# taz.de -- Kolumne Liebeserklärung: Idomeni, wunderschöner Schandfleck
       
       > Das Flüchtlingscamp an der griechisch-mazedonischen Grenze ist
       > Geschichte. Das europäische Versagen dauert an – anderswo.
       
 (IMG) Bild: Dinge, die in Idomeni liegengeblieben sind. Das Lager ist geräumt worden
       
       Erbarmungslos walzen dich gelbe Bagger platt. Ihre Schaufeln reißen die
       Zelte ein, die wie kleine bunte Perlen aus deinem staubigen Boden
       gesprossen waren. Sie wühlen sich durch den schimmernden Schlamm, in dem in
       diesem Frühjahr ganz Europa versunken ist. Oh, liebes Idomeni, in ein paar
       Tagen bist du Geschichte.
       
       Europa will dich nicht mehr sehen. Deine Neugeborenen, die im kalten Wasser
       deiner Pfützen gewaschen werden. Deine Männer, die mit bloßen Händen an den
       Zäunen aus Natodraht rütteln. Die dabei verzweifelt um die Öffnung der
       Grenze flehen. Und auch nicht deine Frauen, die nachts ganz nah an ihre
       Kinder rücken, damit die kleinen Körper nicht auskühlen.
       
       Dabei bringen uns die Nachrichten nicht einmal deinen Geruch ins
       Wohnzimmer. Dein Bouquet aus verbranntem Plastik, Schweiß und Fäkalien, das
       sich in den Haaren festsetzt.
       
       Jetzt macht dich Europa unsichtbar, bringt deine Menschen weg. Macht
       Versprechungen und bricht sie. Spricht von Häusern mit festen Wänden, Strom
       und Wasser, das nicht unter die Schlafsäcke fließt, sondern aus dem Hahn.
       Bringt deine Menschen doch wieder in Zelten unter, nur anderswo. Weit weg
       von dir.
       
       Oh, Idomeni, du wunderschöner Schandfleck. Europa konnte die Augen nicht
       von dir lassen. Konnte nicht länger leugnen, dass seine Grenzen Leben
       zerstören. Dass das Leben bei uns nicht für alle lebenswert ist. Dass wir
       versagen.
       
       Oh, Idomeni, ich werde dich vermissen. Deinen Dreck, dein Elend, deine Not.
       Sonst ist es versteckt, das Leid. In Unterkünften hinter hohen Zäunen, in
       alten Kasernen und Baracken. Aber es ist da. Du hast uns gezwungen,
       hinzusehen und zu handeln.
       
       Aber es muss weitergehen – auch ohne dich. Ich hoffe, du verstehst das. Ich
       hab’ eine Neue. Sie ist jünger als du. Liegt an der serbisch-ungarischen
       Grenze. Spiegel Online nennt sie „Europas neues Elendslager“. Jetzt
       sprießen die bunten Perlen aus ihrem Boden. Nur ihr Name klingt nicht so
       schön wie deiner. Röszke.
       
       27 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andrea Scharpen
       
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