# taz.de -- Lob des Berufspolitikers: Nicht ohne seine Lehrjahre
       
       > Über den Typus des Berufspolitikers wird oft die Nase gerümpft. Dabei
       > zeigt diese Woche doch sehr klar, wie dringend wir ihn brauchen.
       
 (IMG) Bild: Es ist beruhigend, dass er genau weiß, welche Anforderungen sein neues Amt an ihn stellt: Frank-Walter Steinmeier
       
       Wenn jemand in den letzten Jahren das Wort „Berufspolitiker“ in den Mund
       nahm, wollte er oder sie damit Verachtung zum Ausdruck bringen. Gut
       möglich, dass sich das bald ändert. Obama, Steinmeier, Trump: Das waren die
       politischen Namen der letzten Woche, in alphabetischer Reihenfolge. Welcher
       der drei hat den Eindruck erweckt, die „Ängste und Sorgen der Menschen“,
       von denen in diesen Tagen viel die Rede ist, tatsächlich ernst zu nehmen –
       und wer nicht? Ja. Genau.
       
       Wie es aussieht, wenn jemand Regierungschef wird, der kein Berufspolitiker
       ist und auch noch stolz darauf, lässt sich derzeit bei Donald Trump
       besichtigen. Wer da keine Sehnsucht nach Professionalität bekommt, kennt
       keine Furcht. Genauso gut kann man einen Mann mit Elektroarbeiten
       beauftragen, der erklärt, er wisse zwar nicht, was ein Stromkreis sei, aber
       es gehe ihm ohnehin vor allem um Widerstand gegen die deutsche
       Handwerksordnung.
       
       Es liegt natürlich eine gewisse Ironie darin, dass die ganze Welt derzeit
       einem Mann beim Lernen zuschaut, der Fernsehpopularität mit einer Serie
       erreichte, die – ins Deutsche übersetzt – „der Lehrling“ hieß. Aber Ironie
       ist bekanntlich die Waffe der Machtlosen. Und dieser „Lehrling“ wird schon
       bald sehr viel Macht bekommen. Er kann es sich leisten, Witzeleien seiner
       ohnmächtigen Gegner zu ignorieren.
       
       Obama, Steinmeier, Trump. Der Besuch des scheidenden US-Präsidenten Barack
       Obama wurde inszeniert wie ein Hollywood-Melodram. Wenn es ans
       Abschiednehmen geht, dann sollen alle Fehler und Kränkungen vergessen sein.
       Zumal dann, wenn der Held beteuert, „unsere“ Heldin sei die Einzige, die er
       je wirklich geliebt habe. Ist das nicht zum Heulen schön. Na ja. Zum Heulen
       sicherlich.
       
       ## Die letzten Wächter?
       
       Zur Erinnerung: Der Friedensnobelpreisträger Obama hatte bereits 2014 über
       500-mal den Abschuss unbemannter Drohnen auf mutmaßliche Terroristen
       genehmigt. Der britischen Menschenrechtsorganisation Reprieve zufolge
       starben dabei allein in Pakistan und im Jemen mehr als 1.000 Menschen,
       darunter etwa 150 Kinder. Seine gute Freundin, die deutsche Bundeskanzlerin
       Angela Merkel, war die treibende Kraft beim Flüchtlingsabkommen zwischen
       der EU und der Türkei. Das vor allem dem Ziel dient, Hilfesuchende von
       einem rechtsstaatlich sicheren Raum fernzuhalten und sie statt dessen in
       einem Land festzusetzen, das mittlerweile alle Kriterien einer Diktatur
       erfüllt.
       
       Merkel und Obama: Die letzten Wächter von Demokratie und Menschenrechten?
       Gemach. So schlecht ist es um die Wertedebatte in der Welt nun auch nicht
       bestellt, dass einem überhaupt niemand anders mehr zu diesen Themen
       einfiele als die beiden.
       
       Und dennoch war der Abschiedsbesuch von US-Präsident Obama in Europa
       eindrucksvoll. Gerade weil er, Wochen vor seinem Auszug aus dem Weißen
       Haus, die lahmste Ente – „the lamest duck“ – ist, die es derzeit überhaupt
       gibt. Wenn er je Veranwortungsbewusstsein nachgewiesen hat und Sorge um
       sein Land und den Rest der Welt: dann jetzt [1][in Athen] und Berlin.
       
       Man kann nur ahnen, was es Obama gekostet hat, auf jede süffisante Spitze
       seinem Nachfolger gegenüber zu verzichten. Seine Behauptung, „die
       amerikanische Demokratie“ sei „größer als jede Einzelperson“, war der
       beruhigendste Satz, der im Hinblick auf seinen Nachfolger möglich ist.
       Übersetzt: Der Lehrling wird schon lernen. Regt euch nicht zu sehr auf.
       
       ## Kleptokratie
       
       Wird der Lehrling wirklich lernen? Bereits in der ersten Woche nach den
       Präsidentschaftswahlen in den USA hat [2][Donald Trump] ein Ausmaß an
       Instinktlosigkeit an den Tag gelegt, das wohl nicht einmal seine schärfsten
       Kritiker für möglich gehalten hätten.
       
       Kleptokratie – wenn es das Wort nicht schon gäbe, es hätte für Donald Trump
       und seine Familie erfunden werden müssen. Als Kleptokratie wird bei
       Wikipedia eine „Diebesherrschaft“ bezeichnet, bei der die Herrschenden
       „sich oder ihre Klientel auf Kosten der Beherrschten bereichern“. Noch
       Fragen? „Es erscheint mehr und mehr wahrscheinlich, dass das Amt des
       Präsidenten für Trump sehr lukrativ sein wird“, [3][schreibt Paul Waldman
       in der Washington Post]. „Wenn das vorbei ist, ist er vielleicht sogar so
       reich, wie er immer behauptet hat.“
       
       Nein, es geht nicht nur darum, ob seine Tochter die erste Pressekonferenz
       ihres Vaters zur Werbung für ein Armband ihrer Schmuckkollektion nutzte. Da
       ist mehr – viel mehr! – drin. Und es geht bei der Frage, was der „Lehrberuf
       Politik“ eigentlich bedeutet, auch nicht darum, ob Verwandte des künftigen
       Präsidenten ihre Schäfchen ins Trockene bringen. Wenn es allein das wäre:
       geschenkt. Damit könnte die Welt leben.
       
       Es geht um Prioritäten. Wenn derzeit in Brüssel, in Berlin und vermutlich
       auch andernorts darüber geklagt wird, dass niemand – und gemeint ist:
       niemand! – eine Telefonnummer, einen Draht zum Team des künftigen
       US-Präsidenten hat: dann ist das nicht lustig. Dann ist das auch nicht nur
       ein Hinweis darauf, dass Trump dem Rest der Welt eindrucksvoll den
       Stinkefinger zeigt. Sondern dann zeugt das von nichts anderem als von einem
       Mangel an Fantasie.
       
       Donald Trump kann sich offenbar gar nicht vorstellen, dass es Situationen
       geben könnte, in denen er wirklich dringend erreichbar sein müsste. Auch
       das ist eine bedrohliche Erkenntnis.
       
       ## Come on
       
       In Deutschland wird – weniger wichtig, aber für ein paar Schlagzeilen
       hat’sgereicht – [4][der bisherige Außenminister Frank-Walter Steinmeier
       demnächst Staatsoberhaupt]. Es gab ein bisschen Kritik am Auswahlverfahren,
       und diese Kritik hat vor allem bewiesen, dass Populismus nicht von den
       Populisten erfunden wurde. Sondern dass diese Klaviatur von professionellen
       Beobachtern des Betriebs auch bespielt werden kann.
       
       Konkurrenz um das höchste Amt hätte es geben sollen, sagen einige dieser
       Beobachter, und: Absprachen der Parteien in Hinterzimmern seien nicht
       akzeptabel, ob man denn aus dem Widerstand gegen das „Establishment“ in den
       USA und dem Wahlsieg von Donald Trump nichts gelernt habe.
       
       Come on. Das Amt des Bundespräsidenten ist – von sehr wenigen, dramatischen
       Ausnahmen abgesehen – ausschließlich repräsentativ. Es geht eben gerade
       nicht um einen Wettstreit konkurrierender Positionen. Sondern, um es knapp
       zusammenzufassen, nur darum, dass der Präsident – bitte, bitte – nicht
       peinlich sein möge.
       
       Diese Minimalanforderung haben die Staatsoberhäupter bisher in den meisten
       Fällen erfüllt. Auch Steinmeier wird in dieser Hinsicht vermutlich wenig
       Fehler machen. Der Wunsch nach einem Wahlkampf im Hinblick auf ein Amt, das
       dem der Queen in einer Republik entspricht, ist kontraproduktiv – und
       populistisch.
       
       Es ist beruhigend, dass der nächste Bundespräsident eine ziemlich genaue
       Vorstellung davon hat, welche Anforderungen sein neues Amt an ihn stellt.
       Er ist halt Berufspolitiker. Und Demokratie bedeutet nicht – oder sollte
       nicht bedeuten – , dass alle ohne Vorbereitung jedes Amt jederzeit
       übernehmen können.
       
       Sondern: Jeder und jede soll an die Spitze des Staats gelangen können,
       unabhängig von Vermögen, Beziehungen, familiärem Hintergrund. Aber nicht
       ohne Lehrjahre. Der „Berufspolitiker“ mag verachtet werden. Aber er ist
       unverzichtbar – wie Donald Trump in diesen Tagen beweist.
       
       19 Nov 2016
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /!5355424/
 (DIR) [2] /!t5204455/
 (DIR) [3] https://www.washingtonpost.com/blogs/plum-line/wp/2016/11/16/welcome-to-the-trump-kleptocracy/?utm_term=.d7b4e908efd7
 (DIR) [4] /Steinmeier-wird-offizieller-Kandidat/!5355499/
       
       ## AUTOREN
       
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