# taz.de -- Linke und die Debatte um den Islam: Ums Kuscheln geht es nicht
       
       > Islamkritik dient oft nur der Bestätigung rassistischer Diskurse. Der
       > Fokus der Debatte ist einseitig. Eine Replik auf Ahmad Mansour.
       
 (IMG) Bild: „Den“ Islam gibt es nicht
       
       „Wir sind nicht eure Kuscheltiere“, schrieb vor drei Wochen der Psychologe
       und Autor Ahmad Mansour [1][in einem vielbeachteten taz-Essay]. Er als
       Muslim finde, dass Muslime in die offene Debatte integriert gehörten. Die
       unter manchen Linken und Liberalen verbreitete „Kultursensibilität“ sei
       absurd und teils rassistisch.
       
       Bei Letzterem hat er ganz recht: Der nur scheinbar freundliche Gedanke „Das
       ist halt deren Kultur“ ist falsch. Andersartigkeit kann man auch ohne
       nationale „Kulturen“ respektieren. Es gibt genauso wenig „die Araber“, wie
       es „die Deutschen“ gibt, das kann ich als „Deutsch-Araber“ aus eigener
       Erfahrung bestätigen. Der Multikulturalismus geht aber letztendlich davon
       aus.
       
       Diesem Konzept von „Kultur“ habe ich beispielsweise zu verdanken, dass mir
       in Liebesangelegenheiten wegen meiner dunklen Augen „Glutäugigkeit“, also
       besondere Leidenschaftlichkeit, zugeschrieben wird, was an sich ganz
       praktisch ist. Doch einmal davon abgesehen, dass solche Zuschreibungen
       irgendwann an der Realität und ihren Ambivalenzen zerplatzen, hat das
       Vorurteil vom „glutäugigen Orientalen“ auch eine Schattenseite: nämlich die
       des von Emotionen und Trieben gesteuerten Arabers. So eng liegen „positive“
       kulturelle Vorurteile und Rassismus oft zusammen.
       
       ## Debatten sind wie Märkte
       
       Hat Mansour also recht, wenn er meint, dass man sich mit der Kritik an
       Menschen mit arabischem und türkischem Hintergrund nicht zurückhalten
       solle, dass Aufklärung hier nicht haltmachen dürfe? Nicht ganz. Denn
       öffentliche Debatten sind Märkten ähnlich: Beide bringen im Idealzustand
       sehr positive Effekte hervor, in der Realität werden sie stark durch
       Machtverhältnisse und andere Umstände verzerrt.
       
       Ein herrschaftsfreier und rational geführter Dialog hat das Potenzial, auf
       allen Seiten kulturelle Normen und Wertvorstellungen in Frage zu stellen.
       Mit der Zeit kann das dazu führen, dass repressive Wertvorstellungen über
       Bord geworfen werden. Gäbe es da nicht den Rassismus.
       
       Der Politikwissenschaftler Floris Biskamp widmet sich in seinem neuen Buch
       „Orientalismus und demokratische Öffentlichkeit“ ebendiesem Problem. Er
       legt dar, dass die „Sprechsituation“ in einer Debatte ungeheuer relevant
       ist, so wie es eben auch relevant ist, ob gerade zwischen gleichwertigen
       Diskutanten debattiert wird oder ob eine Person gemobbt wird. Die Art und
       das Ausmaß, in dem zur Zeit beispielsweise Kritik an „dem Islam“ geübt
       wird, ist zu einem Großteil irrational und verzerrt durch antimuslimische
       und ausländerfeindliche Ressentiments. 57 Prozent der Deutschen empfinden
       den Islam als bedrohlich.
       
       [2][Die letzten Mitte-Studien der Uni Leipizig] besagen, dass etwa 34
       Prozent der Deutschen glauben, ihr Land sei in gefährlichem Maße
       überfremdet, und volle 41 Prozent finden, man solle Muslimen die
       Einwanderung nach Deutschland verbieten. Die Kommentarspalten von Artikeln
       zum Thema werden beherrscht von frisch gebackenen Islamexperten,
       offensichtlich geschult durch die einseitige Lektüre von Autoren wie dem in
       deutschen Talkshows oft gesehenen [3][Islamkritiker Hamad Abdel-Samad],
       dessen Bücher voll von Methodik- und Denkfehlern sind. Rechtskonservative
       Publikationen wie Cicero oder die Welt drucken unverhältnismäßig viele
       Artikel über von Migranten begangene Verbrechen oder die Rückständigkeit
       des Islam. Die Argumentationen sind dabei durchzogen von Halbwissen und
       unzulässigen Pauschalisierungen.
       
       Eine unverzerrte und differenzierte Diskussion darf sehr wohl auch
       feststellen, dass in Teilen muslimischer Communities antiliberale und
       autoritäre Denk- und Verhaltensweisen überproportional und in spezifischer
       Weise anzutreffen sind. Das steht nicht in Frage. Aber die Debatte wird auf
       ungute Weise geführt. Es wird zu viel von „dem Islam“ oder „der Kultur“
       „der“ Araber und Türken geredet. Und die gibt es, wie bereits erklärt,
       nicht. Man immunisiert sich dabei gegen den Rassismus-Vorwurf, indem man
       lobenswerte Ausnahmen wie einen Abdel Samad oder eben Ahmad Mansour
       hervorhebt. Diese dienen aber nur der Bestätigung der Regel.
       
       Ähnlich wie Abdel-Samad beruft sich Mansour auf ein kurzsichtiges
       Verständnis von Aufklärung. Man muss nicht Horkheimer und Adorno lesen, um
       zu verstehen, dass im Konzept „Aufklärung“ ein regressives Element
       enthalten ist, weil es dazu verleitet, die Menschheit in „Aufgeklärte“ und
       „Barbaren“ zu unterteilen. Der unaufgeklärte Barbar muss, weil er
       irrational und gefühlsgelenkt – quasi glutäugig – ist, zu seinem Besten
       gezwungen werden. Genauso rechtfertigten die europäischen Kolonisatoren
       ihre Grausamkeiten und ihre Raffgier. Und diese Entgegensetzung von
       aufgeklärten Westlern und barbarischen Südlern durchzieht und verzerrt die
       gesamte Debatte über den Islam und Migration.
       
       Ein weiteres Problem ist der einseitige Fokus der Debatte. Wie Biskamp
       darlegt: Wenn die Probleme im Islam immer und immer wieder thematisiert
       würden, während andere religiöse oder kulturelle Traditionen und andere
       Bevölkerungsgruppen weitestgehend unproblematisiert bleiben, trügen „auch
       die genauesten und differenziertesten Redebeiträge über Islam und
       Musliminnen zum Problem bei: Die überproportional thematisierte Gruppe wird
       haargenau kritisch und differenziert durchleuchtet und gerade dadurch
       marginalisiert.“
       
       Die eigene Gruppe wird dabei gereinigt von allen „barbarischen“ Impulsen,
       so wie [4][nach der Silvesternacht von Köln] viele Deutsche, die für den
       Feminismus bisher nur Verachtung übrig hatten, plötzlich zu wilden
       Streitern für Frauenrechte wurden. Frauenfeindlich sind die anderen. Und je
       barbarischer der andere ist, desto aufgeklärter wirkt man selbst. Um aus
       dieser Falle auszubrechen, so Biskamp, solle man statt ständig allgemeine
       Debatten über „den Islam“ zu führen, sich auf konkrete Fragen konzentrieren
       und diese präzise diskutieren.
       
       Gerade Mansour neigt aber zu Ungenauigkeiten und dient damit der Rechten
       ungewollt als Zuspieler von Argumenten, die darum (fälschlicherweise) als
       besonders objektiv gelten, weil er selbst arabischer Herkunft ist. Das
       beginnt schon mit dem Titel seines Buches „Generation Allah“: Das darin
       enthaltene Bild beschwört eine ganze Generation von irrationalen und
       gefährlichen Menschen herauf.
       
       Wer solche Bilder kreiert, muss sie präzise belegen. Aber im Buch findet
       man kaum genaue Zahlen, dafür viele Anekdoten und die bedrohliche Aussage,
       dass die Generation Allah nach seinen „Beobachtungen“ wachse. Eine lapidare
       „Beobachtung“ reicht aber nicht aus, um verallgemeinerte Erkenntnisse zu
       formulieren. Auf Grund seiner an sich sehr zu begrüßenden Tätigkeit als
       Präventionsarbeiter gegen Salafismus wird er berufsbedingt ständig auf
       „Problemkinder“ treffen, was seine Wahrnehmung beeinflusst.
       
       Die jungen Migrantentöchter und Migrantensöhne, die ich kenne, scheinen mir
       jedenfalls nicht zu dieser „Generation Allah“ zu gehören, werden aber durch
       solche Zuschreibungen stigmatisiert. Stigmatisierungen und damit verbundene
       Vorurteile sind ein wesentlicher Faktor in einem von französischen und
       amerikanischen Wissenschaftlern unlängst nachgewiesenen Teufelskreislauf
       aus Ausgrenzung und Integrationsverweigerung.
       
       ## Nicht religiös gefestigt
       
       Generell lässt sich sagen, dass Mansours Kernargument der
       wissenschaftlichen Diskussion hinterherhinkt. Die meisten Attentäter sind
       nämlich eben gerade keine gefestigten Muslime, sondern haben seit Kurzem
       die Religion für sich entdeckt, wie verschiedene Studien zeigen. Wer über
       Terrorismus spricht, kommt um diese Fakten nicht herum und muss sie
       mindestens ansprechen.
       
       Um es zu betonen: Sicher hat Mansour recht, wenn er sagt, dass Salafisten
       einen zu großen Einfluss auf Jugendliche haben und dass über diesen
       Einfluss gesprochen werden, er zurückgedrängt werden muss. Aber die
       unreflektierte Bezugnahme auf die Aufklärung und die Vorzüge einer offene
       Debatte sind naiv. Die Rechte fordert „offene“ Debatten über „den Islam“
       und „die Kultur“ von Migranten – ähnlich wie reichere Länder gerne
       lautstark freie Märkte fordern: weil es ihnen nützt.
       
       Die Antwort kann selbstverständlich nicht sein, nicht kritisch miteinander
       zu reden. Aber man sollte sich Verzerrungen und Ungleichheiten bewusst
       machen und mit diesem Wissen nach fairen Verhältnissen streben, die eine
       solide Grundlage für offene Debatten bieten. Leute wie Mansour sollten sich
       klarmachen, dass es auch gute Gründe haben kann, dass manche Linke
       „plötzlich nicht mehr so nett“ sind, wenn sie mit seinen Thesen
       konfrontiert werden.
       
       2 Aug 2016
       
       ## LINKS
       
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