Orten in überzeugende Kunstwerke übersetzt worden, die ihrerseits wieder
       symbolisieren, dass die Entwicklung der vergangenen Jahre kein Grund ist,
       die Hoffnung endgültig aufzugeben.
       
       Neben den Theaterproduktionen glänzt das Festival auch durch ein
       mehrdimensionales Begleitprogramm. Arabische Filme, Workshops und
       Diskussionen sollen die Auseinandersetzung vertiefen. Zur Reflexion lädt
       unter anderem eine beeindruckende Fotoausstellung ein. Unter dem Titel
       „Wege ins Ungewisse“ haben sechs Künstler, die in Hannover im Exil leben
       müssen, ihre Erfahrungen in Gemälde und Fotografien verwandelt.
       
       Da hängt im Foyer ein expressionistisch anmutendes Gemälde von zwei
       Menschen, die sich beim Gedanken an ihre Heimat buchstäblich die Haare
       raufen vor Schmerz. Leuchtende, rot-gelbe Farben und plastische Gesten
       fallen schon aus der Ferne auf. Gemalt hat das Bild der syrische Künstler
       Ziad El Kilani. Seine Arbeit berührt ganz unmittelbar, auch ohne Kenntnis
       des konkreten Kontextes.
       
       Denn es geht bei diesem Festival in erster Linie nicht um Bürgerkrieg,
       Flucht und Vertreibung, sondern um Kunst. Eine Selbstverständlichkeit, die
       offenbar im Umgang mit Exil-Künstlern so oft vergessen wird, dass sie die
       syrische Theatergruppe in einer Ansprache an das Publikum ganz unmittelbar
       in ihre Performance einbaut. „Wir sind keine Flüchtlingskünstler“, rufen
       sie uns in arabischer Sprache entgegen und wehren sich gegen eine
       festivalgerechte Refugees-Welcome-Etikettierung: „Wir sind syrische
       Künstler.“
       
       „Arabisches Theatertreffen“: bis 25.1., Pavillon Hannover. Ausstellung bis
       3.2. , Programm und Tickets: [1][pavillon-hannover.de]
       
       21 Jan 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] |homepage pavillon hannover|http://www.pavillon-hannover.de
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alexander Kohlmann
       
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