# taz.de -- Starke Beilage In Farzana Mohebbis Heimatstadt Herat gehört stundenlanges Kochen zum Alltag. Afghanische Speisen brauchen Zeit – besonders die wichtigste Zutat: Reis: Safrangelb, berberitzenrot
       
 (IMG) Bild: Wie weich ist das Fleisch? Farzana Mohebbi und unsere Autorin testen es
       
       Von Tasnim Rödder
       
       Auf afghanische Art ist die Zubereitung von Reis eine regelrechte Kunst.
       Statt ihn einfach aufkochen und garen zu lassen, braucht es viele
       Arbeitsschritte – und viel Zeit.
       
       Erst einmal muss der Reis gewaschen werden. Fünfmal füllt Farzana Mohebbi
       frisches Wasser in die Schüssel mit dem Reis und gießt weißlich gefärbtes
       Wasser ab. Immer wieder hebt sie den mit Wasser bedeckten Reis hoch, als
       wasche sie Kleidung.
       
       Ein weißer Schal hängt locker über Farzanas schwarzem Haar. Ihre Handgriffe
       sind geübt. In ihrer Heimatstadt Herat in Afghanistan war das Kochen in den
       Alltag integriert. Noch vor einem Jahr kochte sie täglich mit ihrer Mutter
       und ihren Schwestern für ihre Familie, auf Partys oder anderen
       Veranstaltungen.
       
       „Eine Stunde brauchten wir für die Zubereitung des Frühstücks, Brot mit
       Käse, manchmal auch Ei. Zu Mittag gab es große, sättigende Portionen mit
       Reis und Fleisch, das dauerte zwei Stunden. Für das Aufräumen und
       Abendessen, eine leichtere Küche, nahmen wir uns noch mal zwei Stunden
       Zeit“, erzählt die 20-Jährige. Das Kochen hat ihr immer Spaß gemacht. Ihr
       Leibgericht ist Aschreschte, eine Suppe mit Bohnen, Gemüse und Quark, die
       an kalten Tagen den Bauch wärmt.
       
       Hier in Deutschland kocht sie nicht mehr so häufig. Doch seit fast fünf
       Monaten ist Farzana beim Projekt „Über den Tellerrand kochen“ involviert.
       Jeden zweiten Freitag trifft sie sich mit einer Gruppe Frauen, um gemeinsam
       afghanisch zu kochen. Ab September wird sie eigene Kochkurse geben. Heute
       aber kochen wir gemeinsam für das sechsköpfige Projekt-Team: Kebab digi
       heißt das traditionell afghanische Gericht, das wir zubereiten. Das ist
       Reis mit Lammfleisch und Joghurtsoße. Nichts für Vegetarier. In Farzanas
       Heimat wird in fast allen Gerichten Fleisch verarbeitet.
       
       Während der Reis in warmem Wasser quillt und das Lammfleisch mit Zwiebeln
       in einem Topf köchelt, kümmern wir uns um den Salat. Wir schneiden Rotkohl,
       Zwiebeln und Tomaten in möglichst schmale Streifen. „In Afghanistan haben
       wir nie auf Holzbrettern gearbeitet“, sagt Farzana, nimmt mit der freien
       Hand ein Stück Kohl vom Brett und säbelt mit dem Messer dunkellila Streifen
       ab. „Für diese Technik sind die Messer hier zu groß. In Afghanistan haben
       wir kleine, leichtere Messer.“
       
       Wenn Farzana nicht kocht, näht oder ihre Zeit mit Freunden und Familie
       verbringt, besucht sie einen Sprachkurs. Ihr Deutsch ist fließend, dabei
       kam sie erst vor neun Monaten mit ihren Eltern und drei Geschwistern nach
       Berlin. Ob sie Afghanistan vermisst? „Nein, das Land vermisse ich nicht“,
       sagt sie. Aber ihre Freunde und die drei verheirateten Schwestern, die in
       Herat geblieben sind, die schon. Und den großen Kleidermarkt. In Berlin
       gibt es keinen vergleichbaren.
       
       Vieles in Deutschland weiß sie zu schätzen. Zum Beispiel, dass sie hier
       selbst einkaufen gehen kann, wann und wo sie möchte. „In Herat ist entweder
       mein Vater oder mein Bruder auf den Markt gegangen, um für drei oder sogar
       sechs Monate auf Vorrat einzukaufen. Hier ist das anders und besser, die
       Zutaten sind frischer.“
       
       Nun setzt Farzana Wasser für den Reis auf. Ich frage sie, wie sie die
       passende Wassermenge abschätzt. „Der Reis muss immer drei Finger breit mit
       Wasser bedeckt sein“, sagt sie. Sobald das Wasser kocht, füllen wir die
       vorgequollenen Reiskörner hinein.
       
       Farzana ist froh darum, viel Zeit in Kochprojekten oder beim Deutschkurs zu
       verbringen. „Im Heim ist mir oft zu viel los“, sagt sie. Eigentlich hatte
       sie nie das Bedürfnis, allein zu sein. Sie liebe die Gesellschaft, ihre
       Familie und Freunde. Aber wenn auf hundert Zimmer auf fünf Etagen jeweils
       drei BewohnerInnen kommen, sei das zu viel: „Wenn ich für mich sein möchte,
       gehe ich den Park.“
       
       Farzana holt einen weiteren Topf aus dem Regal, bedeckt den Boden mit Öl
       und arabischem Brot und erhitzt ihn. Sobald der Reis alles Wasser
       aufgesogen hat, kippen wir ihn in den Topf mit dem Brot. „Oft mischen wir
       Reis auch mit Kartoffeln, das bringt Geschmack“, sagt Farzana. Als Nächstes
       schüttet sie noch ein Glas Wasser und etwas heißes Öl in den Reis und
       umwickelt den Deckel mit einem Küchentuch, damit der Reis die optimale
       Konsistenz annimmt.
       
       Ab und zu schaut Farzana besorgt nach dem Lamm. „Das dauert noch, das
       Fleisch ist ja noch Gummi“, sagt sie. „Ich bin einen Gasherd gewohnt, so
       dauert alles länger.“
       
       Also zurück zum Reis. „Wir bereiten Reis immer mit Safran und Berberitzen
       zu“, sagt Farzana. Berberitzen sind kleine rote Beeren, in Afghanistan sind
       sie oft Zutat für Reis- und Fleischgerichte. Dann öffnet Farzana die kleine
       Gewürzschachtel mit den Safranfäden und führt sie zu ihrer Nase. Genüsslich
       schließt sie die Augen. Für einen Moment sieht es aus, als rieche sie an
       ihrer Heimat.
       
       Während Farzana die Berberitzen in Öl anbrät, schütte ich einen Teil des
       Reises in eine Schüssel und mische ihn mit Safran, den wir zuvor mit etwas
       Zucker zu einem Pulver gemörsert hatten. Das Pulver verleiht dem Reis eine
       gelbe Farbe. Die angebratenen Berberitzen streuen wir über den
       angerichteten Reis, das sorgt für einen schönen Farbkontrast.
       
       Man merkt, dass Farzana gutes Essen sehr schätzt. „Im Heim schmeckt es
       nicht so lecker“, sagt sie. Manchmal schleicht sie sich mit anderen
       Bewohnerinnen in die Heimküche, um selbst zu kochen, obwohl das verboten
       ist. Wenn die Security was merkt, werden sie rausgeworfen.
       
       Endlich hat auch das Fleisch eine zarte Konsistenz angenommen. Nach drei
       Stunden und mit knurrendem Magen versammelt sich das Team am großen
       Holztisch. Afghanische Speisen brauchen Zeit. Heute haben wir sie uns
       genommen, und dafür schmeckt es umso besser.
       
       Die Genussseite: Wir treffen uns einmal im Monat mit Flüchtlingen zum
       gemeinsamen Essen. Außerdem im Wechsel: Jörn Kabisch befragt Praktiker des
       Kochens. Philipp Maußhardt schreibt über europäisches Essen ohne Grenzen,
       und taz-AutorInnen machen aus Müll schöne Dinge.
       
       10 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tasnim Rödder
       
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