# taz.de -- Diskussion um bargeldlose Zukunft: Was für eine Scheindebatte
       
       > Sind wir auf dem Weg in eine Welt ohne Bargeld? Und was droht, wenn
       > Scheine und Münzen abgeschafft werden? Vier taz-RedakteurInnen über Geld.
       
 (IMG) Bild: Wenn ich jedes U-Bahn-Ticket, jede Currywurst und jede Socke mit meiner Geldkarte bezahlen muss, kann der Staat ein lückenloses Bewegungsprofil erstellen
       
       ## Das ist gruselig
       
       Ich habe eine Aversion gegen Schnüffelei. Früher kramte die Stasi in meinem
       Leben herum. Seit dem Mauerfall ist mein Alltag stasifreie Zone. Trotzdem
       fühle ich mich beschnüffelt.
       
       Neulich auf der Bank. Die Schalterfrau fragte, ob ich nicht einen Kredit
       bräuchte. Sie druckte meinen Umsatz aus, kommentierte meine Einnahmen und
       spekulierte über die Ausgaben. Und sagte: „Super Scoring.“
       
       Eine Frau, die ich nicht kenne, weiß Dinge über mich, die ich selber nicht
       weiß. Das ist gruselig. Um zu vermeiden, dass jede Bankangestellte erfährt,
       wo ich meine Schlüpfer kaufe und ob ich genug Obst esse, bezahle ich die
       meisten Dinge meines täglichen Bedarfs mit Bargeld. Es geht niemanden etwas
       an, ob ich abends drei Flaschen Jägermeister wegsaufe oder mir
       Hardcore-Pornos reinziehe.
       
       Das erfahren aber viele Leute, wenn es kein Bargeld mehr gibt: irgendwelche
       Heinis vom Finanzamt, vielleicht die Krankenkasse, mein Handyanbieter.
       Hysterischer Quatsch? Schon jetzt sind die Daten jeder Person über 50-mal
       gespeichert: Polizei, Rentenkasse, Autoversicherung. Harmlose
       Institutionen.
       
       Das wird sich ohne Bargeld ändern. Wenn ich jedes U-Bahn-Ticket, jede
       Currywurst und jede Socke mit meiner Geldkarte bezahlen muss, kann der
       Staat ein lückenloses Bewegungsprofil erstellen. Dann bin ich nicht nur
       privat gläsern. Dann ist auch jede politische Aktivität unter staatlicher
       Kontrolle. Und das hat noch nicht einmal die Stasi geschafft.
       
       SIMONE SCHMOLLACK 
       
       * * * 
       
       ## Der anonyme Reichtum
       
       Große Mengen Bargeld sind wie Prostitution: Die Fälle, in denen sie der
       Menschheit Gutes tun, muss man schon mit der Lupe suchen – und doch finden
       sich für beide Phänomene Verteidiger im Namen der Freiheit. Dahinter steckt
       im besten Fall die Furcht vor einem Staat, der eh schon zu viel weiß und
       vorgeben will. Diese Furcht ist so berechtigt wie manch andere auch, etwa
       die vor Waffen, die ja beides können: Leben vernichten und Leben retten.
       
       Bei uns etwa ist das Führen von Messern rigiden Regeln unterworfen. Ein
       allgemeines Tempolimit beim Führen eines deutlich effektiveren Mordgeräts
       einzuführen, gilt hingegen als unzumutbare Einschränkung.
       
       Wer große Mengen Geld besitzt oder in Umlauf bringt – was groß meint, muss
       die Gesellschaft gemäß ihrer Vorstellung von einem harmonischen
       Zusammenleben entscheiden –, sollte nachweisen müssen, wie er zu ihnen
       gekommen ist. Tatsächlich ist es aber so: Bei den Zahlen zur
       Vermögensverteilung in Deutschland werden Haushalte über 18.000 Euro
       Monatseinkommen gar nicht erst erfasst. Reichtum ist anonym, eine
       Vermögenssteuer brächte wenigstens mal eines: Auskunft über die
       Verhältnisse.
       
       Wer solches Streben nach Transparenz, zu der die Begrenzung des
       Bargeldverkehrs ein diskussionswürdiger Schritt ist, dem gegenüber
       Sentimentalität oder Freiheitsbeschwörungen blass aussehen, ablehnt, sollte
       aber einfach tun dürfen, wonach ihm ist: Das fällige Bußgeld kann er dann
       ja bar bezahlen.
       
       AMBROS WAIBEL 
       
       * * * 
       
       ## Das slowenische Abenteuer
       
       „Ihr Kassenbon, Ihr Kassenbon!“ Die Verkäuferin war aus ihrem Kassenkabuff
       geradezu herausgefallen und lief mir mit dem kleinen Zettel wedelnd
       hinterher. Ach ja, der Kassenbon. Seit dem Jahreswechsel verlangt die
       slowenische Regierung, dass jedes Geschäft, vom Obststand am Markt bis zum
       Discounter, direkt mit dem Finanzamt verbundene Registrierkassen verwendet.
       
       Zur Vorbeugung des Steuerbetrugs diene die Maßnahme hieß es, Mehreinnahmen
       von 75 Millionen Euro versprachen sich die Behörden schon im ersten Jahr.
       Teil der Regularien ist die Pflicht, nach jeder Transaktion einen
       zertifizierten Kassenbon auszugeben, den KundInnen tatsächlich mit sich zu
       führen hätten.
       
       Den Bon also musste ich mitnehmen, sonst würde die Verkäuferin vermutlich
       von verrohten Finanzbeamten gerädert und ich müsste die Urlaubskasse dem
       slowenischen Staatshaushalt zuführen. Immerhin darf noch Bargeld verwendet
       werden. Sonst wüssten gleich alle, inklusive des ideellen Gesamthackers,
       dass ich rauche, zu wenig Gemüse esse und Laško statt Union-Bier trinke,
       obwohl das in Ljubljana als unschicklich gilt.
       
       Das mit den Steuermehreinnahmen hat übrigens nicht geklappt, im ersten
       Quartal sind die versteuerten Umsätze des Einzelhandels in Slowenien um gut
       ein Prozent gesunken.
       
       „Jetzt nehmen Sie doch in Gottes Namen Ihren Kassenbon.“ Die Frau zwang
       sich zurück in ihr Kabuff, und ich warf den Bon in respektvoller Distanz in
       den Müll. Als ich dann festgenommen wurde, war ich gar nicht überrascht. Es
       hatte alles seine Ordnung.
       
       DANIÉL KRETSCHMAR 
       
       * * * 
       
       ## Der radikalste Versuch
       
       Die Idee, nicht nur große Banknoten und Bares, sondern – viel radikaler –
       gleich alles Geld abzuschaffen, hat es schon gegeben. Und das nicht nur in
       der Theorie.
       
       Es waren aber nicht gierige Kapitalisten, die das Projekt ausbrüteten, um
       auf diese Weise Kunden und Konsumenten zu versklaven.
       
       Nein, es waren Revolutionäre um den Kambodschaner Saloth Sar, die sich in
       Paris in marxistischen Zirkeln eine neue, gerechtere Welt erträumt hatten.
       
       Als ihre Truppen, später bekannt als „Rote Khmer“, am 17. April 1975 in der
       Hauptstadt Phnom Penh einmarschierten, machten sie schnell kurzen Prozess:
       Innerhalb von drei Tagen zwangen sie alle Bewohner, die Stadt zu verlassen.
       Sie erklärten alles Geld für wertlos, verboten privaten Besitz, stellten
       Tauschhandel unter Todesstrafe. Von rund 2 Million Menschen, die bis dahin
       in Phnom Penh gelebt hatten, durften nur 50.000 „Zuverlässige“
       zurückbleiben, die meisten waren Soldaten.
       
       Saloth Sar, der den Kampfnamen Pol Pot angenommen hatte, ließ die
       Nationalbank Kambodschas sprengen. Die aus den Tresoren und Säcken
       befreiten Scheine bedeckten die Straße rund um das zerstörte Gebäude.
       
       Die „Angka“ (Organisation) Pol Pots erklärte, sie werde jeden „nach seinem
       Verdienst für die Revolution“ mit Lebensmitteln versorgen. Mindestens 1,7
       Millionen Menschen – ein Viertel der Bevölkerung – kamen bis zum Sturz des
       Regimes Anfang 1979 ums Leben.
       
       Pol Pots Leute verkauften derweil Antiquitäten ins Ausland – gegen Geld. Er
       selbst starb am 18. April 1998 friedlich in seinem Bett.
       
       JUTTA LIETSCH
       
       29 Apr 2016
       
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