# taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Mit Donner, ohne Navi
       
       > Dröhnen. Donner. Quäken. Stetes Pochen. Irgendetwas ist nicht so wie
       > sonst. Der Krieg in der Ukraine ist vor allem ein Geräusch.
       
 (IMG) Bild: Gedenken an den Journalisten Pawel Scheremet. Er wurde am Mittwoch mit einer Autobombe in Kiew getötet
       
       Sonntag, in der Nacht auf Montag: Krieg ist ein Geräusch. Es klingt wie ein
       Zahnarztbohrer, einer von den dicken, ein brummendes Schleifen. Leise
       zunächst, mit Pausen, doch je weiter wir nach Osten fahren, desto lauter
       wird es. Irgendwo hinter Pawlohrad hat es angefangen, zwanzig Kilometer vor
       Donezk füllt das Dröhnen den Kopf.
       
       Nur die einfachsten Gedanken finden noch darin Platz: „Schlafen.“ „Muss
       pinkeln.“ „Warum fahren wir nicht weiter links, da ist es nicht so
       scheißlaut.“ Panzer haben der Straße ihre Spuren eingeprägt wie einer
       Schallplatte. Long-Play. Sie spielt ihr Lied. Bis zur Front.
       
       Montag, Mittag: Krieg ist ein Geräusch. Es klingt wie das Bellen eines
       Roboterhundes, ein metallisches Stottern. Kalaschnikow. Es wird nicht auf
       uns geschossen, nur um uns herum. Von einer erhöhten Position hat jemand
       einen Feind gesehen, im Feuergefecht gewinnt meist der, der als Erster
       schießt. Wir sitzen in einem Haus, im hintersten Raum.
       
       Hier stehen acht Spinde aus Blech, die Türen sind offen. In einem liegt ein
       roter Helm, wie ihn Bauarbeiter tragen. Im Keller schlafen ukrainische
       Soldaten, auf Betten aus Holz und Metallschildern, die einmal
       Straßenwegweiser waren. Drei Männer rennen herein, sie tragen Gewehre. Der
       Kommandant gibt ihnen die Hand. Wir warten, bis das Schießen aufhört. Es
       gibt Fischsuppe mit Kartoffeln.
       
       ## Brummendes Schleifen
       
       Montag, Abend: Krieg ist ein Geräusch. Es klingt wie Donner. Am Imbiss in
       Awdijiwka gibt es Lawasch mit Huhn oder mit Schwein. Der Mann vor mir hat
       seines gerade bekommen. Sieht aus wie die Teigrollen, die in Berlin als
       Dürüm verkauft werden. „Ist das alles?“, fragt der Verkäufer den Mann. „Ja,
       nicht noch mehr“, sagt die kleine blonde Frau, die neben ihm steht, und
       verdreht die Augen. „Ein Bier“, sagt der Mann. Die Frau lacht, zieht ihm
       das Smartphone aus der linken Hosentasche und schiebt einen Kinderwagen ein
       paar Meter weiter. Es donnert. Aber die Blitze fehlen. Vielleicht sind es
       Mörser, vielleicht ein größeres Kaliber. Es wird in der Nacht so
       weitergehen, es war in der Nacht davor nicht anders.
       
       Dienstag, Morgen: Krieg ist ein Geräusch. Es klingt wie Donner. Irgendetwas
       ist nicht so wie sonst. Nach den 39 Grad der vergangenen Tage,
       schweißverklebten Händen, dem schwülen Druck auf Hirn und Lunge, regnet es.
       Regen. Das stete Pochen der Tropfen an den Fenstern sagt, das Wummern
       draußen könnte etwas anderes sein als Schüsse schwerer Waffen. Es ist
       tatsächlich Donner. Dabei haben sie in der Nacht hier noch an den Fenstern
       gestanden, weil es zwei Mal nahe laut gerumst hat. „Tank, Tank“, riefen
       einige. Die Panzer, die Panzer. Danach wieder nur das normale Grummeln im
       Hintergrund, und schlafen muss man ja trotzdem.
       
       Dienstag, Nachmittag: Krieg ist ein Geräusch. Es nervt einfach nur.
       „Geradeaus fahren“, quäkt die Frauenstimme auf Ukrainisch, „geradeaus
       fahren.“ Geht aber nicht, Du blöder Computer! Die Straße nach
       Konstjantyniwka hatte mal eine Brücke, aber die ist Schrott.
       Navigationssysteme wissen nichts von Bomben und Raketen. Ein umgestürztes
       Schild, weißer Pfeil auf Blau, zeigt auf eine Ruckelpiste, den Fahrdamm
       hinunter, neben einem Feld lang und dann wieder Asphalt.
       
       Der Soldat am Checkpoint ist ein Fallschirmjäger und eindeutig
       überqualifiziert für den Job, sagt er. Er ist der Einzige, der endlich mal
       meinen Pass sehen will. Dafür aber besonders lange. In Konstjantyniwka ist
       die Brücke auch kaputt. „Geradeaus fahren.“ Ein junger Mann erklärt uns,
       wie wir nach Slowjansk kommen. So lange, dass wir am Ende vergessen haben,
       wie seine Wegbeschreibung angefangen hat. Wir nicken trotzdem und fahren
       weiter.
       
       ## Metallisches Stottern
       
       Mittwoch, Morgen: Krieg ist ein Satz. „Sie haben einen Journalisten
       umgebracht.“ „An der Front?“, frage ich. Müsste ich davon nicht gehört
       haben, irgendwie? „Nein hier in Kiew“, sagt die junge Frau, die gerade mit
       mir in dem großen Haus lebt, in dem ich immer wohne, wenn ich in Kiew bin.
       Alle anderen Mitbewohner sind beim Filmfest in Odessa. Ich lese die
       Nachrichten. Pawel Scheremet heißt der Tote. Oder hieß?
       
       Auf Facebook schreibt ein Kommandeur aus Awdijiwka, ihm fehlten die Worte.
       Er glaubt, es sei die russische Regierung gewesen. Aber die Auswahl an
       Schurken, mit denen sich Scheremet angelegt hat, ist groß. Ukrainische
       Oligarchen, der weißrussische Diktator Lukaschenko. Er lebte mit der Chefin
       des Internetportals Ukrainska Prawda, Olena Prytula, zusammen. Ein
       Journalist sagt, ihn erinnere die Tat an die Ermordung des Gründers der
       Ukrainska Prawda, Heorhij Gongadse. Auch der sei mit Olena Prytula zusammen
       gewesen, vielleicht wolle man sie fertig machen. Keine Ahnung. Ich am
       allerwenigsten.
       
       Am Sonntag fliege ich zurück.
       
       23 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Schulz
       
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