# taz.de -- Leon de Winter: Er sieht sich seine Dämonen an
       
       Unmöglich. Dieser Leon de Winter kann kein islamfeindlicher Holzkopf sein.
       Da sitzt der Autor während der Holland-Flandern-Buchmesse in diesem
       seltsamen kniehohen Glasgehege der ARD, witzelt mit der Journalistin Gisela
       Steinhauer und parliert wahnsinnig eloquent über sein neues Buch und dies
       und jenes. Ist das wirklich derselbe Mann, der, nachdem 2004 der derbe
       Satiriker Theo van Gogh in Amsterdam von einem Salafisten erschossen worden
       war, so derart provokant in Richtung Islamismus schäumte, als gälte es, das
       Erbe des Toten anzutreten?
       
       Und dann dieser Roman, „Geronimo“ (Diogenes). So lautete das Codewort für
       die Ergreifung Osama bin Ladens während der Operation Neptune’s Spear, bei
       der ein dem CIA unterstelltes Team der Navy Seals am 2. Mai 2011 den
       Unterschlupf des Al-Qaida-Führers im pakistanischen Abbottabad stürmte. De
       Winters neuer Roman ist eine groteske Berg-und-Tal-Fahrt rund um die
       Ereignisse dieser Nacht, ein Thriller, voll – wie es sich gehört – wilder
       Spekulationen darüber, was damals wirklich geschah, vollgestopft mit
       aufregendem Personal, bin Ladens Nachbarn in Abbottabad, das ausführende
       Spezialistenteam, die CIA und zig weitere Geheimdienste inklusive.
       
       Den Topterroristen bedenkt de Winter sogar mit einigen Kapiteln aus der
       Ichperspektive. Wir lesen von dessen Leidenschaft für heimliche
       Mopedspritztouren und US-Zigaretten und erfahren, womit er seine jüngste
       Ehefrau besonders erfreut. Das mag noch als literarischer Kunstgriff
       durchgehen. Aber de Winter spricht auch in persona beinahe zärtlich über
       den Islamisten.
       
       Dann wird er auf sein Verhältnis zu Theo van Gogh angesprochen, von dem er
       30 Jahre lang immer wieder wüste antisemitische Beschimpfungen zu ertragen
       hatte. Als de Winter schließlich in tadellosem Deutsch ausruft: „Scheiße,
       dass er nicht mehr da ist“, wird es plötzlich klar. Leon de Winter sieht
       sich, wenn er Romane schreibt, seine Dämonen an.
       
       „Ein gutes Herz“ widmete er vor drei Jahren der Auseinandersetzung mit dem
       „Terroristen der Meinungsfreiheit“, wie er van Gogh einmal nannte. Der Tote
       avanciert in dem Roman zum diplomierten Engel. Und nun war eben Osama bin
       Laden dran. Was Literatur so gut kann, nämlich zum differenzierten Blick
       drängen, wirkt offenbar nicht nur in Richtung Leser, sondern auch in
       Richtung Autor.
       
       Hier sitzt jedenfalls ein tiefenentspannter de Winter, mit allem und jedem
       versöhnt, einer, der sogar für so ein fundamental erschütterndes Ereignis
       wie den Auszug seiner erwachsenen Kinder noch Humor übrig hat. Christiane
       Müller-Lobeck
       
       22 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christiane Müller-Lobeck
       
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