# taz.de -- Kolumne Kapitalozän: Der beste Freund des Menschen
       
       > Die Welt und ihre Probleme sind furchtbar kompliziert. Doch keine Sorge,
       > es gibt einen Ausweg: Sündenböcke helfen.
       
 (IMG) Bild: Dieser Typ ist selbstverständlich nicht der beste Freund des Menschen
       
       Die wichtigste Berufsgruppe unserer Gesellschaft sind nicht die Ärzte,
       Feuerwehrmänner, Hebammen oder Schutzmänner, auch nicht die Baumbesetzer,
       Hedonisten oder Antifas. Die einzigen, die jenen Hauch an Vernunft
       garantieren, die verhindern, dass wir uns alle gegenseitig an den
       Meistbietenden verkaufen und zwar zu Ragout verarbeitet und in Dosen
       abgefüllt, das sind: die Lobbyisten.
       
       Zur Erklärung machen wir jetzt einen komplizierten Sprung, hin zu
       Flüchtlingen. Explizit nicht gemeint sind dabei die Menschen, die als
       solche bezeichnet werden, weil sie das Pech hatten, aus einem Krieg zu
       fliehen und mittellos einen ganzen Kontinent zu durchqueren, um hier dann
       in eine Turnhalle gepfercht zu werden.
       
       Nein, es geht „Flüchtling“ als rhetorischer Figur, als Metapher, aufgeladen
       mit allem, vor was sich der Abendlandverteidiger so fürchtet. Armut, Tod,
       Karies. Wenn in Deutschland der gemeine AfD-Wähler in der Innenstadt keinen
       Parkplatz findet, Erektionsstörungen hat oder sein Marmeladenbrot auf die
       falsche Seite fällt – nun, dann ist daran eben ein Flüchtling Schuld.
       
       Dieser übernimmt damit bedauerlicherweise eine sozialpsychologische Rolle:
       Statt Aggressionen nur im eigenen Rudel auszuleben, kann der
       Abendlandverteidiger negative Energien nach außen kanalisieren. Man will
       mit diesen Menschen freilich nichts zu tun haben, allerdings gibt’s das
       Problem, dass man auch als Durchschnittslinker so seine Zorneskanäle hat,
       beispielsweise „der Kapitalismus“, „die Globalisierung“, „die USA“, „die
       Wirtschaft“ oder auch „der Freihandel“. Viele davon funktionieren rechts
       wie links, aber der wirklich einzige Sündenbock, der wahrliche
       Universalität genießt, ist „der Lobbyist“:
       
       „Kampagnen der Einwanderungslobby und Medien zielen auf immer neue
       Bleiberechte.“ (AfD, 2016)
       
       „Die Bundesregierung beugt sich der europäischen Atomlobby.“ (Grüne, seit
       1978)
       
       „Eine echte Reform bedeutet, ein Gesetz zu verabschieden, das alle
       Geschenke und Mahlzeiten der Lobbyisten eliminiert.“ (Barack Obama, 2006)
       
       „Fordert die Demokratie von der Milliarden Dollar schweren Lobby der
       fossilen Industrie zurück.“ (Bernie Sanders, 2016)
       
       „Das Establishment und die Lobbyisten bringen unser Land total um.“ (Donald
       Trump, 2016)
       
       „Jetzt ist der Moment, um den Lobby-Saustall auszumisten.“ (ich, 2015)
       
       Nur ein kleiner Ausschnitt. Man muss diesen Lobbyisten danken, dass sie
       sich von allen gleichermaßen verprügelt lassen. Wenn nicht jeder seinen
       Lobbyisten auf dem Schreibtisch stehen hätte, den er bei Bedarf würgen
       könnte, was würden wir in Bürgerkriegen versinken.
       
       Man stelle sich mal eine Welt vor, in der alle präzise ausdrücken müssten,
       wer oder was kritisiert wird, wo konkret das Problem liegt und wie es
       gelöst werden könnte. Schrecklich komplex wäre das. Niemand hätte mehr
       Zeit, diese ganzen amerikanischen Fernsehserien zu gucken, weil man sich
       ständig genau über alles informieren müsste, statt Schablonen
       nachzuplappern. Kolumnisten wären sowieso arbeitslos.
       
       29 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arzt
       
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