# taz.de -- taz-Debattenserie Digitalisierung: Lehrer motivieren!
       
       > Bund und Länder wollen das digitale Klassenzimmer. Nur: Mit neuen
       > Kompetenzvorgaben allein werden sie nicht weit kommen.
       
 (IMG) Bild: Bis 2021 sollen alle SchülerInnen in Deutschland eine „digitale Lernumgebung“ nutzen können
       
       So könnte er aussehen, der Unterricht mit dem Smartphone. Die Schülerinnen
       und Schüler entwerfen in Physik ein digitales Pulsmessgerät, programmieren
       es in Informatik und testen es im Sportunterricht. Die Pulsfrequenz werten
       sie anschließend mit einer Smartphone-App aus. Mit dieser Idee reisen zwei
       Berliner Lehrer kommendes Jahr auf die europaweit größte Bildungsmesse für
       MINT-Lehrkräfte, dem Science on Stage Festival. Sie haben sich wie elf
       andere deutsche Schulprojekte für das Wissenschaftsfestival in Ungarn
       qualifiziert. Sie alle zeichnet aus, dass sie Smartphones oder andere
       digitale Hilfsmittel innovativ im Unterricht einsetzen.
       
       Der Haken: Das Ganze wird von der Metall- und Elektroindustrie, nicht von
       den zuständigen Ministerien, gesponsert. Und das sagt viel über die
       digitale Bildungspolitik im Land aus. Schon seit Jahren liegt die
       Wirtschaft – und vereinzelt PädagogInnen – der Politik mit einer Warnung in
       den Ohren. Erlernt die heutige Schülergeneration nicht schon im
       Klassenzimmer die digital skills, verpasst sie den Anschluss an die moderne
       Arbeitswelt. Bezeichnenderweise ist es auch mit der Telekom zu verdanken,
       dass bereits vor 15 Jahren sämtliche Schulen im Land einen kostenfreien
       Internetanschluss hatten. Warum aber heute die wenigsten Lehrkräfte
       regelmäßig am PC – geschweige denn mit Smartphones oder Tablets –
       unterrichten, hat am wenigsten mit der mangelnden Ausstattung zu tun.
       
       Ein Grund dafür ist, dass die KultusministerInnen die digitale Schule lange
       verschlafen haben. Zwar haben sie vor wenigen Wochen in einer
       „Digitalstrategie“ in wolkigen Formulierungen dargelegt, welche Kompetenzen
       Kinder in Zukunft erlernen sollen: „kommunizieren und kooperieren“ etwa
       oder „produzieren und präsentieren“. Dabei hätten Bildungsministerin Wanka
       und LänderkollegInnen schon vor zwei Jahren entschieden handeln müssen.
       Damals stellte die internationale Bildungsstudie ICILS fest, dass die
       Computerkenntnisse bei AchtklässlerInnen eher mau und zum Teil katastrophal
       sind.
       
       Wer jetzt glaubt, die Digitalisierung der Schulen würde nun umso beherzter
       angepackt, irrt. Zwar benennen die Länder in ihrer neuen Strategie
       ehrgeizige Ziele: Von 2018 an sollen Schülerinnen und Schüler lernen,
       welche Quellen im Netz vertrauenswürdig sind, wie sie sich vor Hackern
       schützen können, wann Tweets strafrechtlich relevant sind und wer an
       Algorithmen Geld verdient. Anstatt gleich ein neues Fach „Medien“ oder
       „Digitalkunde“ einzuführen, das sich gezielt mit Datenkraken,
       App-Entwicklung oder Fake News auseinandersetzt, sollen alle Schulfächer
       ihren jeweiligen Beitrag leisten. Natürlich nur dann, wenn es pädagogisch
       sinnvoll ist. Also: wenn es die Lehrerinnen und Lehrer für sinnvoll
       erachten. Und da fängt das Problem an. Fast jede zweite Lehrkraft in
       Deutschland ist über 50. Und viele PädagogInnen sehen in Smartphones keine
       Unterrichtshilfen, sondern Störenfriede, die die Kinder vom Stoff ablenken.
       
       ## Bring your own device hat auch Nachteile
       
       Was hinzu kommt: Um die Medienkompetenz der Lehrerinnen und Lehrer ist es
       hierzulande nicht gerade rosig bestellt. Die Lehrenden, so sieht es die
       Digitalstrategie vor, sollen aber selbst Geräte, Software und Apps
       beherrschen, sicher mit Daten umgehen, dabei die digitale Lebensrealität
       der Jugendlichen kennen und „medienerzieherisch wirksame Konzepte“
       erarbeiten. Man müsste, so viel ist klar, also erst mal viele LehrerInnen
       fit fürs Digitale machen. Die Lust dazu, das legt die aktuelle TIMMS-Studie
       nahe, hält sich jedoch in Grenzen. Gerade mal 1,5 Prozent der befragten
       MathelehrerInnen besuchten ein Seminar zu digitalen Unterrichtskonzepten.
       In Polen waren es fast 70 Prozent. Die Fortbildungsunlust der LehrerInnen
       wurde auch unmittelbar nach den Digitalisierungsplänen laut. Einer der
       beiden großen Lehrerverbände stellte klar: Die Fortbildungen müssen in der
       Dienstzeit stattfinden. Das dürften wiederum die Schulen nicht gut finden.
       Für die Lehrkräfte bleibt womöglich nur die unattraktive Lösung: unbezahlte
       Mehrarbeit in der Freizeit.
       
       Ähnlich zögerlich ist auch die Ausbildung der künftigen Lehrer geregelt.
       Anstatt den Hochschulen vorzuschreiben, alle Lehramtsstudienerde künftig
       verpflichtend in Kurse zur Medienkompetenz zu setzen, überlassen sie es den
       Unis selbst, wie sie die angehenden Lehrkräfte auf den digitalen Unterricht
       vorbereiten. In ihrem Beschluss legen die KultusministerInnen lediglich
       nahe, „im Interesse einer gewissen Verbindlichkeit“ die gewünschte
       Digitalkompetenz als notwendige Anforderung für das Referendariat
       festzulegen. Das aber reicht nicht aus. Medienkompetenz muss ein
       Pflichtfach im Lehramtsstudium sein. Nur dann können BiologInnen,
       MusikerInnen oder InformatikerInnen ihre Klassen ähnlich kompetent
       unterrichten wie seit 2009 ihre Thüringer KollegInnen, die dort in den
       Klassen 5 bis 10 Medienkunde unterrichten. Allerdings mit einem
       Wermutstropfen: Den Pflichtkurs haben die SchülerInnen nur eine
       Doppelstunde im Jahr. Das ist sinnvoll – ändert aber wenig am tagtäglichen
       Unterricht.
       
       Immerhin ein Ziel der Politik scheint leicht umsetzbar: Bis 2021 soll jeder
       Schüler und jede Schülerin eine „digitale Lernumgebung“ nutzen können.
       Damit ist wohl ein gutes WLAN-Netz in den Klassenzimmern gemeint. 5
       Milliarden Euro hat der Bund unter anderem dafür in Aussicht gestellt. Ob
       die Länder mit dem Geld auch Tablets oder Smartphones für die SchülerInnen
       anschaffen wollen, ließen sie offen. Möglich also, dass die Kinder in
       Zukunft ihre eigenen Geräte im Unterricht einsetzen – zum Entsetzen von
       drei Gruppen: den LehrerInnen, die Smartphones am liebsten aus dem
       Unterricht verbannen würden. Den BildungsforscherInnen, die davor warnen,
       im bring your own device einkommensschwache Familien zu outen. Und –
       natürlich – dem Wirtschaftszweig, der sich von der
       Digitalisierungsstrategie schon ein milliardenschweres Konjunkturprogramm
       erhofft hatte.
       
       29 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Pauli
       
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