# taz.de -- Parlamentswahl in Georgien: Das wird traumhaft
       
       > Am Samstag wird in der Republik im Südkaukasus das Parlament neu gewählt.
       > Die Partei „Georgischer Traum“ könnte wieder stärkste Kraft werden.
       
 (IMG) Bild: Schon den Jüngsten wird die Liebe zur georgischen Nation eingeimpft – Szene vom Unabhängigkeitstag in der Hauptstadt Tiflis im Mai 2016
       
       TIFLIS taz | Politiker, die in Talkshows nicht nur mit Worten übereinander
       herfallen, Anhänger rivalisierender Parteien, die sich gegenseitig
       krankenhausreif prügeln. Und ein Autobombenanschlag auf einen Abgeordneten
       der Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung (ENM) in der Hauptstadt
       Tiflis am vergangenen Dienstag: Vor den Parlamentswahlen in der
       Südkaukasusrepublik Georgien konnte von einer ruhigen Wahlkampagne keine
       Rede mehr sein.
       
       Vor allem einer gießt – mal wieder – reichlich Öl ins Feuer: Georgiens
       Expräsident Michail Saakaschwili, derzeit in der Ukraine als Gouverneur des
       Gebiets Odessa tätig. Er sei von dem Sieg seiner Partei ENM überzeugt und
       werde nach Georgien zurückkommen, um an der Bildung einer Regierung
       mitzuwirken, tönte er auf Facebook.
       
       Saakaschwili, gegen den in Georgien ein Strafverfahren wegen
       Amtsmissbrauchs läuft, und seine ENM mussten sich bei den Wahlen vor vier
       Jahren der Partei „Georgischer Traum“ des Milliardärs Bidzina Ivanischwili
       geschlagen geben. Glaubt man den Umfragen, die jedoch je nach Auftraggeber
       zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen, kann der „Traum“ auch am
       Sonntag wieder mit einer Mehrheit der 150 Sitze rechnen. 77 davon werden
       über Listen, 73 als Direktmandate vergeben.
       
       Fraglich jedoch ist, ob es reicht, um erneut allein zu regieren. Insgesamt
       treten 6 Wahlbündnisse und 19 Parteien an, von denen vier bis fünf die
       Fünfprozenthürde überspringen könnten – darunter auch das prorussische
       Bündnis „Industrielle – Unser Heimatland“.
       
       ## Fortschritte im Kampf gegen Korruption
       
       Für den Historiker Giorgi Kanaschwili wären eine Koalitionsregierung oder
       ein „buntes“ Parlament mit mehreren Parteien „besser für die Demokratie in
       Georgien“, auch wenn es längerer Aushandlungsprozesse bedürfe. Auch
       ansonsten habe der „Traum“ nach vier Jahren an der Regierung einiges
       vorzuweisen. Zwar gebe es noch Repressionen, die hätten jedoch keinen
       systematischen Charakter mehr.
       
       2012 hatten Foltervideos aus Gefängnissen, die kurz vor den Wahlen
       veröffentlicht worden waren, die Bevölkerung in einen Schockzustand
       versetzt und ihren Teil zum Wahlausgang beigetragen. „Die Staatsgewalten
       sind unabhängiger voneinander geworden. Checks und Balances gab es unter
       Saakaschwili nicht, alles war ihm untergeordnet“, sagt Kanaschwili.
       
       Dennoch liegt noch so einiges im Argen. Der georgische Ableger von
       Transparency International kommt in seinem jüngsten Bericht zu dem
       Ergebnis, dass im Kampf gegen Korruption Fortschritte zu verzeichnen seien.
       So liege beispielsweise die Anzahl der Bürger, die im vergangenen Jahr
       Schmiergeld gezahlt hätten, gerade mal bei einem Prozent. „Aber nach wie
       vor haben wir keine effektiven Mechanismen, um gegen Korruption in der
       Elite vorzugehen“, heißt es in dem Bericht.
       
       Namentlich genannt wird in diesem Zusammenhang Bidzina Ivanischwili. Der
       räumte zwar im November 2013 wie angekündigt freiwillig den Posten des
       Regierungschefs. Dennoch ist es ein offenes Geheimnis, dass Bidzina, wie
       ihn seine Landsleute nennen, immer noch den politischen Kurs vorgibt.
       
       Auch wirtschaftlich kommt das Land mit knapp vier Millionen Einwohnern, das
       2014 mit der Europäischen Union ein Assoziierungsabkommen unterzeichnete,
       nicht so recht auf die Beine. Das Bruttoinlandsprodukt ist im Zeitraum 2012
       bis 2015 kontinuierlich geschrumpft. In manchen Branchen liegt die
       Arbeitslosigkeit bei bis zu 50 Prozent.
       
       ## „Borderization“ an der Grenze zu Südossetien
       
       Auch die ungelösten Territorialkonflikte um die beiden abtrünnigen Regionen
       Abchasien und Südossetien fördern nicht gerade eine zügige Entwicklung.
       Rund um das international nicht anerkannte Südossetien, das von Georgien
       aus nicht zugänglich ist und wo seit dem georgisch-russischen Krieg 2008
       russisches Militär stationiert ist, bluten ganze Landstriche aus. Immer
       wieder kommt es vor, dass Bauern, die beim Versuch ihr Vieh einzufangen die
       Demarkationslinie übertreten, festgenommen und mit Geldstrafen belegt
       werden.
       
       Meraba Mekrabischwili lebt in dem Dorf Dwani, fast direkt neben dem
       Schlagbaum und dem Schild „Republik Südossetien“. Der 54-Jährige baut
       gerade an einem neuen Haus. Sein altes ist ihm vor sechs Jahren durch einen
       vorsätzlich gelegten Brand abhanden gekommen, weil es auf Gebiet stand,
       dass die Südosseten plötzlich für sich beanspruchten. „Borderization“ heißt
       dieses Phänomen – eine vornehme Umschreibung für den Umstand, dass sich die
       „Grenze“ immer weiter auf georgisches Territorium vorschiebt. Eine Mission
       der EU, die dort seit 2008 patrouilliert, kann die schleichende Entwicklung
       lediglich dokumentieren.
       
       Mekrabischwili ist auf alles vorbereitet. Was, wenn die Grenze wieder
       weiter wandert? „Dann baue ich eben wieder ein Haus“, sagt er. Am Sonntag
       will er wählen gehen – wen, sagt er nicht. Aber ein wenig träumerisch sieht
       er dabei schon aus.
       
       8 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Oertel
       
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