# taz.de -- Kolumne American Pie: Ein Spiel und viele Todesfälle
       
       > Die schwere Kopfverletzung von Matt Shoemaker, dem Pitcher der Los
       > Angeles Angels, erinnert an die Gefahren eines so harmlos anmutenden
       > Sports.
       
 (IMG) Bild: Matt Shoemaker zog sich im Spiel gegen die Seattle Mariners eine Schädelfraktur zu
       
       Es war ein böser Anblick. Der Ball hatte den Schläger mit 169
       Stundenkilometern verlassen, bevor er knapp 18 Meter später Matt Shoemakers
       rechte Kopfseite traf. Der Pitcher der Los Angeles Angels hatte sich
       instinktiv weggeduckt und so Schlimmeres vermieden. Shoemaker ging zu Boden
       und blieb erst einmal liegen, schnell sammelte sich ein Pulk aus besorgten
       Mannschaftskollegen, Betreuern und Gegenspielern von den Seattle Mariners
       um ihn. Es dauerte ein paar Minuten, dann konnte Shoemaker, gestützt auf
       zwei Helfer, das Feld verlassen.
       
       „Blut kam aus seiner Nase“, berichtete sein Trainer Mike Scioscia nach dem
       Spiel, „aber zum Glück war er die ganze Zeit bei Bewusstsein“. Im
       Krankenhaus wurde ein leichter Schädelbruch diagnostiziert. Kyle Seager,
       von dessen Schläger der verhängnisvolle Ball geflogen kam, war entsetzt:
       „Ich dachte nur: Zum Teufel mit Baseball! Ich habe mir nur noch Sorgen um
       Matt gemacht. In solch einem Moment ist einem das doofe Spiel völlig egal.“
       
       Matt Shoemaker ist glimpflich davongekommen, aber der Unfall vom
       vergangenen Sonntag war wieder einmal eine Erinnerung, dass „das doofe
       Spiel“ lange nicht so ungefährlich ist, wie es oft erscheint.
       Baseball-Profis sprechen gern davon, welch ein Glück sie haben, fürstlich
       dafür bezahlt zu werden, dass sie einem Spiel für Kinder nachgehen.
       Tatsächlich wirkt das actionarme, eher statische Baseball – vor allem
       verglichen mit dem großen Konkurrenten um die Gunst des US-amerikanischen
       Publikums, dem Football – wie aus der Zeit gefallen.
       
       Allerdings: Die wenigen Eruptionen, die jenen langen, gemächlichen Fluss,
       den ein Baseballspiel darstellt, unterbrechen, die haben es in sich. Dabei
       sind nicht nur die Pitcher wie der 29-jährige Shoemaker gefährdet, deren
       eigener Wurf vom gegnerischen Schlagmann bisweilen auf direktem Wege
       zurückbefördert wird.
       
       ## Verlust eines Auges
       
       Auch die Schlagmänner selbst sind bedroht: Sie tragen, wenn sie am Schlag
       sind, Helme, weil die besten Werfer den Ball auf mehr als 150
       Stundenkilometer beschleunigen können. Solche Schutzmaßnahmen waren 1920
       allerdings noch unbekannt: Damals starb ein gewisser Ray Chapman von den
       Cleveland Indians, der bis heute der einzige Profi geblieben ist, der in
       den Major Leagues einem Baseball zum Opfer gefallen ist.
       
       Aber das angeblich so gemütliche Baseball ist nicht nur für die Spieler
       gefährlich, sondern auch für die Zuschauer. Bei jedem Spiel landen
       vielleicht 40, 50 hart geschlagene Bälle in den Rängen. Eine Studie ergab,
       dass jede Saison in den Major Leagues etwa 2.000 Zuschauer von solchen
       Bällen verletzt werden. Die meisten nur leicht, aber es gibt Anhänger, die
       haben ihre Liebe zu dem Sport mit dem Verlust eines Auges bezahlt.
       
       Ein Baseball wiegt zwar keine 150 Gramm, ist aber sehr viel härter als ein
       Tennisball. So hart, dass 1970 im Stadion der Los Angeles Dodgers der
       14-jährige Alan Fish starb, nachdem er an der linken Schläfe getroffen
       worden war.
       
       ## Endlos makaber
       
       Aber der unglückliche lan Fish ist bis heute das einzige Fan-Todesopfer in
       150 Jahren Major Leagues geblieben. In den großen Ligen gibt es längst
       Fangzäune vor den besonders gefährdeten Sitzreihen, auf der Eintrittskarten
       wird der Besucher gewarnt vor den Verletzungsgefahren, und
       Stadiondurchsagen weisen darauf hin, das Spielgeschehen immer im Auge zu
       behalten. Richtig gefährlich wird es in den niedrigeren Ligen oder im
       Schulsport. Die beiden Baseball-Historiker Robert M. Gorman und David
       Weeks haben sich in ihrem 2008 erschienenen Buch „Death at the Ballpark“
       den Todesfällen aus nahezu 150 Jahren Baseball gewidmet.
       
       Gorman und Weeks haben sich durch die Archive von Provinzzeitungen gewühlt
       und eine schier endlose makabre Abfolge oft profaner Unfälle
       zusammengestellt. Manche Tragödie aber sticht heraus aus der trockenen
       Auflistung: 1950 spielt in Houston ein Siebenjähriger mit seinem Vater im
       eigenen Garten Baseball. Der Junge wirft, der Vater schlägt, der Ball
       trifft das Kind knapp über dem Herzen. Der Sohn stirbt auf dem Weg ins
       Krankenhaus.
       
       Genau 850 Todesfälle im Zusammenhang mit Baseball listen Gorman und Weeks
       in ihrer Fleißarbeit auf. Kurz nach der Buchveröffentlichung hatten Leser
       allerdings 50 weitere tödliche Unfälle gemeldet, die den Autoren entgangen
       waren. Am Sonntag fehlten wohl nur ein paar Millimeter und Matt Shoemaker
       wäre auch ein Kandidat für die nächste Ausgabe von „Death at the Ballpark“
       geworden.
       
       6 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Winkler
       
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