# taz.de -- Unter Leuten am Kottbusser Tor: Sie machen sich Sorgen um die Türkei
       
       > In der Nacht zu Samstag gingen 3000 Menschen an der türkischen Botschaft
       > in Berlin für Präsident Erdoğan auf die Straße. Wie denkt man am Kotti
       > über den Putschversuch?
       
 (IMG) Bild: Bis vor Kurzem galt der Kotti als gefährlichster Ort. Heute zeigt er sich eher besorgt
       
       Rund 3.000 Demonstranten und Demonstrantinnen versammelten sich in der
       Nacht zu Samstag vor der türkischen Botschaft in Berlin nach dem Aufruf von
       Präsident Erdoğan, auf die Straßen zu gehen und gegen den Putschversuch in
       der Türkei zu protestieren. 3.000; mitten in der Nacht. Grund genug, sich
       einmal selbst ins Getümmel der größten türkischen Stadt außerhalb der
       Türkei zu stürzen – sich am Kottbusser Tor umzuhören beispielsweise, einem
       der Zentren des türkischen Lebens hier.
       
       Bis vor Kurzem galt der Kotti noch als einer der gefährlichsten Orte der
       Stadt. In den Medien wurde breit berichtet, wie Dealerei und
       Taschendiebstähle zugenommen haben. Und selten fehlte der Hinweis, wie
       konservative Gastronomen mit türkischem Migrationshintergrund härtere
       Strafen für Diebe forderten, die ihrer Meinung nach oft nordafrikanischen
       Migrationshintergrund hatten. Doch an diesem Nachmittag findet sich kein
       einziger Gastronom, der härtere Strafen für irgendjemanden fordern würde.
       Alle sind schockiert von dem, was in den letzten Tagen passiert ist in der
       Türkei. Alle zeigen sich noch schockierter von Erdoğans Ansage, er wolle
       die Todesstrafe wiedereinführen, wenn das Volk dies verlange.
       
       „Erdoğan ist ein türkischer Hitler“, sagt ein Mann in den Vierzigern mit
       dünnem Schnauzbart und brauner Wildlederjacke, der gerade mit zwei Freunden
       vor einer Bäckerei Tee trinkt und seinen Namen nicht in der Zeitung lesen
       will. „Vor drei Jahren noch nannte er alle Gauner, die für mehr Demokratie
       in der Türkei auf die Straße gegangen sind“, fügt er an. „Jetzt fordert er
       plötzlich das Volk auf, für ihn auf die Straße zu gehen.“ Und schließlich:
       „Die Türken, die an Erdoğan glauben, sind doch nicht mehr ganz dicht. Sie
       haben sich ganz einfach kaufen lassen.“
       
       Der Himmel ist grau am Kotti an diesem Montagmittag, und keiner, der heute
       bereit ist zu sprechen, freut sich über das, was gerade in der Türkei
       passiert.
       
       Ein Mann um die dreißig sagt, er mache sich Sorgen um die Zukunft des
       Landes. Ein Mann um die fünfzig meint, er habe sein Land schon aufgegeben,
       als er wegmusste, vor 30 Jahren. Nun fühlt er sich nur noch in seiner
       Meinung bestätigt. Eine Frau um die zwanzig schimpft empört, denn
       eigentlich liebe sie ihr Land, erklärt sie, eigentlich habe sie auch in
       diesem Sommer wieder ihre Familie besuchen wollen. „Aber ich kann mich doch
       nicht in Gefahr begeben!“
       
       Sie alle sind sich ganz sicher, dass Erdoğan wusste, was Teile des Militärs
       geplant hatten. Dass der Putsch vielleicht nicht inszeniert war, dass er
       ihn aber für seine Zwecke missbraucht hat.
       
       Ist es Zufall? Hätte man noch einmal den Kiez wechseln sollen, bestimmte
       Moscheen besuchen, bestimmte Vereine? Vielleicht. Aber irgendwie ist es
       auch sehr beruhigend, dass heute am Kotti alle gegen Erdoğan sind.
       
       18 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Messmer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
 (DIR) Recep Tayyip Erdoğan
 (DIR) Putschversuch
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Rätselhafte Revolte in der Türkei: Ich wusste es!
       
       Nach dem Putschversuch blühen Verschwörungstheorien – auch weil die
       türkische Regierung seit Jahren deren größter Produzent ist.
       
 (DIR) Kommentar Zukunft der Türkei: Der Putsch nach dem Putsch
       
       Die säkulare türkische Republik ist Geschichte. Was kommt jetzt? Eine neue
       Verfassung mit einem allmächtigen Präsidenten.
       
 (DIR) Türkei-Experte Günter Seufert: „Die Zeit der Putsche ist vorbei“
       
       Die Putschisten wollten wohl einer Säuberungsaktion zuvorkommen. Militär
       und Regierung müssen sich neu arrangieren.
       
 (DIR) Putschversuch in der Türkei: Totenstille und Kriegslärm
       
       Als der Putsch droht, sind sich alle politischen Lager plötzlich einig.
       Protokoll einer Nacht, in der alles möglich schien.