# taz.de -- Boxen bei Olympia: Traue nie einem Juroren
       
       > Die Deutschen sind beim Boxen chancenlos und werfen deshalb
       > Verschwörungstheorien in den Raum. Das Misstrauen basiert auf
       > Erfahrungswerten.
       
 (IMG) Bild: Der Franzose Elie Konki (l). trifft den Deutschen Hamza Touba nicht immer, aber oft genug
       
       Rio de Janeiro taz | In der Boxhalle wird, eine Stunde vor Beginn der
       Abendsession, von ein paar Freiwilligen die Siegerehrung geprobt. Sie bauen
       ein Podest im Boxring auf, und dann werden die Flaggen gehisst. Die
       deutsche Fahne ist auch dabei. Zweiter Platz. Wie die Veranstalter darauf
       kommen, dass ein Faustkämpfer des Deutschen Box-Verbandes in Rio de Janeiro
       eine Medaille gewinnen könnte, ist schwer nachzuvollziehen. Es deutet nicht
       viel darauf hin, dass dieser Fall noch eintreten könnte.
       
       Bisher gab es nur schlechte Nachrichten. Schwergewichtler David Graf ist
       raus, außerdem Halbschwergewichtler Serge Michel, Arajik Marutjan im
       Weltergewicht, und Superschwergewichtler Erik Pfeifer ist auch frühzeitig
       ausgeschieden. Sie sind jeweils mit einem 1:2-Urteil der Wertungsrichter
       aus dem olympischen Turnier geflogen, was wieder einmal zu
       Verschwörungstheorien geführt hat.
       
       „Dreimal 1:2, und immer gegen uns. Das kann nicht sein“, polterte
       Sportdirektor Michael Müller: „Ich bin ja schon viele Jahre im Boxen dabei,
       aber so etwas habe ich noch nicht gesehen.“ Vor seinem Engagement im Boxen
       war Müller jahrelang Sportdirektor des Deutschen Ruder-Verbandes. Wäre er
       mal da geblieben: Die Ruderer haben auf der Lagoa dos Freitas drei
       Medaillen gewonnen, sogar zwei goldene.
       
       Samstagabend hat dann auch der fünfte deutsche Boxer verloren: Hamza Touba,
       ein schmächtiger Mann von nur 52 Kilogramm, der im Fliegengewicht gegen den
       Franzosen Elie Konki klar mit 0:3 verloren hat. Es war ein schöner Kampf,
       technisch anspruchsvoll. Keine wilde Schlägerei, wie man sie häufig im
       olympischen Ring sieht, wenn die Fighter glauben, ihnen laufe die Zeit
       davon. Die rechte Faust des Franzosen schnellte immer wieder wie die Zunge
       eines Leguans zum Kopf des Deutschen. Er traf ein uns andere Mal, auch wenn
       Touba mit blitzschnellen Meidbewegungen den Attacken auswich.
       
       ## Den Urteilen der Richter wird nicht getraut
       
       Die Ränge in der Messehalle 6 des Olympiaparks Riocentro waren nicht einmal
       zur Hälfte besetzt, dafür machte ein Grüppchen von deutschen Fans mächtig
       Lärm. „Hamza for Germany“, riefen sie und: „Kämpfe, Hamza, kämpfe!“ Mit den
       Füßen trampelten sie wie wild auf der Stahltribüne herum.
       
       Der Franzose im roten Leibchen aber war der etwas bessere Boxer, das konnte
       auch ein Laie sehen. Toubas Trainer Zoltan Lunka wollte das kurz nach dem
       Kampf nicht wahrhaben: „Ich habe den Kampf ein bisschen anders gesehen,
       erste und dritte Runde für uns. Ich weiß nicht, wie das Urteil zustande
       kommt.“ Auch Hamza Touba musste die Enttäuschung erstmal verdauen. Er
       rauschte an den Journalisten vorbei, kam nach zehn Minuten aber wieder mit
       der versöhnlichen Erklärung: „Ich wollte nur die nassen Sachen ausziehen.“
       Er lächelte sogar. Das Ergebnis fand er, mit ein bisschen Abstand, „okay
       und nachvollziehbar, traurig bin ich jetzt trotzdem“, sagte der 24-Jährige.
       „Das ist halt Boxen, manchmal gewinnt man, manchmal verliert man.“
       
       Es ist trotzdem bezeichnend, dass Trainer und Athleten den Urteilen der
       AIBA-Richter, also den Juroren des Boxweltverbandes, nicht trauen. In der
       Vergangenheit hat es viele skandalöse Wertungen gegeben, gerade unter der
       Regentschaft des Pakistani Anwar Khurshid Chowdhry, der 2006 vom Taiwanesen
       Ching Kuo Wu abgelöst wurde, der nun nicht weniger erratisch vorgeht. Der
       Weltboxverband hat sich über Jahrzehnte einen ziemlich miesen Ruf
       erarbeitet.
       
       Das skandalöseste Urteil wurde wohl bei den Olympischen Spielen in Seoul im
       Jahre 1988 gesprochen. Der US-Amerikaner Ray Jones Jr. verkloppte den
       Südkoreaner Park Si-hun im Finale. Drei von fünf Kampfrichtern sahen das
       aber anders und sprachen dem Lokalmatador den Sieg zu. Sogar der
       Finalschiedsrichter Aldo Leoni beschuldigte die Kampfrichter,
       Bestechungsgelder erhalten zu haben.
       
       ## Aserbaidschan mischt kräftig mit
       
       Das Internationale Olympische Komitee untersuchte die Sache und befand,
       dass ein paar Wertungsrichter vom Veranstalter in Südkorea „verwöhnt“
       worden seien, woraufhin ein neues Wertungssystem geschaffen wurde, das für
       mehr Transparenz sorgen sollte. Aber auch das hat sich schon wieder
       geändert. Gezählt wird jetzt nicht mehr sofort und sichtbar jeder Treffer,
       sondern es wird wieder wie im Profiboxen gewertet. Touba findet das gar
       nicht schlecht. „Das ist besser, weil der komplette Boxer beurteilt wird,
       seine Technik, sein Auftreten, seine Ausstrahlung.“
       
       Touba konnte immerhin froh sein, dass er in Rio nicht gegen einen Boxer aus
       Aserbaidschan antreten musste, denn das aufstrebende Sportland ist
       berüchtigt dafür, seine Fühler gen AIBA auszustrecken. Im Jahre 2011 deckte
       die BBC eine Zahlung über neun Millionen Dollar eines aserbaidschanischen
       Investors an die AIBA auf. Die erwartete Gegenleistung: Zwei Goldmedaillen
       für Aserbaidschan bei den Olympischen Spielen in London. Offiziell handelte
       es sich um eine normale Investition.
       
       In London gewann Aserbaidschan dann tatsächlich zwei Medaillen, in Bronze.
       Mächtig Wirbel gab es zudem: Die Wertungsrichter kürten Magomed
       Abdulhamidow nach seinem Kampf gegen Satoshi Shimizu zum Sieger, obwohl der
       fünf Mal zu Boden gegangen war.
       
       In den letzten Jahren macht die AIBA vor allem mit ihren irrlichternden
       Reformen von sich reden. Von Unübersichtlichkeit der verschiedenen
       Kampfformate zu reden, wäre noch untertrieben. Diverse Akronyme schwirren
       durch die Boxwelt – und nur der Experte kennt sich noch aus. WSB, APB und
       AOB sind die Kürzel. World Series of Boxing, AIBA Professional Boxing und
       AIBA Olympic Boxing. Mirko Wolf, der sich AIBA Office Manager nennt und das
       Profiboxen mit dem Amateurboxen fusionieren soll, findet das gar nicht
       unübersichtlich.
       
       ## „Das sind Gürtelverkäufer, mehr nicht“
       
       „Nein, das ist nicht verwirrend, das ist in drei Sätzen zu erklären: AOB
       ist das Amateurboxen. WSB ist ein professionelles Teamboxformat, wo
       weltweit 16 Teams gegeneinander antreten, ähnlich wie bei einer
       Fußballmannschaft werden da die Boxer zusammengekauft. Und dann gibt es
       noch die APB.“ Das soll die Profiboxabteilung der AIBA werden, die den
       Verbänden WBC oder WBA den Rang abläuft. „Es gibt im Boxen so viele
       Verbände, aber nur einen legitimierten, und das ist die AIBA. WBA, WBC und
       so weiter, das sind ja nur Privatunternehmen, das sind Gürtelverkäufer,
       mehr nicht“, ätzt Wolf, der selbst ein guter Boxer war.
       
       Hamza Touba kämpft seit drei Jahren in der WSB. Anfangs gab es deutsche
       Teams, die Leipzig Leopards zum Beispiel und dann die German Eagles. Aber
       die Serie floppte in Deutschland grandios. Die Medien konnten mit diesem
       Konstrukt nichts anfangen. Jetzt kämpft Touba für ein polnisches Team. „Ich
       bin praktisch eingekauft worden von denen“, sagt Touba, der seine
       Ausbildung bei Daimler in Heidelberg macht und alle Freiheiten genießt.
       „Das Team in Polen ist super, die Flüge werden bezahlt, das ist ein gutes
       Taschengeld, ein Haus kann ich mir davon nicht kaufen, aber in Polen haben
       die sogar einen Fernsehvertrag.“
       
       Wus Weg, das Boxen vom Ruch des Amateurhaften komplett zu befreien, und sei
       es mit noch so kruden Ideen, findet Touba ebenso gut wie die Abschaffung
       des Kopfschutzes im Männerboxen. „Die Handschuhe sind ja heutzutage sehr
       weich“, sagt Touba, „außerdem sieht man besser.“
       
       In Rio sind die drei Profiboxer, die sich für das olympische Turnier
       qualifiziert hatten, früh gescheitert. Ein Thailänder ging sogar zu Boden.
       Für Wolf ist das der Beweis dafür, wie gut die AIBA-Boxer sind. „Vorher hat
       man gesagt, die Profis werden die Amateure in Grund und Boden hauen, das
       Umgekehrte ist eingetreten, die Profis haben sich hier ihre Schelle
       abgeholt“, sagt Mirko Wolf. Dann muss er weg, zu wichtigen Gesprächen mit
       Boxpromotern. Die AIBA will jetzt nämlich am ganz großen Rad drehen.
       Präsident Wu will es so.
       
       15 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Markus Völker
       
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