# taz.de -- Labour und Corbyn: Von der Einheit weit entfernt
       
       > Geschlossenheit hat Labour auf dem Parteitag in Liverpool nicht
       > demonstrieren können. Vom Aufbruch kann man vorerst nur träumen.
       
 (IMG) Bild: Parteichef Jeremy Corbyn auf dem Parteitag in Liverpool
       
       Liverpool taz | Eine Labour-Regierung werde die Immigration aus anderen
       Ländern der Europäischen Union keinesfalls einschränken, sagte Labour-Chef
       Jeremy Corbyn am Mittwochnachmittag in seiner Abschlussrede auf dem
       Parteitag in Liverpool. Er würde stattdessen Gelder lockermachen, um die
       Auswirkungen auf die öffentlichen Dienstleistungen zu mildern.
       
       Viele aus dem Labour-Schattenkabinett stimmen nicht mit ihm überein. Angela
       Rayner, Sprecherin für Bildung, sagte, das derzeitige System habe ein Chaos
       angerichtet. „Wir müssen die Immigration kontrollieren, das ist ziemlich
       klar“, sagte sie. „Man muss schließlich wissen, wer ins Land kommt und wer
       es verlässt.“
       
       Andy Burnham, Innenminister im Schattenkabinett, der auf dem Parteitag am
       Mittwoch seinen Rücktritt erklärte, sagte, Millionen Labour-Wähler haben
       dafür gestimmt, die EU zu verlassen, und sie haben für Veränderungen bei
       der Einwanderung gestimmt. Das müsse man berücksichtigen. Und Rachel
       Reeves, die Abgeordnete aus dem nordenglischen Leeds, sagte, ihr Wahlkreis
       sein ein Pulverfass. Falls man das Thema Einwanderung nicht angehe, könnte
       die Sache auf den Straßen von Leeds explodieren.
       
       Corbyn hat offenbar aus den Fehlern der Tory-Regierung gelernt, die ein ums
       andere Mal eine Senkung der Einwandererzahlen gelobt hat, aber das
       Versprechen nicht halten konnte. Das war einer der Gründe, warum Ende Juni
       eine Mehrheit für den Austritt aus der EU gestimmt hat. Laut einer neuen
       Analyse des Guardian waren aber ausgerechnet jene Gegenden am stärksten für
       den Brexit, die am wenigsten Einwanderer haben.
       
       ## Nebenparteitag der Linken
       
       Von der Einheit der Partei, die von allen Seiten beschworen wurde, nachdem
       Corbyn am Samstag mit 62 Prozent der Stimmen als Labour-Chef bestätigt
       wurde, ist man weit entfernt. Im Grunde fanden in Liverpool mehrere
       Parteitage statt. Neben der offiziellen Tagung im ACC-Konferenzzentrum in
       den Docklands tagte die Lobbygruppe Momentum, die vorwiegend aus jungen
       Linken besteht, in der Innenstadt neben der Kathedrale.
       
       Ihr Festival „Die verwandelte Welt“ bot neben politischen Diskussionen und
       Workshops auch Kunst, Kultur und Kinderveranstaltungen. Sämtliche
       Labour-Größen vom linken Parteiflügel ließen sich dort sehen. Außer Corbyn,
       der das Programm ausdrücklich befürwortet hatte, traten die Altlinke Diane
       Abbott, der verteidigungspolitische Sprecher Clive Lewis, Corbyns engster
       Verbündeter John McDonnell und der Regisseur Ken Loach auf.
       
       Momentum ist es zu verdanken, dass sich die Zahl der Labour-Mitglieder seit
       Corbyns Amtsantritt auf mehr als eine halbe Million verdoppelt hat. Ohne
       Momentum wäre Corbyn nicht zum Labour-Chef gewählt worden. Am Tag nach
       seiner Bestätigung im Amt am Samstag traten weitere 15.000 Menschen in die
       Partei ein.
       
       ## Nebenparteitag der Rechten
       
       Den gemäßigten Labour-Leuten sind Corbyn und Momentum zutiefst suspekt. Mit
       der Verstaatlichung von Post und Eisenbahn, mit neuen Körperschaftssteuern
       und größeren Gewerkschaftsrechten sowie einem Investitionsprogramm seien
       keine Wahlen zu gewinnen, befürchten sie. Laut Umfragen liegen die Tories
       derzeit bei 41, Labour kommt nur auf 26 Prozent.
       
       Die Corbyn-Gegner trafen sich während des Parteitags abends im
       PanAm-Restaurant im Britannia-Pavillon am Albert Dock. Angela Eagle, die
       Corbyn im Sommer herausgefordert, dann aber ihre Kandidatur zurückgezogen
       hatte, behauptete, Corbyns Anhänger arbeiten mit Einschüchterung. Sie sei
       nach Ankündigung ihrer Kandidatur auf ihrer Facebook-Seite von 47.000
       Menschen beschimpft und beleidigt worden. Man müsse gemeinsam für die
       „Rückkehr zum Anstand in unserer Partei“ kämpfen, meinte sie.
       
       Einen Erfolg konnte die Gruppe am Dienstag verbuchen. Corbyn verlor seine
       Mehrheit im Nationalen Parteipräsidium, weil die Delegierten für eine
       Regeländerung stimmten: Fortan dürfen die Ortsverbände in Schottland und
       Wales, die gegen Corbyn sind, jeweils eine Person für das Präsidium
       nominieren. Sprecher von Momentum bezeichneten das als abgekartetes Spiel.
       Das Präsidium ist das wichtigste Parteigremium, das über die politische
       Richtung und über die Modalitäten der Wahl entscheidet. Womöglich ist der
       Boden für einen erneuten Putschversuch gegen Corbyn bereitet.
       
       28 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Großbritannien
 (DIR) Labour Party
 (DIR) Jeremy Corbyn
 (DIR) Labour Party
 (DIR) Jeremy Corbyn
 (DIR) Großbritannien
 (DIR) Jeremy Corbyn
 (DIR) Großbritannien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kommentar Labour-Parteitag: Für Opportunismus nicht zu haben
       
       Der britische Labour-Chef Jeremy Corbyn spricht beim Parteitag vom
       „Sozialismus“ und hängt auch sonst sein Fähnchen nicht in den Wind. Gut so!
       
 (DIR) Kommentar Streit in der Labour-Partei: Der unheimlich Unantastbare
       
       Dass viele Abgeordnete Jeremy Corbyn absetzen wollten, hat kaum mit seiner
       Haltung zu tun. Vielmehr bangen sie um ihre zukünftigen Jobs in der
       Wirtschaft.
       
 (DIR) Urwahl der britischen Labour-Partei: Jeremy Corbyn bleibt Parteichef
       
       Der Richtungskampf bei Labour ist mit der Personalie des Partchefs vorerst
       entschieden. Corbyn setzt sich deutlich gegen seinen Konkurrenten Smith
       durch.
       
 (DIR) Video-Überwachung in Großbritannien: PR-Streit in vollen Zügen
       
       Labour-Chef Jeremy Corbyn veröffentlicht ein Video, das ihn auf dem Boden
       eines überfüllten Zugs zeigt. Der Zugbetreiber widerspricht.
       
 (DIR) Kampfabstimmung in der Labour-Partei: Dem Alten noch immer treu
       
       Londons Bezirk Islington steht für die soziale Spaltung Großbritanniens.
       Wer die Arbeiterpartei künftig führt, entscheidet sich auch hier.