# taz.de -- taz-Serie Verschwindende Dinge (2): Kein Anschluss unter dieser Nummer
       
       > Kaum einer braucht sie noch, die Telefonzelle. Dafür ist ihr
       > Nostalgiefaktor umso größer: Liebhaber zahlen für die gelben Häuschen
       > viel Geld.
       
 (IMG) Bild: Telefonhörer ohne Zelle: Auch in den Bildarchiven werden Telefonhäuschen rar
       
       Es ist gar nicht so leicht, sie im Wimmelbild des Stadtverkehrs zu
       entdecken, wenn man tatsächlich mal eine sucht. Der ungeübte Blick bleibt
       mehr als einmal an Stromverteilerkästen und Parkuhren hängen – aber doch,
       da steht eine, Mohrenstraße, Ecke Friedrichstraße: ein öffentlicher
       Münzfernsprecher der Deutschen Telekom.
       
       Telefonzelle, sagt der Volksmund noch immer, in Ermangelung einer besseren
       Vokabel für die Telefonsäule, die natürlich schon längst keine richtige
       Zelle mehr ist, sondern lediglich noch an ein oder zwei Seiten von einer
       Glasscheibe begrenzt wird. „Basistelefon“ nennt die Telekom die radikalste
       Variante, bei der nur noch ein Telefonapparat auf einer Stele aus Stahl
       montiert ist. Doch der Niedergang des öffentlichen Münzfernsprechers war
       rasant, und Sprache ist eben manchmal behäbig.
       
       Eine Milliarde Telefonate von öffentlichen Fernsprechern zählte die Telekom
       1999. Zehn Jahre später waren es nur noch 165 Millionen, wiederum ein Jahr
       später noch 120 Millionen. Entsprechend zurückgebaut wurden die Standorte:
       60.000 öffentliche Fernsprecher waren laut Bundesnetzagentur 2011 noch in
       Betrieb. Seitdem hat sich ihre Zahl halbiert. Die Entwicklung für die
       einzelnen Bundesländer wird nicht erhoben, die Senatsverwaltung für
       Wirtschaft listet für Berlin exakt 1.232 öffentliche Münzfernsprecher.
       
       Für die Telekom bedeuten die Münzfernsprecher inzwischen mehr Umstände als
       dass sie Umsatz bringen würden. Zwischen 100 und 200 Euro kosten Wartung
       und Unterhalt einer Telefonzelle im Monat, sagt Telekomsprecher Georg von
       Wagner: Geld für Stromkosten, fürs Münzfach leeren, für Reparaturarbeiten.
       Allein eine Million Euro zahlt das Unternehmen jährlich, um herausgerissene
       Hörer und eingetretene Scheiben zu ersetzen. Und weil die Apparate immer
       weniger Umsatz erwirtschaften, dürfen sie auch immer weniger kosten: An
       einer Telefonsäule mit einer lediglich handtuchgroßen Trennscheibe zur
       Außenwelt kann eben kaum noch Glas zu Bruch gehen.
       
       Fällt der Umsatz einer Telefonzelle unter 50 Euro im Monat, baut die
       Telekom sie ab. Zumindest darf sie dann laut einer Vereinbarung, die das
       Unternehmen im Jahr 2012 mit der Bundesvereinigung der kommunalen
       Spitzenverbände traf, die Kommune befragen: Stimmt die dem Abbau zu, ist
       das Telefon weg – und kommt aller Wahrscheinlichkeit auch nicht wieder,
       denn die Telekom ist zum Wiederaufbau der einmal abgebauten Standorte nicht
       verpflichtet.
       
       ## Kalter Zigarettenrauch und Pisse
       
       Meistens hätte die öffentliche Hand nichts gegen einen Abbau, sagt
       Telekomsprecher von Wagner. Denn auch wenn das Unternehmen zu einer
       „Grundversorgung“ der Bevölkerung verpflichtet ist – was Grundversorgung
       heißt, entscheidet jede Kommune, in Berlin sind es die Bezirke,
       eigenständig für sich.
       
       Doch wie das so ist bei Dingen, die verschwinden, man mag sie nicht so
       recht gehen lassen. In dem Maße, an dem sie an praktischem Nutzen
       verlieren, steigt ihr romantischer Wert.
       
       Das gilt besonders für die gelben Telefonhäuschen der ehemaligen
       Bundespost, die bis zu deren Privatisierung Mitte der 90er Jahre noch
       überall herumstanden: das Modell TelH 78, Telefonhäuschen 78. Innen stank
       es im TelH 78 immer nach kaltem Zigarettenrauch und Pisse, und meistens
       hatte jemand irgendwo einen Penis in die Glasscheibe geritzt und dazu mit
       Edding und in kreativer Rechtschreibung „Wer das hier liest, ist dohf“
       gekritzelt.
       
       Wenn man „Telefonzelle“ sagt, fangen die Menschen an, zu erzählen. Vom
       Heimweh auf der ersten Klassenfahrt, als abends endlich Telefonzeit war und
       man in den Hörer schluchzten konnte. Von den frühen 90er-Jahren, als
       Menschen sich noch in die kleine Schlange vor dem Telefonhäuschen neben
       einem Hohenschönhausener Plattenbau einreihten, weil gleich die Verwandten
       anrufen würden.
       
       ## Gelbe Seiten und schwarzer Edding
       
       Mich erinnern Telefonzellen vor allem an wunde Füße. Als Kind bin ich mit
       meinem Vater durch sämtliche deutsche Mittelgebirge gewandert, zugegeben
       ein seltsames Hobby für ein Kind. Jedenfalls bedeutete das Gelb des
       Telefonhäuschens am Abend immer, dass das Tagesziel nahe war: Während mein
       Vater die Gelben Seiten nach Übernachtungsmöglichkeiten durchforstete,
       studierte ich die Eddingkritzeleien an der Außenwand. „Kevin, ich liebe
       dich.“ „Sabrina ist eine Nutte.“ „Willst Du mit mir gehen? Ja? Nein?
       Vielleicht?“
       
       Die Telekom hat selbstverständlich verstanden, dass auch Nostalgie ein Wert
       ist, aus dem man Kapital schlagen kann: Seit Ende 2013 verkauft das
       Unternehmen seine ausrangierten Telefonzellen „zum Selbstabholerpreis“, und
       insbesondere auf die gelben Häuschen gab es einen regelrechten Run. 450
       Euro wollte die Telekom zunächst haben, binnen kürzester Zeit waren sie
       ausverkauft.
       
       Inzwischen gebe es hin und wieder noch mal ein paar Exemplare, sagt von
       Wagner. Der aktuelle Selbstabholerpreis – der nächste Telefonzellenfriedhof
       für BerlinerInnen befindet sich übrigens in Michendorf bei Potsdam: 650
       Euro. Die neuere Generation der Häuschen, in Telekom-grau und -magenta
       gehalten, ist günstiger – aber die wollten eben auch deutlich weniger Leute
       haben.
       
       ## Die Finger riechen nach Metall
       
       In der Telefonzelle an der Ecke Mohrenstraße/Friedrichstraße bietet die
       Glasscheibe zur Rechten ein seltsames Gefühl der Privatsphäre, seltsam,
       weil man sich die beim öffentlichen Telefonieren mit dem Smartphone in der
       U-Bahn und an der Supermarktkasse eigentlich längst abgewöhnt hat. Beinahe
       fühlt es sich so an, als ob man etwas Heimliches, also Verbotenes tut.
       Klobig und viel zu schwer liegt der rosafarbene Hörer in der Hand. Die
       Finger riechen nach dem Metall des Tastenfelds und man bekommt sofort das
       dringende Bedürfnis, sich die Hände zu waschen.
       
       Hallo, bist du noch dran? In einer Telefonzelle wird man wieder dran
       erinnert, das Telefonieren ja Geld kostet. Eine Münze nach der anderen
       verschwindet mit einem metallischen Klicken in dem kleinen Schlitz. 80 Cent
       kostet die erste Minute ins Mobilfunknetz, 50 Cent die erfolgreiche
       Verbindung zu einem deutschen, Festnetztelefon, 10 Cent jede weitere
       Minute. Ganz vergessen, dass man sich ja immer die Münzen oben auf der
       Armatur des Apparats bereit legen muss! Wer erst anfing, im Portemonnaie zu
       kramen, wenn die Anzeige bei 0,20 DM – oder waren es 0,10 DM? – hektisch zu
       blinken begann, hatte verloren.
       
       Ich lege den Hörer auf, das Wechselgeld, das der Apparat verspricht, spuckt
       er nicht aus. Ich spende sie gerne.
       
       28 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Klöpper
       
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