# taz.de -- 5.18 ist noch nicht vorbei
> SÜDKOREA Bei der Gwangju Biennale zeigen die Künstler die Diskrepanz
> zwischen offiziellem und persönlichem Gedenken auf – außerdem werden aus
> Steinen Emoticons
(IMG) Bild: siren eun young jung, Act of Affect, 2013, Videostill
von Julia Gwendolyn Schneider
Die Geschichte der Gwangju Biennale ist untrennbar verbunden mit dem
niedergeschlagenen Protest auf der Straße zu Beginn der achtziger Jahre in
Südkorea. Am 18. Mai 1980 mobilisierte die Bevölkerung gegen das Militär,
das die studentische Demonstration gegen die Militärdiktatur gewaltsam
beenden sollte. Viele Zivilisten wurden grausam getötet, doch acht Tage
lang leistete die Stadt Widerstand. Die Biennale wurde 1995 als
kulturpolitisches Signal dafür etabliert, dass der Aufstand ein
Schlüsselereignis in der demokratischen Entwicklung Südkoreas darstellt.
In der elften Auflage der Biennale unterzieht Dora García dem
Aushängeschild nun einen kritischen Blick. Die Künstlerin sieht in Gwangjus
Monumenten zum Gedenken an den Aufstand vor allem einen
institutionalisierte Umgang mit der Vergangenheit. Die offiziellen
Erinnerungsformen der Regierung könnten den Unmut der Protagonisten und
ihrer Familien nicht vertreiben, glaubt sie. Für viele Menschen sei „5.18“
noch nicht vorbei. Entsprechend gebe es ein paralleles Gedächtnis – etwa
die Erfahrung, die mit dem alten Friedhof und dem Lied „March of the
Beloved“ zusammenhinge.
## Der legendäre Nokdu-Buchladen
Für eine alternative Auseinandersetzung ließ García den legendären
Nokdu-Buchladen nachbauen, jenen Ort, an dem der Gwangju-Aufstand
ausgebrütet wurde, man über die Pariser Kommune diskutierte, Frauen sich
gegen die Gewalt organisierten, man sich den falschen Informationen
widersetzte, Tote verhüllt und betrauert, Bücher verkauft wurden,
diskutiert und gelesen wurde. Die Kopie funktioniert im Ausstellungsraum
als realer Buchladen mit thematisch relevanten Büchern, Künstlermonografien
und Theoriebänden. Gleichzeitig finden Workshops und Diskussionsrunden
statt, bei denen etwa die Frauen der aufständischen Männer zu Wort kommen,
über ihre damalige Rolle sprechen und darauf verweisen, dass auch heute
viel ungeklärt ist: Die Zahl der Toten schwankt je nach Quelle enorm,
Befehlshaber wurden nicht bestraft, viele Menschen werden noch vermisst.
Dora García zählt zu den 28 Künstlern der insgesamt 101 Beteiligten, die
Maria Lind dazu einlud, neue Arbeiten für die 11. Gwangju Biennale zu
schaffen, und ihnen die Möglichkeit gab, sich auf den lokalen Kontext zu
beziehen. Unter dem Titel „The Eighth Climate (What Does Art Do?)“ stellt
Lind, Direktorin der Tensta Konsthall in Stockholm, die Frage nach den
Möglichkeiten der Kunst. Ihr geht es nicht um eine definitive Antwort.
Vielmehr gibt sie eine experimentelle kuratorische Richtung vor.
Anders als bei den meisten Großveranstaltungen dieser Art stehen die
Kunstwerke im Zentrum und nicht ein Thema, dem sie veranschaulichend
zugeordnet werden können. Der erste Teil des Titels, „The Eighth Climate“,
bezieht sich auf eine Vorstellung aus der persischen Philosophie des 12.
Jahrhunderts, die eine Zone zwischen dem Materiellen und dem Immateriellen
thematisiert. Der gewählte Begriff verweist auf einen Möglichkeitsraum, der
fantasievolles Wissen erzeugt und für Lind vergleichbar mit dem Bereich der
zeitgenössischen Kunst ist. Die kuratorische Offenheit mag Zweifel an der
Qualität der Ausstellung erwecken, tatsächlich kommt diese Biennale aber
sympathisch unaufgeregt daher, und ihrer kaleidoskopischen Perspektive
gelingt es sehr gut, Zugänge zu vielschichtige Arbeiten zu entfalten.
Auch Tommy Støckel hat sich von den Gegebenheiten in Gwangju inspirieren
lassen. In „The Gwangju Rocks“ (2016) treffen Felsen im Stadtbild und
Emoticons in der zwischenmenschlichen Kommunikation aufeinander. 24 Steine,
die Støckel in Gwangju entlang von Fußgängerwegen, in Gärten oder vor
Gebäuden angetroffen hat, fing er nachts mit dem 3-D-Scanner ein.
Vergleichbar mit koreanischen Tofu- oder Spiegeleier-Emoticons ließ Støckel
die Steine zu digitalen Charakteren werden, die Gefühle ausdrücken. Ob sich
mit diesen „Gwangju Rocks“ kommunizieren lässt, kann jeder selbst online
testen, sie stehen zum Download zur Verfügung. Im Ausstellungsraum sehen
wir hingegen Momentaufnahmen der digitalen „Aktionen“ dieser Felsen.
Erstarrt posieren sie in einem minimalistischen Rasterfeld.
Bei aller Heterogenität sticht Galerie 2 der Hauptausstellungshalle durch
ihre Dunkelheit hervor. Marie Kølbæk Iversen erschafft hier mit Dias aus
Lapislazuli-Steinplatten ein rorschachähnliches Projektionsbild, dessen
hypnotische Schönheit dunkle Untertöne durchziehen. „Mirror Therapy“, wie
die Arbeit sich nennt, ist eine Therapieform für Menschen mit Amputationen.
Oft kommt sie bei westlichen Kriegsveteranen zum Einsatz, die in
Afghanistan kämpften, jenem Land, aus dem Lapislazuli ursprünglich stammt.
Unweit davon zeigt das Video „Fog and Smoke“ (2013) von Jeamin Cha,
Südkoreas verrufene Planstadt Songdo. Im Fokus steht aber nicht die
bekannte Kritik an der komplett von Smart-Technologie durchzogenen Stadt,
sondern die verdrängten Fischermänner. Siren Eun Young Jungs „Act of
Affect“ (2013) greift die Tradition des koreanischen Yeosung
Gukgeuk-Theaters auf, ein queeres Genre, bei dem Frauen auch in
Männerrollen auftreten.
## Erstmals erhalten alle Künstler ein Honorar
Während die Biennale durch aussagekräftige Arbeiten überzeugt, ist es
ebenso wichtig zu erwähnen, wie Lind sich innerhalb der Institution und der
Stadt positioniert hat. Zum allerersten Mal erhielten alle Künstler ein
Honorar. Zur Eröffnungswoche lud Lind kleine und mittlere
Kunstinstitutionen aus der ganzen Welt zu einem Forum ein, um ihre Relevanz
in der Kunstwelt zu betonen. In Kooperation mit der lokalen
Künstlerinitiative Mite-Ugro veranstaltete sie zuletzt monatliche Treffen,
die Bewohner rings um die Hauptausstellungshalle wurden zum Teetrinken mit
den Biennalisten eingeladen, während in einer sogenannten Infra-School
Diskussionen, Seminare und Vorträge in koreanischen Universitäten und
Kunstschulen gehalten wurden. Wie nachhaltig diese lokale Anbindung in
Zukunft sein wird, bleibt abzuwarten. Wesentlich ist erst einmal, dass
danach gefragt wurde, was eine Biennale macht und worin ihre Aufgaben
liegen sollten.
11. Gwangju Biennale, The Eighth Climate (What Does Art Do?), bis 6.
November
13 Sep 2016
## AUTOREN
(DIR) Julia Gwendolyn Schneider
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