# taz.de -- Flüchtlingsdeal mit der Türkei: Eskalation mit Ansage
       
       > Visumfreiheit als Streitpunkt. Die türkische Regierung droht der EU mit
       > dem Scheitern des Abkommens über die Rücknahme von Flüchtlingen.
       
 (IMG) Bild: Wird es bald wieder mehr Bilder wie diese geben?
       
       Berlin taz | Die Bundesregierung hat gelassen auf die Drohung der
       türkischen Regierung reagiert, die EU-Türkei-Vereinbarung in der
       Flüchtlingspolitik aufzukündigen. „Die EU und die
       Bundesregierung gehen weiter davon aus, dass die Türkei die
       Bedingungen erfüllt“, sagte die stellvertretende
       Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Montag. Es sei im
       gegenseitigen Interesse, dass nicht täglich Menschen im
       Mittelmeer ertränken.
       
       Auch das Auswärtige Amt blieb im Tonfall betont ruhig. Eine Drohung
       oder ein Ultimatum könne er in den Äußerungen des türkischen
       Außenministers nicht erkennen, sagte Außenamtssprecher Martin
       Schäfer – sie seien eher ein „kräftiger Ausdruck der türkischen
       Position“. Schäfer betonte, dass die Vereinbarung der EU mit der
       Türkei vom 18. März weiter gelte. Es bleibe dabei, dass die
       Voraussetzungen für eine Visa-Liberalisierung zunächst erfüllt
       sein müssten.
       
       Damit schloss sich die Bundesregierung der EU-Kommission an. Eine
       Sprecherin hatte schon am Sonntagabend klar gemacht, dass sich
       Europa nicht erpressen lassen werde. Die Visumfreiheit für
       türkische Bürger werde es nur geben, wenn alle Bedingungen erfüllt
       seien, sagte die Kommissionssprecherin.
       
       Auch aus der Opposition kam Kritik an der Türkei. „Wenn der
       türkische Außenminister nun ein Ultimatum setzt, verkennt er,
       dass der Ball bei der türkischen Regierung liegt“, sagte Grünen-Chef
       Cem Özdemir der taz. Es sei die Entscheidung von Präsident Erdoğan,
       „ob er lieber weiterhin Journalisten unter dem Deckmantel des
       Terrorpragraphen einsperren will oder den eigenen Bürgern endlich
       visumfreie Reisen in die EU ermöglicht“, betonte Özdemir.
       
       ## Druck auf die EU steigt
       
       Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte in einem
       Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit der
       Aufkündigung der EU-Türkei-Vereinbarung gedroht. „Wenn es nicht zu
       einer Visaliberalisierung kommt, werden wir gezwungen sein, vom
       Rücknahmeabkommen und der Vereinbarung vom 18. März Abstand zu
       nehmen.“ Die türkische Regierung erwarte „einen konkreten
       Termin“. Dies könne Anfang oder Mitte Oktober sein, aber man erwarte
       „ein festes Datum“.
       
       Dies ist eine Eskalation in den Beziehungen der Europäischen
       Union zur Türkei. Die EU hatte der Türkei 72 Bedingungen für die
       Reisefreiheit türkischer Bürger gestellt, die Verhandlungen
       laufen schon seit Dezember 2013. Am 18. März dieses Jahres, nach
       Monaten mit einer sehr hohen Zuwanderung von Flüchtlingen aus der
       Türkei, schlossen die EU und die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan
       eine Abmachung. Die EU sagte der Türkei Milliardenhilfen für die
       Versorgung von Flüchtlingen zu und die Reisefreiheit für türkische
       BürgerInnen ab Ende Juni.
       
       Im Gegenzug verpflichtete sich die Türkei, illegal nach
       Griechenland eingereiste Geflüchtete zurückzunehmen. Die EU und
       die Türkei verabredeten damals einen 1:1-Deal. Für jeden aus
       Griechenland in die Türkei abgeschobenen Syrer sollte ein Syrer
       legal aus der Türkei in die EU einreisen können.
       
       ## Harter Kurs statt Liberalisierung
       
       Dieser Türkei-Deal ist ein entscheidender Baustein in Angela
       Merkels Plan, illegale Zuwanderung nach Europa zu verhindern.
       Doch die ursprünglich ab Ende Juni geplante Reisefreiheit
       scheiterte, weil die Türkei nicht alle 72 Bedingungen erfüllte. Bis
       heute sind nicht alle Punkte abgehakt. Der Wichtigste sind die so
       genannten Anti-Terror-Gesetze Erdoğans. Die EU kritisiert, dass sie
       Terrorismus zu allgemein definieren und die Verfolgung von
       kritischen Oppositionellen ermöglichen. Auf Basis der Gesetze
       wurden zum Beispiel Journalisten, Aktivisten oder Politiker
       inhaftiert.
       
       Erdoğan wiederum hat kein Interesse an einer Änderung der Gesetze
       und hat das auch öffentlich gesagt. Seit dem Putschversuch geht seine
       Regierung rigoros gegen vermeintliche Feinde vor, eine
       sicherheitspolitische Liberalisierung würde diesem harten Kurs
       widersprechen.
       
       Die Drohung aus Ankara dokumentiert deshalb auch, wie festgefahren
       die Verhandlungen sind. Für Merkel ist die EU-Türkei-Vereinbarung
       wichtig. In Kombination mit den Grenzschließungen der
       Balkanstaaten hat sie zu einem starken Rückgang der Zahl der auf den
       griechischen Inseln ankommenden Geflüchteten geführt.
       
       ## Kaum Fluchtwege offen
       
       Dort gingen laut FAZ im Januar und Februar täglich fast 2.000
       Menschen an Land, im Juni waren es nur noch 50. Die Schlepper finden
       kaum noch Menschen, die für die teure illegale Überfahrt über die
       Ägäis bezahlen. Laut Bundesinnenministerium schoben
       griechische Behörden seit März 468 Menschen in die Türkei ab. 849
       Menschen nahm die EU aus der Türkei in einem Ressettlement-Programm
       auf – davon kamen 294 nach Deutschland.
       
       Was passieren würde, wenn die Türkei die Vereinbarung kündigte, ist
       unklar. Einerseits dürfte sich unter den Geflüchteten in der Türkei
       herumgesprochen haben, dass der Weg über die Balkanroute nach
       Mittel- und Nordeuropa versperrt ist. Dies spräche dagegen, die
       gefährliche Überfahrt nach Griechenland zu wagen.
       
       Gleichzeitig spitzt sich die Situation in der Türkei zu, was viele
       doch zur Flucht bewegen könnte. Griechenland, wo jetzt schon
       Flüchtlinge in katastrophalen Zuständen leben, wäre heillos
       überlastet. Das Elend der Geflüchteten wäre damit wieder in der EU
       angekommen.
       
       1 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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