# taz.de -- Kolumne Hier und dort: Im Schatten des Maulbeerbaumes
       
       > In einem deutschen Garten scheint meine Kindheit in Syrien ganz nah – und
       > der Krieg in meinem Heimatland so weit weg zu sein.
       
 (IMG) Bild: Ich liebte es, auf dem Boden zu sitzen, den Kopf gegen einen der Stühle gelehnt
       
       Drei Tage lang durfte ich die Gastfreundschaft einer deutschen Familie
       genießen. Sie bestand aus einem älteren Ehepaar, dessen großes Haus es von
       seinen Dimensionen her leicht mit dem Domizil einer syrischen Großfamilie
       hätte aufnehmen können.
       
       Sie wohnten dort alleine, seitdem ihre beiden Töchter jeweils eigene
       Familien gegründet hatten und nur noch an manchen Wochenenden oder an den
       Feiertagen zusammen mit den Schwiegersöhnen und Enkeln zu Besuch kamen.
       
       Ich genoss es sehr, zusammen mit ihnen Fotos von der Familie anzuschauen.
       Nach einiger Zeit brachte sich die Großmutter mit ihrem Fotoapparat in der
       Hand vor mir in Stellung, um ein paar Fotos von mir zu machen.
       
       Ich stellte mir vor, wie sich die Szene in ähnlicher Art abgespielt haben
       musste, als ihre beiden Töchter noch da waren. Ob ich für sie womöglich
       auch schon so etwas wie eine Tochter war? Noch ganz gerührt von dem
       Gedanken spazierte ich durch den schönen Garten ihres Hauses, in dessen
       Pflege die beiden ganz offensichtlich einen Großteil ihrer Zeit steckten.
       
       ## Korbstühle
       
       Entlang des Verbindungsweges zwischen dem Gartentor und dem Hauseingang
       verlief ein aus kleinen, akkurat übereinandergeschichteten braunen Steinen
       errichtetes Mäuerchen. Jene Steine versetzten mich zurück in die
       Vergangenheit und ich sah mit einem Mal den Garten meiner Großeltern vor
       mir.
       
       Ich war wieder das Kind, das seiner Großmutter dabei zuschaute, wie sie aus
       bunt bestickten Kleiderresten kleine Sitzkissen nähte, die als Polster für
       unsere Korbstühle dienten. Jedes für sich war wunderschön, fast so wie ein
       Gemälde.
       
       An freien Tagen wimmelte es vor dem Haus unter dem stattlichen Maulbeerbaum
       nur so von Stühlen. Die ganze Familie scharte sich dort um einen großen
       Esstisch: Großvater und Großmutter, Onkel und Tanten, die Enkelkinder. Es
       war ein geheiligtes Ritual, freie Tage waren Familientage.
       
       Ich liebte es, auf dem Boden zu sitzen, den Kopf gegen einen der Stühle
       gelehnt, dabei den Duft der Lorbeerseife einatmend, mit der meine
       Großmutter die Wäsche wusch. Von den Sitzkissen ausströmend, stieg mir
       dieser Geruch nach und nach in die Nase.
       
       ## Lorbeerseife
       
       Meine Großmutter starb und die Sitzkissen fransten aus. Niemand trug mehr
       solche bunten Kleider wie sie oder nähte Sitzkissen für Stühle oder
       benutzte Lorbeerseife zum Wäschewaschen.
       
       Dann starb auch mein Großvater. Die Onkel und Tanten wurden nun selbst zu
       Großvätern und Großmüttern. Die Enkel waren erwachsen geworden. Doch der
       Krieg verstreute sie in alle Richtungen. Die einen verloren ihr Leben, die
       anderen landeten im Gefängnis oder flohen aus dem Land.
       
       Sie wurden zu Flüchtlingen, wie ich einer bin, mussten alle möglichen
       Strapazen und Nöte auf sich nehmen, auf der Suche nach einem Lebensweg,
       nach einer neuen Familie, nach Sicherheit und Frieden und in ständiger
       Sorge um die geliebten Menschen, die sie in der Hölle des Krieges
       zurücklassen mussten. All dies, während das Leben hier weitergeht,
       unberührt von dem, was dort geschieht.
       
       Übersetzung: Rafael Sanchez
       
       11 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kefah Ali Deeb
       
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