# taz.de -- Flüchtlingspolitik in Italien: Frontstaat der Migrationsabwehr
       
       > Italien will die Migrationsabwehr an die Afrikaner outsourcen – und
       > schließt dafür gezielt Abkommen, damit weniger Migranten per Boot an der
       > Küste ankommen.
       
 (IMG) Bild: Die Insel Lampedusa ist ein Symbol für die Gefahr der Fahrt über das Mittelmeer geworden
       
       Rom taz | Einige Aktivisten hatten sich am Flughafen Mailand-Malpensa
       eingefunden, um auf einen Radarturm zu klettern und so gegen die
       Abschiebung von 48 Sudanesen per Direktflug von Italien nach Khartum zu
       protestieren. Doch ihre Aktion lief, am 24. August 2016, ins Leere.
       Kurzfristig hatten die italienischen Behörden den Abflug von Turin aus
       organisiert.
       
       Geschickt gewählt war der Zeitpunkt mitten in der Ferienzeit. Praktisch
       unter Ausschluss der Öffentlichkeit konnte die Abschiebung abgewickelt
       werden, das Medienecho tendierte gegen null. In Ventimiglia, an der Grenze
       zu Frankreich, waren die Flüchtlinge aufgegriffen worden, sudanesische
       Polizisten waren ihren italienischen Kollegen bei der Identifizierung
       behilflich. Asylanträge hatten die Flüchtlinge nicht gestellt – aus dem
       einfachen Grund, dass sie in andere europäische Länder weiterreisen
       wollten. Dies wurde ihnen zum Verhängnis. Italiens Behörden fanden nichts
       dabei, die Männer in ein Land auszufliegen, dessen Präsident Omar al-Bashir
       vom Internationalen Strafgerichtshof seit 2009 mit Haftbefehl wegen
       Völkermordes zur Fahndung ausgeschrieben ist.
       
       Schließlich ist al-Bashir spätestens seit dem 3. August 2016 ein
       zuverlässiger Partner Italiens. An jenem Tag schlossen die beiden Staaten
       in Rom ein Abkommen, das die Rücknahme sudanesischer Staatsbürger durch ihr
       Heimatland regelt. „Unter vollem Respekt der menschlichen Würde und der
       Grundrechte der Migranten“, so heißt es in Artikel neun des Abkommens,
       würden die beiden Staaten in Zukunft bei der Identifizierung sowie der
       Rückführung von Sudanesen aus Italien kooperieren. Und Italien verpflichtet
       sich, jene Personen wieder zurückzunehmen, die gleichsam „aus Versehen“ in
       den Sudan geschafft wurden, weil bei solchen
       Identifizierungs-Schnellverfahren ja auch mal etwas schiefgehen kann.
       
       Italiens Abkommen mit dem Sudan ist nur der letzte Mosaikstein in einer
       Politik, die darauf zielt, den Zuzug von Flüchtlingen und Migranten per
       Kooperation mit den Herkunfts- und Transitländern vor allem auf dem
       afrikanischen Kontinent, wenn nicht zu stoppen, so doch zu drosseln. Zwei
       Säulen hat diese Politik. Zum einen sucht Italien die Flüchtlingsabwehr
       gleichsam per Outsourcing auf die andere Seite des Mittelmeers zu
       verlagern, das Instrument sind in diesem Fall Abkommen, die die
       Mittelmeeranrainer – vorneweg Tunesien und Libyen – bei der Bekämpfung der
       Schleuserbanden und der Verhinderung illegaler Überfahrten in die Pflicht
       nehmen. Zum anderen sucht das Land Abkommen mit Staaten quer durch den
       afrikanischen Kontinent, die – noch weit entfernt von den libyschen oder
       tunesischen Küsten – den Transit stoppen und auch die Rücknahme von
       Flüchtlingen zusichern sollen.
       
       ## Lampedusa als Symbol
       
       Italien, seit der nationalen Einigung 1860 zunächst über mehr als 100 Jahre
       vor allem ein Auswanderungsland, erlebte seit 1990 eine radikale Umkehr der
       Wanderungsbewegung. Hatten noch in den frühen 1970er Jahren gerade einmal
       150.000 Ausländer im Land gelebt, die vor allem aus Westeuropa oder den USA
       stammten, so waren sie 1990 erstmals zu sehen: die Bilder von mit tausenden
       Menschen – in diesem Fall Albanern – besetzten Schiffen, die im Hafen
       Brindisi anlegten.
       
       Von der Mitte der 1990er Jahre an wurde eine kleine Insel, weit im Süden,
       der tunesischen Küste vorgelagert, zur Chiffre der neuen
       Wanderungsbewegungen: Lampedusa. Die Bilder der mit hunderten Flüchtlingen
       und Migranten heillos überladenen Fischkutter, in See gestochen von
       Tunesien oder Libyen aus, die am Kai des Eilands anlegten, prägten sich ins
       kollektive Gedächtnis Italiens und Europas ein. Mit der Realität der
       Flucht- und Wanderungsbewegungen nach Italien hatte diese Konzentration auf
       „Lampedusa“ damals wenig zu tun. Im Durchschnitt der Jahre 1997-2010 kamen
       gerade einmal 23.000 Menschen pro Jahr auf dem Seeweg, nach Lampedusa, nach
       Sizilien oder zur italienischen Festlandsküste. Etwa 300.000 Menschen, aus
       Südamerika, Afrika, Asien oder Osteuropa reisten dagegen jährlich auf dem
       Land- oder Luftweg ein.
       
       So leben heute über fünf Millionen Ausländer im Land, weitere 1,2 Millionen
       haben mittlerweile die italienische Staatsbürgerschaft erworben. Doch das
       Hauptaugenmerk der Regierungen der letzten 20 Jahre – egal ob von rechts
       oder links – galt der Abwehr der Migranten und Flüchtlinge, die auf dem
       Seeweg kamen.
       
       Das zentrale Element dieser Abwehrstrategie waren die Abkommen mit Tunesien
       und Libyen. 1998 unterzeichneten Vertreter des italienischen
       Außenministeriums – Ministerpräsident der damals amtierenden
       Mitte-Links-Regierung war Romano Prodi – und der tunesischen Botschaft in
       Rom eine Verbalnote, in der Tunesien schärfere Kontrollen zusagte, in der
       Italien wiederum die legale Einwanderung für einige tausend Tunesier
       versprach. Zudem stellte Italien 20 Millionen Euro an technischer Hilfe für
       die Jahre 1999-2001 zur Verfügung. Im Jahr 2003 dann folgte ein weiteres
       Abkommen, in dem die Polizeibehörden der beiden Länder eine engere
       Kooperation vereinbarten und in dem Italien Hilfe bei der Ausbildung von
       Seepatrouillen zusicherte. Und wieder floss Geld, allein im Jahr 2004
       sieben Millionen Euro, doch nähere Details sind nicht bekannt: Der Text des
       Abkommens war und ist geheim. Gleiches gilt für das 2009 zwischen den
       beiden Staaten geschlossene Rücknahmeabkommen.
       
       ## Hardware gegen Flüchtlingsabwehr
       
       Die Verträge griffen, die Flüchtlinge suchten immer stärker den Weg über
       Libyen, während von Tunesien aus kaum noch Boote ablegten. Doch dann fegte
       der Arabische Frühling im Jahr 2011 die Regierung Ben Alis weg, in den
       ersten drei Monaten des Jahres kamen fast 30.000 Tunesier nach Lampedusa.
       Schon am 5.April 2011 aber unterzeichnete der Innenminister der Regierung
       Berlusconi mit der tunesischen Übergangsregierung ein neues Abkommen. Die
       verpflichtete sich zur Kooperation bei der Bekämpfung der in Tunesien
       operierenden Schleuser ebenso wie zur Rücknahme all jener, die nach dem
       5.April von Tunesien aus auf die Reise gingen.
       
       Teil des im März 2012 erneuerten Paktes ist die italienische Zusage von
       Materiallieferungen. Im Dezember 2012 wurden die ersten zwei
       Patrouillenboote übergeben, im nächsten Jahr folgten weitere acht von
       Italien gelieferte Schiffe sowie 62 zum Einsatz an den tunesischen
       Landgrenzen bestimmten Jeeps. Und in den Jahren 2014-2015 wurden weitere
       sechs Schiffe an die tunesische Küstenwache geliefert. Der Seeweg von
       Tunesien nach Italien blieb so auch nach dem Regimewechsel in Tunis
       weitgehend versperrt. Und seit 2009 funktionierte auch die Repatriierung
       von Flüchtlingen und Migranten aus italienischer Sicht reibungslos, so
       wurden pro Monat bis zu 200 Personen nach Tunesien ausgeflogen.
       
       Gegenüber dem zweiten wichtigen Abfahrtsland, Libyen, schlug Italien den
       gleichen Weg ein. Im Jahr 2000 schloss die damals noch amtierende
       Mitte-Links-Regierung mit dem Gaddafi-Regime ein erstes Abkommen zur
       gemeinsamen Bekämpfung der irregulären Einwanderung. Drei Jahre später
       folgte ein Abkommen zur Polizeikooperation, dessen Text geheim blieb,
       Mitgeteilt wurde nur, dass es sich um „eine operative Vereinbarung, um die
       praktischen Wege der bilateralen Kooperation zur Verhinderung der
       klandestinen Immigration übers Meer zu definieren“, handelte.
       
       Italien, so viel ist bekannt, stellt Ressourcen auch für die Errichtung und
       den Unterhalt von Haftzentren in Libyen ebenso wie für die Abschiebung der
       Migranten von Libyen in ihre Herkunftsländer zur Verfügung. Daneben
       spendierte Italien in den Jahren 2003 bis 2004 40 Nachtsichtgeräte, 150
       Ferngläser, sechs Off-Road-Fahrzeuge, drei Busse, 100 Schlauchboote, 6000
       Matratzen, 12.000 Decken und 1000 Leichensäcke, es finanzierte zudem 50
       Charterflüge von Libyen aus in Drittländer, mit denen 5688 Menschen in zehn
       verschiedene Herkunftsländer abgeschoben wurden.
       
       ## Freunde in Libyen
       
       Noch stärker ließ sich Libyen dann mit den Abkommen von 2007 und 2008 in
       die Pflicht nehmen. 2007 unterzeichnete der italienische Polizeichef im
       Auftrag der seinerzeit in Rom amtierenden Mitte-Links-Regierung unter
       Romano Prodi ein Protokoll zur gemeinsamen Flüchtlingsabwehr auf See.
       Italien verpflichtete sich zur Lieferung von sechs Patrouillenbooten an
       Libyen und zur Ausbildung der libyschen Besatzungen durch italienisches
       Personal.
       
       Im August 2008 dann schloss der neue Regierungschef Silvio Berlusconi den
       „Freundschafts-, Partnerschafts- und Kooperationsvertrag“ mit Gaddafis
       Libyen. Seit Jahren hatte Libyen Milliardenreparationen für Italiens
       Kolonialverbrechen eingeklagt. Italien kam nun Gaddafi weit entgegen und
       sagte den Bau sowie die Finanzierung eine Küstenautobahn von der Ost- zur
       Westgrenze Libyens zu. Über 20 Jahre hinweg sollten jährlich 250 Millionen
       Dollar an Libyen fließen.
       
       Außerdem wurde die Überwachung der libyschen Landgrenzen ausgebaut werden.
       Italien stellte hierfür im Zeitraum von 2009 bis 2011 152 Millionen Euro
       zur Verfügung. Zudem lieferte Italien in diesen drei Jahren neun
       Patrouillenboote.
       
       Von nun an fingen die libyschen Patrouillen viele der Schleuserschiffe ab.
       Wenn doch einmal ein Schiff durchkam, funktionierte auch in diesem Fall die
       Kooperation zwischen den beiden Staaten reibungslos, auch wenn dabei die
       Menschenrechte unter die Räder kamen. Am 6. Mai 2009 nahmen Schiffe der
       italienischen Marine 35 Seemeilen vor Lampedusa etwa 200 Eritreer und
       Somalier an Bord – bloß um sie umgehend nach Tripolis zurückzuschaffen.
       Nach Auskunft der italienischen Behörden habe keiner der Flüchtlinge Asyl
       verlangt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mochte das nicht
       glauben und verurteilte Italien im Jahr 2012 wegen dieser Aktion.
       
       ## Zusammenbruch in Tripolis
       
       Mit dem Arabische Frühling, der von Bengasi ausgehenden Revolte und der
       folgenden westlichen Militärintervention aber brach das Gaddafi-Regime
       zusammen, und Italien war ein wichtiger Partner in der Flüchtlingsabwehr
       abhanden gekommen. Doch schon im April 2012 unterzeichneten die
       Innenminister Italiens und der Übergangsregierung Libyens ein neues,
       wiederum geheimes Abkommen. Italien verpflichtete sich, die Kosten für das
       Abschiebelager von Kufra – umgetauft in ein „Gesundheitszentrum“ – zu
       übernehmen, und erklärte erneut seine Bereitschaft, die libysche
       Grenzpolizei technisch auszurüsten. Libyen erklärte seinerseits, es wolle
       die Seepatrouillen, so wie sie in den bereits bestehenden Abkommen geregelt
       waren, aufrechterhalten.
       
       Doch das Abkommen funktionierte nur wenige Monate. Im Jahr 2012 ging die
       Zahl derer, die auf dem Seeweg von Libyen nach Italien gelangten, erneut
       auf nur noch 13.000 zurück. Doch dann versank Libyen im Bürgerkrieg, statt
       der Zentralregierung kommandierten lokale Milizen. Und die Ankunftszahlen
       in Italien schossen in die Höhe. 2014 kamen 170.000, 2015 153.000 Menschen.
       Und 2016 dürfte zum Rekordjahr werden. Schon bis Anfang Dezember waren
       171.000 Flüchtlinge und Migranten in Italien eingetroffen.
       
       Italien setzt deshalb verstärkt auf Rücknahme- und Kooperationsabkommen mit
       den Herkunftsstaaten, meist von den jeweiligen Polizeichefs unterzeichnet.
       Nicht um diplomatische Verträge zwischen den Staaten handelt es sich hier,
       sondern um „Verbalnoten“, um „Protokolle“. Dies hat den doppelten Vorteil,
       dass der genaue Inhalt der Absprachen geheim bleibt und dass eine
       Ratifizierung durch das Parlament entfällt: Auch die Abgeordneten wissen
       nicht, was ihre Regierung da eigentlich vereinbart.
       
       So führt die Tabelle des italienischen Außenministeriums für die letzten 17
       Jahre nur drei Rücknahmeabkommen auf, die mit Algerien und Nigeria aus dem
       Jahr 2007 sowie das Abkommen mit Ägypten aus dem Jahr 2007. Auch in den –
       in diesem Fall bekannten – Texten der Abkommen sind jedoch die operativen
       Details, vorneweg die Unterstützungszusagen Italiens gegenüber den
       vertragschließenden Staaten, nicht enthalten.
       
       Völlig im Dunkeln liegen dagegen die Vereinbarungen mit diversen Staaten
       des subsaharischen Afrika. Im August 2015, dann wieder im April 2016
       stellten diverse linke Abgeordnete parlamentarische Anfragen, in denen sie
       Auskunft zu den Abkommen mit Gambia (geschlossen im Jahr 2010, erneuert im
       Jahr 2015) und zu den „Memoranden“ etwa mit dem Senegal, der
       Elfenbeinküste, Nigeria, Niger und Dschibuti verlangten und auch wissen
       wollten, welche Zusagen Italien für die Lieferung von technischem Gerät
       gemacht hatte. Die Regierung Renzi hüllte sich in Schweigen.
       
       Eine partielle Ausnahme stellt das Abkommen mit Niger dar. Es wurde als
       Staatsvertrag zwischen beiden Regierungen im Jahr 2010 geschlossen und 2014
       durch das Parlament in Rom ratifiziert. Die beiden Staaten vereinbarten im
       Vertrag einen „Informationsaustausch“, Unterstützung Italiens bei der
       Ausbildung nigerianischer Beamter sowie einen Austausch „über die
       Erfahrungen“. Im Ratifizierungsgesetz selbst stellte Italien äußerst
       bescheidene Ressourcen von 57.000 Euro jährlich ein. Doch im Internet
       findet sich – eine absolute Ausnahme – auch eine Ausschreibung des
       Innenministeriums aus dem Jahr 2012 im Auftragswert von 1,4 Millionen Euro
       für die Lieferung von 15 Toyota Landcruiser sowie drei Bussen. Alle
       Fahrzeuge sollen speziell für Wüstenregionen ausgerüstet sein.
       
       Ähnliche Zusagen, so darf man annehmen, wurden anderen afrikanischen
       Staaten gemacht, von Nigeria zum Senegal, vom Sudan bis zu Gambia. Doch so
       teuer diese Politik ist, so bescheiden sind ihre Resultate. Im Jahr 2015
       sprach Italien 34.000 Ausweisungen aus, effektiv vollzogen wurden 16.000.
       Bei mehr als 8.000 handelte es sich um direkte Zurückweisungen an der
       Grenze, 3.500 Personen wurden in andere EU-Länder abgeschoben, und nur
       3.700 in ihre Herkunftsländer außerhalb der EU, vor allem nach Tunesien,
       Ägypten, Marokko und Nigeria.
       
       12 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
       
       ## TAGS
       
 (DIR) migControl
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
       
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