# taz.de -- Attentäter von Nizza: „Ein übler Typ“, aber kein Religiöser
       
       > Zum Täterprofil des Attentäters von Nizza bleiben viele Fragen offen.
       > Doch die Regierung spricht von einer „schnellen Radikalisierung“.
       
 (IMG) Bild: Warum? Das weiß niemand so richtig. Die Regierung sucht dennoch Erklärungen
       
       „Ein Irrer oder ein Irrer Gottes?“, so fasst die Sonntagszeitung Journal du
       Dimanche das Rätselraten nach den Beweggründen des Täters zusammen. Der
       Pariser Staatsanwalt François Molins hat auf einer Pressekonferenz die
       Angaben zur Identität des Attentäters von Nizza, die schon in den Medien
       zirkulierten, bestätigt und weitere Einzelheiten geliefert.
       
       Der Mann, der am Abend des Nationalfeiertags an der Promenade des Anglais
       84 Menschen mit einem gemieteten Lastwagen überfahren und 50 schwer
       verletzt hatte, bevor er von Polizisten gestoppt und erschossen wurde, hieß
       Mohamed Lahouaiej Bouhlel. Der 31-jährige gebürtige Tunesier war
       verheiratet und hatte drei Kinder im Alter zwischen 18 Monaten und 5
       Jahren. Zuletzt hatte er als Fahrer für Lieferdienste gearbeitet.
       
       Er war, wie Molins bestätigte, der Polizei durchaus bekannt, aber zumindest
       den Nachrichtendiensten nicht wegen Sympathien für den islamistischen
       Terrorismus oder einer Radikalisierung, sondern wegen Gewaltdelikten. Er
       war wegen einer handfesten Auseinandersetzung mit einem Autofahrer zu
       Beginn dieses Jahres zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung
       verurteilt worden.
       
       Seine ebenfalls aus Tunesien stammende Ex-Frau ist am Freitag, wie
       inzwischen sieben andere Personen aus seinem Umkreis, von der Polizei zur
       Befragung festgenommen worden. Denn Bouhlels Profil ist weiterhin
       mysteriös. Einige französische Zeitungen meinen bereits, man habe es da mit
       einem Terroristen neuen Typs zu tun. Zwar rekrutieren Terrorgruppen mit
       Vorliebe in Kreisen von desorientierten Kleinkriminellen und vor allem in
       den Gefängnissen. In diesem Fall aber scheint jede Beziehung zum Islam
       generell oder zum radikalen Islamismus im Speziellen zu fehlen.
       
       Die Vorstellung, neben einem angeblichen „Islamisten“ im Norden von Nizza
       gewohnt zu haben, lässt seinen Nachbarn Youness völlig perplex: „Er war
       immer europäisch gekleidet, trank Alkohol, ging in Nachtlokale, er
       verrichtete keine Gebete und respektierte auch den Ramadan nicht. Ich hätte
       da die größte Mühe, einen Zusammenhang mit der Religion zu sehen. Ich
       glaube eher, dass er total durchgedreht ist.“
       
       ## Nachbar: „An der Grenze zum Psychopathen“
       
       Andere Nachbarn im Quartier Bateco, wo vor allem Immigrantenfamilien leben,
       wussten auch, dass Bouhlel seine Frau – meist unter Einfluss von Alkohol –
       geschlagen habe. „Ein übler Typ“, „an der Grenze zum Psychopathen“, sagen
       sie jetzt. Die misshandelte Gattin war deswegen auch zur Polizei gegangen.
       Die Trennung erfolgte schließlich, als sie mit dem dritten Kind schwanger
       war. Er zog dann in das Quartier der ehemaligen Schlachthöfe im Osten von
       Nizza um. Die Nachbarn an seinem neuen Wohnort sprechen von einem
       unangenehmen Zeitgenossen, der niemanden grüßte und mit niemanden sprach.
       
       Sein Vater erklärte inzwischen in den Medien, sein Sohn habe ihn noch am
       Ende der Fastenzeit besucht, er habe „normal“ gesprochen, aber gesagt, er
       sei krank. Schon vor mehr als zehn Jahren habe er Wutanfälle gehabt: „Er
       schrie und schlug alles zusammen.“
       
       Der tunesische Arzt, der ihn damals 2004 in Sousse ein einziges Mal
       untersucht hatte, spricht von „Charakter- und Verhaltensstörungen“, die auf
       den Beginn einer Psychose hindeuten konnten. Er habe ihm das Neuroleptikum
       Haloperidol verschrieben, das gewöhnlich in der Therapie chronisch
       schizophrener Symptome verwendet wird. Es entziehe sich aber seiner
       Kenntnis, ob Bouhlel die Arznei danach wie empfohlen eingenommen habe.
       
       Als Mediziner vermutet er zum Attentat von Nizza: „Selbst im Fall einer
       Psychose braucht es irgendeine Indoktrinierung für einen Hemmungsverlust.“
       Für eine solche Manipulation haben die Ermittler bisher aber noch keine
       stichhaltigen Hinweise gefunden.
       
       ## Regierung: „Sehr schnell radikalisiert“
       
       Für die Pariser Regierung dagegen steht mangels anderer Beweise fest, dass
       sich Bouhlel „sehr schnell radikalisiert“ haben müsse. Sie stützen sich
       dabei angeblich auf Aussagen seiner Bekannten und eine SMS, die
       möglicherweise auf einen eingeweihten Komplizen hindeuten könne.
       
       Bei seiner Todesfahrt durch die Zuschauer der Feuerwerks zum
       Nationalfeiertag in Nizza handelt es sich aber um eine vorsätzliche und
       vorbereitete Tat, nicht um eine suizidäre Kurzschlusshandlung. Denn
       schließlich hatte Bouhlel dafür eigens seine Bankkonten geleert, sein Auto
       verkauft, und dann einen Lastwagen bestellt und der Mietfirma glaubhaft
       erklärt, er brauche das Fahrzeug, einen 19-Tönner, für Umzugsarbeiten.
       
       Unklar ist auch noch, wie er in den Besitz der Pistole vom Kaliber 7,65 mm
       kam, mit der er auf die Polizeibeamten feuerte, bevor er selber durch
       zahlreiche Schüsse getötet wurde. Merkwürdigerweise hatte er im Lastwagen
       auch Spielzeugwaffen aus Plastik und eine nicht funktionsfähige Handgranate
       dabei.
       
       Ungeachtet der Frage, ob er auch Komplizen oder Auftraggeber hatte, weiß
       man, dass die Terrormiliz IS mit ihren Aufrufen zu Mord und Terror auch
       solchen Einzeltätern ziemlich klare Anweisungen gibt, um mit allen ihnen
       zur Verfügung stehenden Mordinstrumenten, darunter explizit mit Messern und
       Fahrzeugen, einen unermesslichen Schaden anzurichten. Das allein könnte den
       IS-Propagandisten reichen, sich anschließend als Auftraggeber mit dem
       Horror zu brüsten.
       
       17 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
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