# taz.de -- Flüchtlinge in Griechenland: Kochen lernen bei Kamran
       
       > Im Athener Stadtteil Exarchia leben Flüchtlinge und Hausbesetzer
       > zusammen. Die Behörden kümmern sich nicht mehr um die Geflüchteten.
       
 (IMG) Bild: Graffito im Athener Stadtteil Exarchia
       
       Athen taz | „Nachts muss immer einer Wache halten, in letzter Zeit fliegen
       immer mal wieder Molotowcocktails von Rechten.“ Andreas steht vor dem
       besetzten Gelände der Polytechnischen Universität in Athen. Seit über fünf
       Monaten teilt der 24-jährige Berliner seine Unterkunft in einem der
       besetzen Häuser im autonomen Athener Stadtteil Exarchia mit Flüchtlingen.
       „Wir haben ihre Zelte auf dem Viktoriaplatz gesehen und dachten: Eigentlich
       haben wir doch Platz.“
       
       Seitdem wohnen etwa 150 Migranten in dem klassizistischen Unigebäude,
       zwischen besprayten Säulen und anarchistischen Bannern mit Aufschriften wie
       „Nieder mit Brüssel“. „Das hier ist kein Flüchtlingscamp, es ist ein
       besetztes Haus, in dem Menschen aus verschiedenen Ländern zusammenleben“,
       erklärt Andreas.
       
       Mehr als 5.000 Flüchtlinge leben in der griechischen Hauptstadt, viele von
       ihnen haben in direkter Nähe zum Regierungssitz ihre Zelte aufgeschlagen.
       Während Polizei und Behörden überfordert zuschauen, übernehmen Autonome und
       Anarchisten die Versorgung und Unterbringung. Sie nutzen dafür die besetzen
       Häuser in Exarchia, die sich seit den Anti-EU-Protesten 2015 unter ihrer
       Kontrolle befinden.
       
       Der Stadtteil wurde schon einmal zum Symbol des Versagens der griechischen
       Regierung. 2008 erschossen Polizisten hier den 15-jährigen Schüler
       Alexandros Grigoropoulos, dessen Tod zum Auslöser landesweiter Proteste
       gegen die Regierung und ihre Finanzpolitik mit der EU wurde.
       
       ## Architekturstudenten und Flüchtlingskinder
       
       „Seit den Protesten traut sich die Polizei nicht mehr in dieses Viertel.
       Wir organisieren uns selbst“, erklärt Andreas, während er mit einigen
       Flüchtlingen in der Frühlingssonne steht. Immer wieder schlängeln sich
       hippe Architekturstudenten mit ihren Modellen durch spielende
       Flüchtlingskinder über den Innenhof zu ihrer Fakultät, die direkt nebenan
       liegt.
       
       Auch die Flüchtlinge mussten sich anpassen. „Manche waren am Anfang
       skeptisch. Das war nicht, wie sie sich Europa vorgestellt haben.“ Doch was
       auf den ersten Blick wie eine Szene aus einem Spielfilm wirkt, ist längst
       griechische Realität geworden.
       
       Chris, der als freiwilliger Helfer aus Liverpool anreiste, lernt gerade
       kochen. Sein Lehrer heißt Kamran und kam vor einigen Wochen aus dem Irak.
       „Als ich ihn das erste Mal traf, hätte der Junge ein Ei zum Kochen in die
       Mikrowelle gelegt“, berichtet Kamran. Er avancierte schnell zum Chefkoch.
       „Jetzt kann er vegan kochen“, berichtet er stolz, während sein Schüler
       Chris Gemüse in die Kammer einsortiert.
       
       Kamran verließ den Irak, weil er von der Regierung verfolgt wurde. „Ich
       hatte einen Protest gegen das versiffte Trinkwasser mitorganisiert, deshalb
       war ich im Gefängnis. Seitdem stehe ich bei der Polizei auf der
       Abschussliste.“ Jeden Tag melden sich neue freiwillige Helfer aus aller
       Welt bei ihm am Hauseingang. „Manche bleiben nur einen Tag. Aber wir reden
       jedes Mal, während das Essen kocht.“
       
       Er wird auch weiterhin dreimal täglich in der Küche stehen. Denn seit das
       EU-Türkei-Abkommen in Kraft getreten ist, führt der einzige legale Weg nach
       Europa über die Türkei. Da bleibt er vorerst in Athen. „Vielleicht geht
       irgendwann doch wieder die Grenze auf. Wenn nicht, dann bleibe ich eben
       hier. Ich tue etwas Nützliches.“
       
       Um sich auf die Umsetzung des EU-Türkei-Abkommens zu fokussieren, haben die
       Behörden in Athen längst kapituliert. Sie kommen ihrem Auftrag,
       Schutzsuchenden Sicherheit und Verpflegung zu bieten, nicht mehr nach. Dass
       dies jetzt diejenigen übernehmen, die vor wenigen Monaten gegen die
       Regierung protestiert haben, sagt viel aus über die griechische Politik. Es
       zeigt aber auch, wie sich trotz kultureller Unterschiede Brücken bauen
       lassen.
       
       25 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Paul Ostwald
       
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