# taz.de -- Nachwuchsprofis der Fußball-Bundesliga: „Junge Spieler haben keine Zeit“
       
       > Der ehemalige Nationalspieler Pierre Littbarski erklärt, worauf der VfL
       > Wolfsburg achtet und warum der Fußballnachwuchs immer mehr leisten muss.
       
 (IMG) Bild: „Wir gucken immer, welche Qualitäten ein Spieler hat“: Pierre Littbarski auf Talentsuche
       
       taz: Herr Littbarski, Sie sind seit knapp 40 Jahren im Profifußball
       unterwegs. Wenn Sie die Vereine von damals mit den Unternehmen heute
       vergleichen – welches sind die gravierendsten Unterschiede? 
       
       Pierre Littbarski: Heute kommt man in einen funktionierenden Apparat
       hinein. Heute ist die Identifikation mit dem Verein für einen Spieler gar
       nicht so leicht zu bewältigen. Wir mussten uns unsere Anerkennung im Klub
       damals erst erkämpfen. Wir haben selbst die Ballnetze getragen und die
       Schuhe geputzt. Ich bin damals für null Mark nach Köln gewechselt …
       
       Nicht für 25.000 D-Mark? 
       
       Es kann sein, dass mein damaliger Klub Hertha Zehlendorf für mich einen
       solchen Betrag bekommen hat. Wenn wir aber heute einen 18-Jährigen holen,
       dann hat der schon eine Historie. Es wird sofort publik gemacht. Und um an
       die Daten des Spielers und die Videos von ihm zu kommen, reicht ein
       Mausklick.
       
       Als man Sie 1978 entdeckte, da waren Sie auch 18 Jahre alt und spielten mit
       Hertha Zehlendorf um die deutsche A-Jugend-Meisterschaft. 
       
       Bei mir war die Sache etwas anders. Ein Konditionstrainer vom
       Bundesligisten Hertha BSC hatte mich damals schon im Blick – aber er hat
       gesagt: Der ist zu klein, der kann im Profifußball nicht bestehen. In
       Westberlin war die Situation aber auch dadurch anders, dass die Mauer noch
       stand. Es kamen nicht so viele Beobachter zum Scouting, wie das bei den
       Vereinen in Westdeutschland der Fall war. Als Berliner musste man über das
       Jugendnationalteam auf sich aufmerksam machen.
       
       Haben Sie in keiner der Auswahlmannschaften gespielt? 
       
       In meiner Zehlendorfer Zeit habe ich jeweils für einige Spiele in der U15
       und in der U17 gespielt. Aber auch da sagte man mir nach einiger Zeit, ich
       sei körperlich zu schwach.
       
       Wie bewerten Sie selbst heute die kleinen und schmächtigen Spieler, wenn
       Sie als Scout unterwegs sind? 
       
       Wir gucken immer, welche Qualitäten ein Spieler hat, wie seine Einstellung
       und seine Mentalität ist. Es ist zum Beispiel ein Faktor, ob er ein
       Gewinnertyp ist oder nicht. Dann überlegt man, ob er sich durchsetzen
       könnte. Wir sagen nicht: Der wiegt nur 58 Kilo, den kann man vergessen. Bei
       uns sind andere Charaktere gefragt als beispielsweise bei Bayern München.
       Wolfsburg ist auch eine eher kleine Stadt, da muss ein Spieler hinpassen.
       Sie sollen gerne für uns spielen, ihnen soll es Spaß machen – Maxi Arnold
       ist etwa so ein Typ, der den VfL Wolfsburg lebt.
       
       Das heißt, bei einem wie Max Kruse passt es weniger gut? 
       
       Nein, das kann man so nicht sagen. Bei ihm ist die Sache ein bisschen
       vielschichtiger.
       
       In der Nationalmannschaft wurde er wegen seines Verhaltens ausgebootet. 
       
       Jogi Löw hat eben gewisse Regeln und Vorgaben. Im Fall Max Kruse war es für
       ihn ein Verstoß gegen diese Vorgaben. Bei der deutschen Nationalmannschaft
       hat man sich für diesen Kurs entschieden, und sie sind bisher gut gefahren
       damit.
       
       Es wird doch immer bemängelt, dem Profifußball fehle es heute an Typen wie
       Kruse. 
       
       Es gibt heute auch Spielertypen, die verrückt sind, ohne abzudrehen. Früher
       war es aber ein bisschen frecher, weil auch nicht alles auf die Goldwaage
       gelegt wurde, was man gesagt hat. Damals konnte man was sagen und es wurde
       schnell wieder vergessen.
       
       Den Spielern heute wird oft vorgehalten, sie müssten gar nichts mehr selbst
       machen. Stimmt das? 
       
       Wir haben heute eine professionellere Betreuung. Wir versuchen den Spielern
       Dinge abzunehmen. Was ein junger Spieler heute nicht hat, ist Zeit für
       sich. Ich hatte als Spieler noch Freiräume, in denen ich nicht gestört
       wurde. Da war niemand, der einen mit dem Smartphone fotografiert hat, wenn
       man im Restaurant saß.
       
       Heute haben wir den 24-Stunden-Profi? 
       
       Ja. Die Spieler stehen ständig unter Druck. Allein die Vorbereitung aufs
       Spiel und was die Spieler von uns an Informationen bekommen, ist Wahnsinn.
       Das muss alles erst mal verarbeitet werden.
       
       Was bekommen sie denn? 
       
       Das entscheidet der Trainer. Die Spieler können von uns eine Videoanalyse
       von dem zuletzt absolvierten Spiel bekommen oder spezielle Analysen, die
       auf bestimmte Kriterien ausgerichtet sind. Zum Beispiel: Wie hat ein
       Stürmer sich auf dem Platz bewegt, bevor er ein Tor geschossen hat? Wo sind
       die entscheidenden Zonen, in die er vorstoßen musste?
       
       Heute sagt man den Jungprofis einen Hang zu Videospielen nach – Stichwort
       Playstation-Profi. Nehmen diese Medien Einfluss auf das eigene Spiel? 
       
       Einer der neuesten Trends, den wir hier aber noch nicht nutzen: Man kann
       Szenen aus dem eigenen Spiel wie in einem Videospiel simulieren. Der
       Spieler setzt sich einen Helm mit Bildschirm auf, er sieht sich und seine
       eigenen Mitspieler wie in einem Playstation-Spiel. Die Zeiten der
       Kreidetafel sind vorbei.
       
       In welchem Alter sind junge Spieler heute, wenn man beginnt, sie zu
       sichten? 
       
       Mein Sohn spielt in der U13 – dort steht am Spielfeldrand schon manchmal
       jemand vom Landesverband, manchmal auch ein Berater. In dem Alter geht das
       los.
       
       Der englische Nationalspieler und Leicester-City-Profi Jamie Vardy hat bis
       vor fünf Jahren – er war 25 Jahre alt – noch in der 5. Liga gespielt. Eine
       unwahrscheinliche Karriere? 
       
       Sicher, ein absoluter Einzelfall. Ich finde solche Geschichten toll. Den
       hatte keiner auf der Liste. Ich habe kürzlich ein Spiel von Chelsea in der
       Uefa Youth League (europäischer U19-Wettbewerb der für die Champions League
       qualifizierten Vereine, d. Red.) gesehen. Da spielten gestandene Spieler,
       die schon beim Profiteam Chelseas auf der Bank gesessen haben. Das ist der
       Normalfall.
       
       11 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Uthoff
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Fußball
 (DIR) Fußball-Bundesliga
 (DIR) Wolfsburg
 (DIR) Kolumne Frühsport
 (DIR) TSG Hoffenheim
 (DIR) Japan
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Nachwuchs im Fußball: Kinder an den Ball
       
       Bald schon könnte ein heute 15-Jähriger in der Bundesliga zum Einsatz
       kommen. Die Altersgrenze für Fußballprofis in Deutschland soll gesenkt
       werden.
       
 (DIR) TSG Hoffenheim in der Youth League: Jungs unter Druck
       
       Hoffenheims Nachwuchs hat es ins Finalturnier der Youth League geschafft.
       Vor dem Halbfinale wird über den Sinn des Formats diskutiert.
       
 (DIR) Profifußball in Japan: Die J-League boomt
       
       Früher wurden alternde Stars des Weltfußballs eingekauft. Heute werden jede
       Menge Profis exportiert. Japans 1. Liga wird immer stärker und feiert ihr
       20. Jubiläum.
       
 (DIR) VfL Wolfsburgs neuer Trainer: Magaths Rückkehr zu den "Wölfen"
       
       Bundesligatrainer Felix Magath, der am Mittwoch vom FC Schalke 04
       abserviert wurde, kehrt zum VfL Wolfsburg zurück. Damit ist er der dritte
       Wolfsburger Coach in einer Saison.