# taz.de -- Zu Besuch in Leicester: Sie sind total blau
       
       > Seit Leicester City die englische Meisterschaft gewonnen hat, ist die
       > Stadt wie im Rausch. Ein Besuch in der neuen Metropole des Fußballs.
       
 (IMG) Bild: Foxes-Fans in Leicester
       
       Leicester taz | Vor der sogenannten Sporterfolgsstatue im Zentrum der
       mittelenglischen Stadt Leicester, in der die drei populärsten Sportarten
       Rugby, Kricket und Fußball verewigt worden sind, stehen zwei junge Männer
       in blauen Trikots. Der Englischlehrer in Ausbildung, Adil Waraich, 29 Jahre
       alt, filmt, während sein jüngerer Cousin, Abdullah Waraich, 17, Passanten
       ein Mikrofon vor die Nase hält. Auf YouTube wollen sie ihr Material
       veröffentlichen, „damit die ganze Welt weiß, was hier in Leicester
       abgeht!“, erklärt Abdullah.
       
       Es geht eine Menge ab in der Stadt nördlich von London. Der Fußballclub
       Leicester City ist ja kürzlich [1][englischer Meister geworden], das erste
       Mal in seiner Geschichte. Die Chance auf einen Gewinn der Premier League
       lag vor der Saison bei 5000:1. Leicesters Umsatz und sein Gehaltsgefüge
       sind nicht vergleichbar mit Teams wie Arsenal oder Manchester United.
       
       Seit einer guten Woche wird nun ununterbrochen in Leicester gefeiert. Es
       begann mit einem Aufruf an alle Geschäfte Leicesters, die Vereinsfarbe Blau
       zu zeigen. Die Stadt verfiel daraufhin in einen Rausch mit Straßenfeiern
       überall, mit Freibier und Gratisessen bis in die frühen Morgenstunden. Auch
       Tage danach torkeln immer noch Betrunkene singend durchs Stadtzentrum.
       
       „Normalerweise feiern die Stadtgemeinschaften ihre Feste voneinander
       getrennt, doch diesmal waren wir alle in einem Fest vereint“, schwärmt
       Adil. Sogar die lokale Hare-Krishna-Gruppe lud zur Meisterparty ein,
       genauso wie Prinya Chotalia, 30, und Kaushika Cholhan, 32, Freunde zu sich
       nach Hause luden. Gingen ihre Ehemänner diese Saison oft allein zum
       Fußball, denken jetzt beide daran, sich für die nächste Saison Jahreskarten
       zu holen und die Kinder dabei auch noch mitzunehmen: „Dann können sie schon
       früh zu Fans werden.“
       
       Ehepaar Andy, 56, und Linn, 63, sind hingegen seit 48 Jahren dem Verein
       treu, und haben bisher noch nie so etwas erlebt. „Unsere Mitgliedsbeiträge
       sind hiermit endlich beglichen“, sagen sie.
       
       ## „So genial gespielt“
       
       Aber nicht nur waschechte Fans sind vom Erfolg begeistert. Im
       Real-Madrid-Trikot gesteht John Webster 33, dass er eine Schwäche für
       Leicester City, die Foxes, habe, „weil sie so genial gespielt haben“, und
       er sein Leben lang in Leicester lebt. Viele in Leicester hätten, wie er,
       aufgrund der permanenten Flaute des Vereins andere Mannschaften
       unterstützt. Doch laut Alex Candela, einem der begehrtesten Tatookünstler
       der Stadt, hat dies nun ein Ende. „Wir mussten dieses Jahr mehrere
       Fuchs-Tatoos, und Leicester-Wappen machen“, sagt Webster und zeigt auf die
       Bilder, die seine schönsten Arbeiten zeigen.
       
       Candela ist nicht der einzige Künstler, der vom Fußballboom betroffen ist.
       Auf die neuen Kirchenfenster der Kathedrale, die zur neuen Ruhestätte der
       sterblichen Überreste von Richard III. wurde, sollte Glasmaler Thomas Denny
       die Geschichte des 1485 verstorbenen Königs verewigen. Als diese Fenster am
       24. April enthüllt wurden, konnte man in einem der kleineren Fenster über
       einen kleinen Fußball staunen. Manche glauben, der gute Geist Richards
       schwebt nun über der Stadt.
       
       Der 53-jährige David Chatwani spricht auch von diesem Geist. 29 Jahre lang
       führte er ein Geschäft mit allerlei Sportartikeln am Rande des Stadtmarkts.
       Seit einer Woche hat er nur noch die Produkte Leicester Citys im Angebot –
       und ist offiziell als Fanshop anerkannt. Die Trikots der Saison 2016/2017
       sind jedoch bereits alle ausverkauft. Sein Umsatz war in diesem Jahr 20-mal
       so hoch wie im Vorjahr und das trotz der Tatsache, dass das
       Leicester-Outfit nicht besonders teuer gewesen ist.
       
       ## 2.000 Fanschals pro Woche
       
       Wie groß die Nachfrage nach Fanartikeln war, beweist auch das Beispiel von
       Park Lane Strickwaren, welche die Fanschals herstellen. „In der letzten
       Saison fertigten wir 3.000 Schals pro Jahr an, derzeit sind es 2.000 pro
       Woche“, erzählt Mitbesitzer Sean Marsh. Der kleine Familienbetrieb kennt
       seit dem Erfolg des Vereins keinen Ruhetag mehr und arbeitet sieben Tage
       die Woche durch.
       
       In der Stadtmitte feiern auch ein Chocolatier und der Besitzer einer
       Gelatobar den Erfolg der Fußballer mit. So gibt es im Cocao Amore, der
       einzigen Chocolaterie der Stadt, handgemachte Schokoladenfußbälle und
       Pralinen mit Biergeschmack. Und das Gelatto Village um die Ecke führt
       „Gelato Dei Campioni“, das Eis der Champions. Auch hier stehen die Leute
       Schlange, ja gelegentlich schaut auch Leicester-Coach Claudio Ranieri beim
       italienischen Geschäftsinhaber vorbei. Ein Juwelier ist seit zwei Jahren
       Sponsor und damit Leicester Citys offizieller Juwelier. Im Schaufenster
       glitzern blaue Edelsteine und sind wohl das ultimative Geschenk für liquide
       Fußballfans.
       
       Bürgermeister Peter Soulsby, 67, findet, das Fußballteam repräsentiere den
       Charakter der Stadt, sei ohne großes Ego und vielfältig. Nur 45 Prozent der
       Einwohner Leicesters sehen sich als „weiß und britisch“. Etwa 25 Prozent
       sind indischer oder pakistanischer Abstammung. „Wir konzentrieren uns auf
       das Gemeinsame. Mit dem Erfolg der Füchse sowie den Leicester Tigers, die
       bereits zehnmal die Rugbyliga gewonnen haben, ist Leicester endlich wieder
       auf der Landkarte“, freut sich der Bürgermeister, der sein erstes
       Foxes-Spiel 1969 gesehen hat.
       
       ## „Forza Azzurri“
       
       Überall, selbst in den kleinsten Läden, hängen nun Leicester-City-Poster
       oder blaue Fahnen. Ein italienischer Friseur hat im Zentrum eine
       gigantische italienische Fahne aufgehängt, auf der die Worte „Forza
       Azzurri“ stehe – eine Huldigung an den italienischen Trainer. An
       Straßenlaternen hängen überall Bilder der Fußballprofis, nachts werden
       Gebäude blau angestrahlt. Ein Geschäft für Brautmode hat seit Neuestem
       blaue Brautkleider im Sortiment. Heirat in blauem Tüll, so etwas gibt es
       derzeit wohl nur in Leicester.
       
       Am kommenden Montag gibt’s dann noch mal eine offizielle Meisterfeier, samt
       Bustour des Teams durch die ganze Stadt und einer großen Bühnenshow. Doch
       nicht alle sind darüber glücklich. Schon jetzt hat die Stadt Warnmeldungen
       an die lokale Presse verschickt, in denen um Vernunft beim Feiern gebeten
       wird. Letzten Samstag gab es nämlich doppelt so viele Patienten in der
       Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses.
       
       15 May 2016
       
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