# taz.de -- Zum Tod von Rupert Neudeck: Der unermüdliche Aktivist
       
       > Andere haderten, Rupert Neudeck handelte einfach: Er gründete Cap Anamur
       > und half Tausenden. Jetzt ist der radikale Humanist gestorben.
       
 (IMG) Bild: Politische Strukturen waren ihm nie besonders wichtig. Es zählte das individuelle Schicksal
       
       Es sagt eine Menge über Deutschland aus, dass hierzulande seit Jahren immer
       wieder darüber diskutiert wird, ob Helmut Kohl oder Angela Merkel nun
       vielleicht doch – endlich, endlich – den Friedensnobelpreis erhalten. Und
       dass über Rupert Neudeck in diesem Zusammenhang nicht einmal geredet wurde.
       Er hat ihn ja auch nicht bekommen. Was schade ist. Denn er hätte ihn
       verdient.
       
       Um zu dieser Einschätzung zu kommen, muss man weder die politischen
       Analysen des Aktivisten teilen noch sein berufliches Selbstverständnis.
       Schon gar nicht Letzteres. „Umstritten“ ist noch ein freundliches Wort für:
       Meint der das ernst? Das kann er doch nicht ernst meinen!
       
       Es war stets einfach, sich über Rupert Neudeck lustig zu machen – und
       manchmal der einzige Weg, um nicht zu explodieren. Wenn der Kollege vom
       renommierten Deutschlandfunk in einem anderen Sender zehn Minuten vor der
       Livesendung mit einem Kommentar auftauchte, der nur aus Stichworten
       bestand, dann war es ziemlich egal, ob er gerade die Welt rettete. Wenn er
       darauf hingewiesen wurde, dann lächelte er, ein wenig beschämt, und verwies
       auf seine Arbeit in der Flüchtlingshilfe.
       
       Eindrucksvoll, in der Tat. Aber wir gehen gleich auf Sendung. Vorschläge?
       Nicht wirklich. Ein sanftes Lächeln war die Antwort.
       
       ## Matratzen waren Luxus für ihn
       
       Auch im Hinblick auf das, was professionelle Arbeit in einer humanitären
       Organisation bedeutet, war Rupert Neudeck nicht unumstritten. Zu Recht
       nicht. Alles für die Notleidenden, so wenig wie möglich für Verwaltung.
       Klingt großartig, klingt vor allem für die Leute immer großartig, die
       meinen, Verwaltung sei doch prinzipiell überflüssig. Der Wunsch zu helfen
       genüge.
       
       Dieser Wunsch genügt im Regelfall nicht. Es ist wenig sinnvoll, wenn
       Helferinnen und Helfer vor Übermüdung nicht mehr aus den Augen schauen
       können, weil sie keine Matratze haben. Rupert Neudeck gehörte zu denen, die
       meinten, der gute Wille allein genüge. Matratzen seien Luxus.
       
       Keine Frage: Er selbst lebte auch nach dieser Maxime. Unvergessen, wie er
       auf das Fax-Gerät in seiner Küche deutete und sagte, mehr brauche es nicht,
       um Flüchtlinge – und somit Menschenleben – zu retten. Wieso ein Büro? Wofür
       Angestellte? Seine Frau Christel und die Kinder wüssten, wie sich das Gerät
       bedienen ließ. Das genüge doch.
       
       Er war der Mann für schlichte Lösungen. Krise, Massaker? Wenn jemand
       gebraucht wurde, der angesichts einer humanitären Krise nach
       Militärinterventionen rief – so einfach, so problematisch –, dann war er
       ein guter Talkshowgast. Auch deshalb, weil er erkennbar immer an das
       glaubte, was er sagte.
       
       Politische Strukturen waren Rupert Neudeck nie besonders wichtig.
       Jedenfalls nicht so wichtig wie individuelle Schicksale. Mit genau diesem
       Ansatz war er erfolgreich. Spektakulär erfolgreich.
       
       Der Aktivist – wenn es das Wort nicht schon gäbe, es müsste für ihn
       erfunden werden! – war, wie ein Kollege einmal sagte, „die lebende
       Antithese zur Professionalisierung humanitärer Hilfe“. Wohl wahr. Das hat
       seine Vorteile, das hat seine Nachteile.
       
       ## Er schaute persönlich nach
       
       Rupert Neudeck ist es gelungen – und deshalb hätte er den
       Friedensnobelpreis eben verdient –, einer breiten Öffentlichkeit zu
       vermitteln, dass hinter den Problemen allgemeiner Strukturen viele, viele
       individuelle Schicksale stehen. Er interessierte sich für jeden und jede
       Einzelne. Und war deshalb imstande, einer skeptischen Bevölkerung zu
       erklären, dass Vietnamesen und Ruanderinnen nicht ganz so weit entfernt von
       uns leben, wie wir gern glauben wollen.
       
       Rupert Neudeck ist es gelungen, uns jede Krise nahezubringen. Weil sie ihm
       selber naheging. Was auch daran lag, dass er – wann immer möglich –
       persönlich nachschaute. Wie ist die Lage vor Ort, was kann man tun, was
       nicht. So viel Engagement zahlt sich aus. In der kostbaren Münze
       „Glaubwürdigkeit“.
       
       1979 hatte Neudeck zusammen mit dem Schriftsteller Heinrich Böll die
       Organisation „Ein Schiff für Vietnam“ gegründet, die mehr als 10.000
       Flüchtlinge aus Seenot rettete. Drei Jahre später wurde daraus die
       Hilfsorganisation „Komitee Cap Anamur.“ Die weltweit aktiv war und ist –
       und noch immer viele Menschen rettet.
       
       Nein, man muss nicht in jedem einzelnen Punkt mit ihm übereinstimmen, um zu
       sagen: Der Tod von Rupert Neudeck ist ein schwerer Verlust. Gerade jetzt,
       gerade, wo überall in der westlichen Welt neue Mauern hochgezogen werden.
       Er hat nie Mauern zwischen Menschen gebaut – im Gegenteil.
       
       31 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Gaus
       
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