# taz.de -- Leuchten der Menschheit von Christiane Müller-Lobeck: Glocke, Tür und Fortschritt
       
       Haben Sie schon mal ganz doll versucht, etwas zu vergessen? Eben, geht
       nicht. So ist es auch mit dem Ignorieren. Das kann man sehr schön in Aleida
       Assmanns neuem Buch „Formen des Vergessens“ (Wallstein 2016) nachlesen.
       Darin unternimmt die Kulturwissenschaftlerin eine Taxonomie des Vergessens,
       eines, wie sie findet, von der Gedächtnisforschung viel zu stiefmütterlich
       behandelten Vorgangs, ohne den Erinnern undenkbar wäre. Ignorieren gilt
       Assmann als eine der sieben Techniken, die dem Vergessen zur Verfügung
       stehen. Außerdem wären da noch Löschen, Zudecken, Verbergen, Schweigen,
       Überschreiben und Neutralisieren. Frappierend: Das ganze Spektrum ließ sich
       in den jüngsten Debatten über Fake-News finden.
       
       Aber in den performativen Widerspruch, den Umberto Eco für das
       absichtsvolle Vergessen konstatierte und der darin besteht, für genau das
       Aufmerksamkeit zu mobilisieren, was der Wahrnehmung entzogen werden soll,
       verstrickte sich SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel. Er schlug eine
       Selbstverpflichtung der Parteien vor: Zu erwartende Falschmeldungen im
       kommenden Bundestagswahlkampf sollten beschwiegen und nicht zum eigenen
       Vorteil genutzt werden. Der Widerspruch ist hier sogar ein doppelter. Denn
       erstens macht der Vorschlag Fake-News erst groß und wichtig. Und zweitens
       könnte das manch einen auf dumme Gedanken bringen.
       
       Aber die Idee ist an sich nicht schlecht. Mit Assmann nennen wir das einen
       „beziehungsstiftenden sozialen Akt“ des Vergessens, denn er ermöglicht es,
       „miteinander respektvoll umzugehen“. Die dahinter stehende Kulturtechnik
       nennt man auch „Nicht alles an die große Glocke hängen“. Diese hätte bei
       allem möglichen Nonsens der Vergangenheit – man denke an das, was ein Adolf
       Hitler nachts in seine Kladde kritzelte, oder das, was ein Oettinger hinter
       verschlossenen Türen Hamburger Pfeffersäcken so vertellt – ruhig auch schon
       angewendet werden dürfen. Aber vergessen wir das und erfreuen uns am
       Fortschritt, der unaufhaltsam ist.
       
       Die Autorin ist freie Journalistin in Hamburg
       
       17 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christiane Müller-Lobeck
       
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